Das Abwürgen der Archivforschung

Die Gesellschaft für Geschichtsstudien Rumäniens, ein international besetzter Berufsverband der Historiker, veranstaltete in Jassy eine „Aussprache über den Skandal der öffentlichen Archive“. Das geschah am bekannten Geschichtsinstitut „A.D. Xenopol“, direkt und online. Es ging um „den nötigen Protest“, aber auch um „ein gemeinsames Reflektieren über einen Aktionsplan“ zum „Finden von Lösungen in einer so nicht mehr tolerierbaren Situation“.

„Eine Handvoll Menschen, weder sehr einflussreich, noch sehr solidarisch untereinander“, lebe „seit mehreren Monaten an der Grenze zur Neurose“. Es ist der Berufskreis der Historiker und Archivare Rumäniens. Der Grund: Die dem Innenministerium unterstellten Staatsarchive und die übrigen Archive Rumäniens seien „seit Monaten immer attraktiver geworden“ für die diversen rumänischen Sicherheitsdienste, die sich um den „Schutz von Staatsgeheimnissen“ bemühen. Ihr Vorgehen sei „in flagrantem Gegensatz zu sämtlichen Allgemeinnormen und -praktiken eines demokratischen Staates“, trete die Freiheit des Forschens mit Füßen, implizite die akademische Freiheit und die Freiheit überhaupt.

Der freie Zugang zu, und das Forschen in den Archiven, die nach der Wende „liberalisiert“ wurden, sei „eigentlich nie wirklich frei“ gewesen, meint die junge Forschergeneration. Die „Straußenpolitik“ der Mehrheit der Forscher habe dazu geführt, dass die heutige Reaktion auf die Zustände sehr spät erfolgt, meint Florea Ioancioaia, Dozent an der „A.I. Cuza“-Universität Jassy, der u.a. die Zeitschrift „Historia Universitas Jassensis“ herausgibt. Und er fragt: „Was kann man schon als einfacher Forscher tun, wenn ein anonymer Beamter der Militärarchive in Pite{ti entscheidet, dass du keinen Zugang hast zu den Dossiers der Militärzensur aus der Zeit des Ersten Weltkriegs?“

Solche ans Absurde grenzende Situationen seien immer häufiger. Als ob die Geschichtsforscher eine Bedrohung der Staatssicherheit darstellten. Ähnliche Situationen seien seit einem Jahr zunehmend akut geworden. Die Gründe lägen ziemlich im Dunkeln. Manche meinen, dass die „Vorsichtsmanie“ auf eine „schleichende Pakistanisierung“ Rumäniens zurückzuführen sei, auf eine unmerklich fortschreitende Militarisierung des Staates – wozu auch die zehn Gesetzesvorlagen zur Stärkung der Macht und der Zuständigkeiten der Geheimdienste passen, die für so viel Wirbel und zahlreiche tollpatschige Entschuldigungsversuche, einschließlich des Staatspräsidenten (sie hätten nicht der Öffentlichkeit bekanntgegeben werden dürfen...), gesorgt haben. Andere geben der „Hyperbürokratisierung des postkommunistischen Rumäniens“ (als eine Abart des „sanften Autoritarismus“) die Schuld, wieder andere beiden Tendenzen.

Die Nationalarchive in Jassy, Klausenburg und Baia Mare haben gegen diese Tendenzen ein „internes Memorandum“ auf- und in Umlauf gesetzt, in welchem sie auf den nicht zu rechtfertigenden Druck des Sicherheitsdienstes des Innenministeriums DGIPI hinweisen und dagegen protestieren, dass dieser Einfluss auf Auswahlkriterien der Dokumente nimmt, die dem Nationalen Archivfonds zuzuweisen sind, aber auch die Restriktionen bestimmt, die Forschern in der Archivforschung auferlegt werden. Das Vorgehen grenze an Irrationalität, zumal die Geheimdienstler wahre Stümper der Geschichtsforschung seien.

Der Jassyer Geschichtsforscher C. Boto{ineanu hat selbsterlebte Übergriffe der Geheimdienstler öffentlich aufgezählt. Das hat ihm – und denen, die sich mit ihm solidarisierten – grobschlächtige Drohungen seitens der Geheimdienst(l)e(r) eingebracht. Im Gegenzug veröffentlichen immer mehr Historiker Details zu den Schikanen, die sie beim Forschen durch die Geheimdienste zu erdulden haben. Überraschend hat sich auch der Historiker und Präsident der Akademie, Ioan-Aurel Pop, am 29. Juni den Protesten angeschlossen...