Buße und Wahlkampagne

Die Karwoche hat begonnen. Eine Zeit des In-sich-Gehens. Eine Zeit des Bedenkens der eigenen Fehlerhaftigkeit. Eine Zeit, in der man sich wünscht, näher an Christus zu sein und feststellt, dass man eher Petrus oder Judas gleicht. Da in diesem Jahr das Osterfest für alle in Rumänien lebenden Christen am gleichen Datum stattfindet, könnte man erwarten, dass die sich zum christlichen Glauben bekennenden Rumänen, immerhin neunundneunzig Prozent der Bevölkerung, sich in einem Seelenputzprozess befinden. Denn mit reiner Seele und geläutert soll man sich am Ostersonntag und in den darauffolgenden Tagen auf die üblichen Berge an Lammfleisch, Innereienroulade und Ostereier stürzen und Ströme an Schnaps, Wein, Bier und Eierlikör in den trockenen Schlünden verschwinden lassen. Denn es gibt ja was zu feiern und wenn man in Rumänien eines kann, dann ist es feiern. Zwar spüren alle eine Teuerung der traditionellen Waren – die nichts mit den Zolltarifen des amerikanischen Clowns oder den internationalen Börsen zu tun hat, sondern eine direkte Folge der „Wahlgeschenke“ von 2024 ist – doch gefeiert muss werden, auch wenn man dafür einen Kurzzeitkredit aufnehmen muss.

Nur deckt sich in diesem Jahr die Karwoche mit der Wahlkampagne für die Präsidentschaftswahl. Mehr oder weniger ostentativ werden alle Kandidaten ihr „Christsein“ in allen Medien zur Schau stellen: die von ihrer Rolle als Volkserlöser Überzeugten, wie Simion und Ponta, die wie Christus von den eigenen Leuten verratene Lasconi, der Mathematikaufgaben lösende Bürgermeister Dan, der gerade seine ehemaligen Jünger zurückgewonnen hat, der für die rumänische Politik von den Toten auferstandene Antonescu.

Wer aber große Schuldbekenntnisse erwartet, sollte sich auf eine Enttäuschung vorbereiten, denn jeder Kandidat kennt die Sünden der anderen viel besser als die eigenen und aus lauter christlicher Liebe wird er diese der Wählerschaft in den Medien vorstellen, denn nur so kann man den Anderen zu einer wahrhaftigen Buße verhelfen. In den Nachrichten werden wir mit Sicherheit die in dieser Woche geplanten Gottesdienst- und Kirchenbesuche mitverfolgen können. Als Kandidaten wissen alle, wie das „richtig christlich“ gemacht werden muss: mit Parteigefolge und Presseerklärung am Eingang der Kirche. Die restlichen zur gleichen Zeit in den Gotteshäuser Anwesenden, welche diese dazu nutzen wollen, wozu sie eigentlich bestimmt sind, zählen in solchen Momenten nicht. Die verstehen ja auch nichts von dem Märtyrertum des politischen Daseins, der Wahlkampagne und dem Präsidentenamt. Sie können nicht einmal beginnen, zu erahnen, was eine derartige Hingabe für das Volk einem an Selbstopfer abverlangt. Nicht einmal der in manchen Bildern in den Kirchen an einem Lattengerüst hängende Mann könnte so etwas nachvollziehen: nichts ist auf dieser Welt christlicher in seiner selbstaufopfernden Hingabe als das Dasein als rumänischer Politiker. In dieser Überzeugung werden sie auch noch von so manchem kirchlichen Würdenträger bestätigt, mittels so mancher Ordensvergaben, und diese Vorbildern im Glauben in ihren Gottesdiensten erlauben sich, in den ersten Reihen zu repräsentieren – wie anders wäre es der Presse möglich, ihre Hingabe im Gebet als Breaking News zu dokumentieren?

Während dessen blicken aus den Wandmalereien Christus und die Heiligen mit einem wohlwollenden Lächeln auf das Spektakel herab. Natürlich werden die Kandidaten diese Blicke nie wahrnehmen: sie haben es nie gelernt, den Blick nach oben zu richten, sie beherrschen dafür meisterhaft die Kunst des Auf-die-anderen-Hinunterschauens. Eine Kunst, ohne die scheinbar die rumänische Politik nicht funktionieren kann, denn Politik hat bei uns nichts mit dienen zu tun.