Das Andreanum 1224 – Verfassungsgrundlage der Sächsischen Nation

56. Jahrestagung des Arbeitskreises für Siebenbürgische Landeskunde in Hermannstadt

Älteste Abschrift des Andreanums aus dem Jahr 1317

Dr. Paul Niedermeier stellte die Siedlungsgeschichte anhand der Waldgürtel und der noch identifizierbaren Rodugen dar.

Dr. Thomas Șindilariu sprach über die unterschiedlichen Textschichten des Andreanums. | Fotos (2): Roger Pârvu

Die Ausstellung auf dem Großen Sachsentreffen | Fotos (2): George Dumitriu

„Indem Wir ihren gerechten Klagen wie gewohnt ein gnädiges Ohr leihen, wollen Wir also, dass bei Gegenwärtigen und Zukünftigen bekannt wird, dass Wir, den Gnadenspuren Unserer Vorgängern folgend und im Innersten bewegt, ihnen die frühere Freiheit zurückgegeben haben“, heißt es im Vorspann des von König Andreas II. im Jahr 1224 erlassenen Dokuments, welches, als Andreanum bekannt, als Rechtsgrundlage den deutschen Siedlern in Siebenbürgen über Jahrhunderte dienen sollte. Unter dem Zeichen des 800-jährigen Jubiläums dieses Dokuments stand das Große Sachsentreffen Anfang August in  Hermannstadt/Sibiu. Im Vorfeld des Treffens widmete der Arbeitskreis für Siebenbürgische Landeskunde e.V. Heidelberg am 1. August 2024 seine 56. Jahrestagung der Geschichte, der Bedeutung und dem Wirkungsfeld diesem, einer Verfassung gleichzusetzenden Dokument. 

Die in Partnerschaft mit dem Demokratischen Forum der Deutschen in Siebenbürgen, dem Institut für Geisteswissenschaften Hermannstadt/Sibiu und dem Bundesinstitut für Kultur und Geschichte des östlichen Europa in Oldenburg unter dem Titel: „Das Andreanum 1224 –Verfassungsgrundlage der Sächsischen Nation“ durchgeführte Tagung fand im Spiegelsaal des Demokratischen Forums statt. 

Die sehr gut besuchte Veranstaltung wurde im Namen der Organisatoren von Martin Bottesch, Vorsitzender des Demokratischen Forums der Deutschen in Siebenbürgen, Dr. Rudolf Gräf, Leiter des Instituts für Geisteswissenschaften Hermannstadt/Sibiu und Dr. Dr. Gerald Volkmer, Vorstandsmitglied des Arbeitskreises für Siebenbürgische Landeskunde (AKSL) eröffnet. Letzterer nannte in seinem Grußwort das Andreanum treffend: „Die Zündung, auf der alles andere aufbaute.“

Privilegien vor einheimischer Bevölkerung

Den ersten Vortrag hielt Dr. István Tringli vom Historischen Institut der Ungarischen Akademie der Wissenschaften in Budapest und er beschäftigte sich mit der Person des Königs Andreas II., bekannt auch als Andreas von Jerusalem. In seinem Vortrag führte Dr. István Tringli die Zuhörerschaft durch die unterschiedlichsten historischen Wahrnehmungen und Bewertungen des ungarischen Königs, die von heldenhafter Gestalt bis hin zu einem unzuverlässigen und wechselhaften Staatsoberhaupt reichen, um zu schlussfolgern, dass Andreas II. „ein Realpolitiker und ein Kind seiner Zeit“ gewesen sei. Dabei müsste man seine Schenkungen an die deutschen Siedler, aber nicht nur, als eine Innovation der Eigentumsverhältnisse betrachten, die zu einer Steigerung der Steuereinnahmen führten. „Das beste Maß der Schenkung ist die Maßlosigkeit“, so der Referent. 

Der Gretchenfrage „Wie viele Einwanderer gab es und wie viel Bevölkerung war vorhanden?“ nahm sich Dr. Paul Niedermeier, Leiter des Instituts für Geisteswissenschaften Hermannstadt a.D., in seinem Vortrag: „Siedlungsgeschichte der ‘Landnahmezeit’ – Organisationsstruktur, Sicherheitsarchitektur, Umsiedlungen vor Ankunft der Hospites“ an. Einleitend bemerkte Niedermeier, dass Siebenbürgen von Osten selten angegriffen wurde, aber von Westen her erobert wurde, daher sei der Begriff der „Landnahme“ in diesem Kontext angebracht. Den Verlauf der sächsischen Siedlung stellte der Referent anhand der Waldgürtel und den noch identifizierbaren Rodungen dar, wobei festzuhalten sei, dass in den ersten Jahrhunderten nach der Siedlung die Bevölkerung konstant und exponentiell, sowohl durch ein internes Wachstum, wie auch durch Zuwanderung, gestiegen sei. 

Dr. Maria Crîngaci-Țiplic vom Institut für Geisteswissenschaften in Hermannstadt, veranschaulichte in ihrem Vortrag: „Die ersten Generationen der Hospites in Siebenbürgen“ anhand von neueren archäologischen Untersuchungen die Problematik der unterschiedlichen Herkunftsorte der ersten Siedler. Dabei ging sie auch auf den Begriff der „hospes“ ein und der damit verbundenen Qualität: und zwar in Bezug auf die Rechte von Individuen und ihren Familien, selten wurden damit kleinere Gruppen gemeint, wobei sich der Begriff erst ab dem 14. Jahrhundert juristisch auf gesamte Siedlergruppen bezieht. Durch das Andreanum erhielt der Begriff eine allgemeine Gültigkeit für die deutschen Siedler in Siebenbürgen. Dabei muss auch festgehalten werden, dass die so gesicherten Privilegien der „hospites“, wie das zum Beispiel durch das Andreanum geschah, diese von der einheimischen Bevölkerung differenzieren.    

Übereinstimmung der ältesten Kopie mit dem Original? 

Dr. Thomas Șindilariu, Unterstaatssekretär im Department für Interethnische Beziehungen im Generalsekretariat der Regierung Rumäniens, referierte über die „Die Herausbildung der Stuhlsstruktur und die Entmachtung der Gräfen als Festigung des Andreanums“. In seinem Vortrag ging Thomas Șindilariu auch auf die unterschiedlichen Textschichten des Andreanums ein. Dieses liegt in seiner ältesten Fassung als Abschrift einer Urkunde des Königs Karl I. Robert von 1317 vor. Diese befindet sich heutzutage im Hermannstädter Staatsarchiv und wurde während des Sachsentreffens auch öffentlich ausgestellt. Șindilariu meint, dass natürlich eine der offenen Fragen die Inhaltsübereinstimmung der Abschrift von 1317 mit dem Original von 1224 sei. Mit Sicherheit kann man jedoch behaupten, dass die Artikel eins bis sechs aus dem Andreanum auf älteres Material zurückgehen, man ab Artikel sieben mit Präzisierungen seitens Andreas II. zu rechnen habe und das die letzten beiden Artikel wahrscheinlich später angefügt worden sind. 

In seinem Vortrag: „Das Andreanum als rechtliche Grundlage der Sächsischen Nationsuniversität – 1224 bis 1486“ zeichnete Dr. Liviu Cîmpeanu, vom gleichen Institut für Geisteswissenschaften, die historische Entwicklung von den unterschiedlichen Grafschaften und Stühlen hin zur Nation der Siebenbürger Sachsen und deren Anerkennung als solche nach. 

Eine gefestigte Gewohnheitsrechtstradition

Die juristische Bedeutung des Andreanum wurde von Dr. Béla Szabó von der Juristischen Fakultät der Universität Debrecen in seinem Vortrag „Der Niederschlag des Andreanums im Eigenlandrecht“ untersucht. Dabei bemerkte der Referent, dass die Kolonisten schon vor dem Andreanum nach ihrem mitgebrachten Recht richten durften. Das Alpha und Omega der Rechtsprechung bei den Siebenbürger Sachsen sowie derer Rechte seien zwei Dokumente gewesen: Diploma Andreanum und Statuta Jurium Municipalium Saxonum, wobei sich das Eigenlandrecht immer auf das Andreanum bezog. Dabei bemerkte Dr. Béla Szabó, dass ausgehend von Artikel 6 des von König Andreas II. erlassenen Dokuments, wo es heißt, „Wenn sie aber vor irgendeinem Richter stehen, dann müssen diese das Verfahren stets nach dem Gewohnheitsrecht der Siedler entsprechend durchführen“, sich in der Rechtspraxis eine gefestigte Gewohnheitsrechtstradition entwickelte, ohne dass man aber im hohen Mittelalter von einem Einheitsrecht der Siebenbürger Sachsen sprechen kann. 

Wirkungen bis heute nachzuweisen

Abgeschlossen wurde die Tagung mit dem Vortrag von Dr. Harald Roth vom Deutschen Kulturforum östliches Europa aus Potsdam, der die Nachwirkungen des Andreanums bis 1876, der Moment, in welchem die Selbstverwaltung der Siebenbürger Sachsen durch die Auflösung Siebenbürgens als Land und dessen Eingliederung in Ungarn, eliminiert wurde  und darüber hinaus dargestellt hat.

Dem Andreanum, unter dessen Zeichen das Sachsentreffen in Hermannstadt stand, wurde auch die Wanderausstellung: „Andreanum – 800 Jahre. Recht und Verfassung der Siebenbürger Sachsen“ gewidmet. Dem dazugehörenden Ausstellungskatalog kann entnommen werden: „Die außergewöhnliche siebenbürgisch-sächsische Autonomie mit ihren bürgerlichen Freiheiten musste sich über die Jahrhunderte vor allem der Angriffe und Anfeindungen der beiden anderen Landsstände, des ungarischen Adels und der Szekler, später der Wiener Zentralmacht erwehren. Doch es glückte, sie im Wesentlichen bis 1876 zu halten und anschließend in eine die ganze Sprachgruppe umfassende politische Organisation und in ihre Volkskirche überzuleiten.“ Wie sowohl die 56. Jahrestagung des Arbeitskreises für Siebenbürgische Landeskunde, als auch die mit dem 800-jährigen Jubiläum des Andrea-nums verbundenen Veranstaltungen innerhalb des Sachsentreffens aufgezeigt haben, gab es in der Geschichte der Siebenbürger Sachsen kein anderes Dokument, welches so sehr die Kultur und Mentalität dieser Siedlergruppe über die Jahrhunderte geprägt und getragen hat, wobei dessen Wirkungen bis heute in unterschiedlichen Formen nachzuweisen sind, egal wo die heutigen Nachkommen der „hospites saxonice“ leben.