Das Deutsche Kulturforum östliches Europa wurde im Jahr 2000 als gemeinnütziger Verein mit Sitz in Potsdam gegründet. Die Einrichtung nimmt sich vor, die Kultur und Geschichte jener Gebiete bekannt zu machen, in denen Deutsche gelebt haben bzw. noch leben. Für das Länderreferat Südosteuropa, zu dem auch Rumänien gehört, ist seit 2017 Dr. Ingeborg Szöllösi zuständig. In dem folgenden Gespräch erzählt Ingeborg Szöllösi unter anderem von den diesjährigen Projekten des Deutschen Kulturforums und vor allem von denjenigen mit Bezug auf das Temeswarer Kulturhauptstadtjahr 2021. Die Fragen stellte per E-Mail die ADZ-Redakteurin Raluca Nelepcu.
Welcher ist Ihr persönlicher Bezug zu Osteuropa?
Klausenburg/Cluj/Kolozsvár ist meine Geburtsstadt. Meine Schulferien habe ich bei meinen Großeltern in Nussbach/Măieruș/Magyaros im Burzenland verbracht und meine Gymnasialzeit in Hermannstadt/Sibiu/Nagyszeben. Ich erinnere mich an Klassenfahrten ins Banat, an Ausflüge mit meinen Eltern zu den Moldau-Klöstern, ins Szeklerland, an den Sankt-Anna-See und ans Schwarze Meer. Die siebenbürgisch-sächsischen „Chefs“ (gesprochen „kjefs“, „Partys“ auf Neudeutsch) waren immer ein Erlebnis, die nicht enden wollenden Hochzeiten ebenfalls. Unsere Verrenkungen, verbotene Bücher und Filme zu beschaffen, waren einmalig. Der sozialistische Alltag war deprimierend. Der ganze ehemalige Ostblock war ein Gefängnis, dem ich im Sommer 1988 entkommen bin – allein, mit einem roten Rucksack. Es war ein Aufbruch in ein neues Leben. Und dadurch, dass ich seit einigen Jahren im Deutschen Kulturforum östliches Europa tätig bin, stehe ich nun auch beruflich dem östlichen Europa nahe.
Das Deutsche Kulturforum östliches Europa ist seit dem Jahr 2000 darum bestrebt, die Geschichte und Kultur der Länder im östlichen Europa, in denen früher Deutsche gelebt haben bzw. heute immer noch Deutsche leben, einem breiten Publikum bekannt zu machen. Wie wird diese Geschichte und Kultur vermittelt?
Wir organisieren Veranstaltungen wie Film- und Lesereihen, Themenabende mit Vorträgen und Diskussionen, Workshops für Jugendliche und junge Erwachsene, Wanderausstellungen, Konzerte u. a. Wir sind nicht nur in Potsdam und Berlin aktiv, sondern zeigen bundesweit Präsenz. Und da wir mit vielen Partnern im östlichen Europa kontinuierlich kooperieren, sind wir mit unseren Veranstaltungen auch dort zugegen. Wir bieten Informationsreisen für Medienvertreter an – zum Beispiel in die Europäischen Kulturhauptstädte, die im östlichen Europa liegen und unser Schwerpunktthema tangieren. Wir schreiben Stadtschreiberstipendien in diesen Städten aus – nächstes Jahr wird ein Stipendium bei Ihnen, in Temeswar, angesiedelt. Eine Autorin oder ein Autor wird dann über seine Erfahrungen und Erlebnisse in der Banater Stadt an der Bega berichten. Über unseren Verlag geben wir Bücher zu unseren Themen heraus: literarische und Kulturreiseführer oder kulturgeschichtliche Sachbücher, die für jeden leicht verständlich und zugänglich sind. Auch mit unseren Zeitschriften („Blickwechsel“ und „Kulturkorrespondenz fürs östliche Europa“) richten wir uns an ein breites Publikum und nicht an eine kleine, akademische Elite.
Welches ist das Publikum, das Ihre Veranstaltungen besucht? Wie groß ist das Interesse seitens der jungen Menschen für die Geschichte und Kultur des östlichen Europas?
Ein breites, gemischtes Publikum ist an unseren Veranstaltungen interessiert. Es sind kulturell interessierte Menschen, die zufällig durch eine Reise oder ein Buch das östliche Europa für sich entdeckt haben und mehr wissen wollen. Einige haben östliche Familienwurzeln: Die Enkelgeneration ist in Deutschland geboren, aber neugierig, wo die Oma geboren ist. Unsere Veranstaltungsformate wie Filmreihen zu bestimmten Regionen oder Workshops, wie Erzählwerkstätten oder Schlösserwerkstätten im östlichen Europa, ziehen zahlreiche Jugendliche an. Ein weiteres Unterfangen, das schon Tradition hat, ist unsere Reise mit Schülerinnen und Schülern des Babelsberger Filmgymnasiums in die jeweiligen Orte, in denen sich unsere Stadtschreiberin oder der Stadtschreiber gerade aufhalten. Die Jugendlichen drehen einen kurzen Film, der in Potsdam Premiere feiert. Im Saal sitzen etwa hundert junge Leute. Zudem sind wir auf vielen Buchmessen vertreten – in Leipzig, Frankfurt am Main, Wien, Breslau. Auf diesen Messen empfangen wir regelmäßig Schülergruppen und haben hierfür speziell ein Glücksrad rund um unser Themenspektrum erfunden. Das Glücksrad begeistert Jung und Alt; es gelingt uns damit, unsere Themen anschaulich zu vermitteln.
Welche Schwerpunkte hat sich das Deutsche Kulturforum östliches Europa für dieses Jahr gesetzt?
In diesem Jahr behandeln wir das Thema „Minderheiten“ aus den unterschiedlichsten Perspektiven und wollen öffentlichkeitswirksam zeigen, dass Europa auch deshalb so bunt ist, weil sich auf diesem Kontinent so viele Minderheiten tummeln und heimisch fühlen wollen. Minderheitenrechte zu gewähren zeichnet einen offenen, demokratischen Staat aus. Sich dafür einzusetzen, lohnt sich – das hat die FUEN-Initiative „MinoritySafePack“ im letzten Jahr eindrücklich vor Augen geführt.
Anfang April war im Kulturforum eine Veranstaltung über Rijeka, den sogenannten „Hafen der Vielfalt“, die Europäische Kulturhauptstadt 2020, geplant. An wen wenden Sie sich mit dieser Veranstaltung?
Diese Veranstaltung führen wir zusammen mit der Botschaft von Kroatien in Berlin und der Europäischen Akademie Berlin durch. In der jetzigen Lage sind weltweit öffentliche Veranstaltungen abgesagt worden, auch unsere kann momentan nicht stattfinden. Aber uns ist dieser Themenabend sehr wichtig, deshalb werden wir ihn nachholen. Unsere Kulturhauptstadtveranstaltungen sind immer sehr gut besucht – meist kommen gut über 100 Menschen zusammen. Ein Teil nimmt sich sogar vor, in die jeweiligen Städte zu reisen und will sich schon mal vorab einen Überblick verschaffen.
Inwiefern richtet das Deutsche Kulturforum östliches Europa sein Augenmerk auf Temeswar, das 2021 Europäische Kulturhauptstadt sein wird?
Wir werden Ende Oktober mit einer Gruppe deutschsprachiger Journalistinnen und Journalisten nach Temeswar kommen. Wichtig ist uns dabei, dass wir unterschiedliche Facetten der Stadt aufzeigen und Termine bei unterschiedlichen Institutionen anbieten. Es sind also nicht nur der Verein „Temeswar 2021“ (Asociația Timișoara 2021) sowie der Bürgermeister und Pressesprecher der Stadt Temeswar interessant: Wir wollen auch Vertreter der deutschen Minderheit treffen und der Redaktion der „Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien“ mit ihrer Beilage „Banater Zeitung“, wir wollen dem Adam-Müller-Guttenbrunn-Haus, der Lenau-Schule und dem Deutschen Staatstheater Temeswar einen Besuch abstatten. Zudem ist auch ein Tagesausflug nach Neusatz/Novi Sad – ebenfalls Kulturhauptstadt 2021 – geplant.
Wer nimmt an dieser Journalistenreise teil?
Es wird eine offizielle Ausschreibung im Mai geben. Wie jedes Jahr haben deutschsprachige Medienvertreter aus Deutschland, Österreich, der Schweiz u. a. die Möglichkeit, sich mit einem Motivationsschreiben zu bewerben. Mit zehn werden wir dann zu Ihnen nach Temeswar kommen.
Wir Temeswarer blicken derzeit etwas besorgt in die Zukunft bzw. auf das Kulturhauptstadtjahr 2021. Als Gründe kann ich die fehlende finanzielle Unterstützung seitens des rumänischen Staates für Temeswar 2021 und verschiedene Probleme im Kulturhauptstadtverein, die für negative Schlagzeilen sorgen, erwähnen. Hinzu kommt nun die Coronavirus-Pandemie, die das Kulturleben der Stadt lahmgelegt hat. Wie sehen Sie die Zukunft von Temeswar 2021?
2017 war ich das letzte Mal in Temeswar – auf einer Tagung der Fakultät für Darstellende Künste, die Prof. Dr. Eleonora Ringler-Pascu ausgerichtet hat. Unser Kulturforum hat ein Modul zur Tradition des deutschen Minderheitentheaters in Südosteuropa angeboten und Theaterpraktikerinnen eingeladen. Ich hoffe, dass diese schöne Erinnerung an Temeswar nicht getrübt wird und Temeswar wie beim Theaterfestival „Eurothalia 2017“ zeigt, was es kann: Öffentlichkeit zu mobilisieren und die Menschen aus dem In- und Ausland für die Stadt und ihr Potenzial einzunehmen. Ich blicke mit Zuversicht in die Zukunft.
Rumänien hat eine reiche Kulturgeschichte und viele Sehenswürdigkeiten – doch negative Werbung im (deutschsprachigen) Ausland und gewisse Vorurteile gibt es nach wie vor. In welchem Maße hat sich, Ihrer Meinung nach, das Image Rumäniens bei den Deutschen gewandelt?
Rumänien verliert viele Fachkräfte, die in Deutschland Arbeit finden. Ihre Leistungen finden hierzulande Beachtung und werden geschätzt. Auch kulturell tut sich einiges: Das Rumänische Kulturinstitut Berlin, aber auch die Deutsch-Rumänische Gesellschaft tun mit ihren Veranstaltungen, Stipendienprogrammen, Ausstellungen usw. viel, um den negativen Schlagzeilen entgegenzuwirken. Auf der „Berlinale“ feiern rumänische Filme Erfolge; in München gibt es sogar rumänische Kulturtage; nach Berlin werden regelmäßig Theatergruppen aus Rumänien eingeladen. Das sind erfreuliche Nachrichten und sie schaffen es auch oft in die Medien.
Wenn Sie jemandem empfehlen würden, ins Banat zu reisen – welche wären die drei Hauptargumente dafür?
Erstens: Das Banat ist das beste Beispiel gelebter Multikulturalität. Zweitens: Temeswar hatte die erste elektrische Straßenbeleuchtung; Temeswar ist keine Stadt „am Rande Europas“, sondern eine fortschrittliche Stadt mit einem großstädtischen Flair. Drittens: Dass das Banat mit Temeswar „mittendrin“ in Europa liegt, zeigt sich auch an den vielen Barock- und Jugendstilgebäuden, aber auch an seiner Kultur – an seiner florierenden Theater- und Musikszene sowie am Literaturfestival, das alljährlich im Oktober stattfindet. Zur Literatur würde ich den an Temeswar interessierten Menschen nahe legen, dass man sich im Banat zudem auf die Spuren der Nobelpreisträgerin Herta Müller, des Adam-Müller-Guttenbrunn-Literaturkreises und der Aktionsgruppe Banat begeben kann, sich demnach auch eine literarische Rundreise anbietet.