Das große Warten auf den rettenden Strohhalm

Privatinsolvenz bleibt weiterhin Zukunftsmusik

Symbolfoto: sxc.hu

Ernüchterung macht sich breit. Ernüchtert und auch verunsichert fühlen sich viele rumänische Bürger heute, nachdem sie die langersehnte Demokratie erhalten und dazu noch mit dem Eintritt in die EU-Wohlstandsgesellschaft neben den Vorteilen auch schnell alle Schattenseiten dieses Paradieses am eigenen Leibe erfahren mussten. Die Finanz- und Wirtschaftskrise machte in kurzer Zeit für viele die erhoffte verlockende Existenz in der Konsumgesellschaft, das sorglose Leben auf Kredit zunichte. Die rumänische Gesellschaft kriecht und keucht, sie schleppt derzeit einen schweren Schuldenberg auf dem Rücken mit sich. Verschuldet sind alle, erstens der Staat, dann die Kommunen, und nicht zuletzt und doch am schwersten die Bevölkerung. Und das im ärmsten unter den EU-Ländern! 8,5 Millionen rumänische Bürger fristen derzeit ihr Dasein in Armut.

Laut einer Statistik werden 4,3 Millionen Bürger zu den Schuldnern bei den Banken gezählt, die Gesamtsumme der Schulden macht 26,7 Milliarden Lei (elfmal höher als 2008) aus. Schuldenbrennpunkte sind nicht, wie man erwarten könnte, die traditionell ärmsten Landesregionen, sondern die reichsten, die Aktivzonen des Landes: Zone Bukarest (über 10 Milliarden Lei), Kreis Klausenburg/Cluj und Kreis Temesch. Die Kommunen, zum Großteil stark verschuldet, vor allem mit Altlasten, schaffen es nur, sich mit Langzeitkrediten über Wasser zu halten. Am schlimmsten ist jedoch immer noch die Bevölkerung betroffen: Derzeit braucht ein Normalbürger zirka 30 Prozent seines Einkommens für die Schuldenbegleichung auf, für ein dezentes Leben der verschuldeten Familien bleibt nur ein verschwindend geringer finanzieller Freiraum übrig.

So ist es verständlich, dass sich viele Leute hierzulande, mit Bangen und Fürchten, große Hoffnungen auf das viel diskutierte neue Gesetz der Privatinsolvenz als letzten rettenden Strohhalm machten. Doch das geplante Gesetz über das vereinfachte Insolvenzverfahren zur Abwicklung der Zahlungsunfähigkeit natürlicher Personen (Privatpersonen) muss in diesem Land leider noch warten. Ein bisher letzter (nach mehreren gescheiterten) entsprechender Gesetzesentwurf wurde von 45 Parlamentariern, davon  44 aus den Oppositionsparteien PDL, PP-DD, einer aus der PNL, unterbreitet, hat jedoch unter den gegenwärtigen Bedingungen kaum Chancen, bald angenommen zu werden.

Schon 2011 hatte eine Gruppe von acht Parlamentariern einen Gesetzesentwurf für Privatinsolvenz vorgeschlagen, der jedoch kläglich gescheitert war. Dementsprechend sollte den stark ins Bedrängnis geratenen privaten Schuldnern als letzte Lösung eine dreijährige Schonfrist für die Begleichung ihrer Bankschulden gewährt werden. Laut dem Steuerexperten Gabriel Biriş (auch einer der Verfasser des letzten Gesetzesentwurfs) hätten alle eingebrachten Entwürfe jedoch viel zu lasche Verfügungen gehabt. Die ganze Angelegenheit hatte nämlich damals, und hat auch heute, zahlreiche und potente Widersacher: Erstens die finanzstarken Gläubiger bzw. unsere Banken, allen voran die Nationalbank Rumäniens, die große Verluste bzw. einen Einbruch der mühsam stabil gehaltenen Finanzlage befürchten. Zweitens die Regierung, die dieses heiße Eisen erst gar nicht anfassen möchte, da man dem Hauptgläubiger des Landes, dem IWF, aber auch der EU-Kommission seit 2008 mehrmals versprochen hat, dieses Gesetz nicht anzunehmen.

Zudem hat die Regierung die Einführung einer Verfügung in das Zivilgesetz verschoben, die es Kundenverbänden und der Behörde für Kundenschutz ermöglicht hätte, bei Gericht die Annullierung unrechtmäßiger Klauseln aus den Kreditverträgen der Banken zu beantragen. Laut Vertreter der Nationalbank würde die Einführung derartiger kollektiver Prozesse bis zu zirka fünf Milliarden Lei Verlust verursachen und die Finanzlage des Landes ins Schwanken bringen. Laut Finanzexperte Ionel Blănculescu würde dieses Gesetz nicht nur einen harten Schlag für die rumänischen Banken bedeuten, es wäre auch ein vorprogrammierter Großverlust für das sowieso gebeutelte Staatsbudget. In dem derzeit von der USL-Regierungskoalition beherrschten rumänischen Parlament hat dieses Gesetz demnach sehr geringe Chancen auf Erfolg: Schwer zu glauben, doch selbst die Kommission für Arbeit und Sozialfürsorge hat sich entschieden gegen dieses Gesetz ausgesprochen.

Die Privatinsolvenz funktioniert... bei den anderen

Rumänien gehört zu den wenigen EU-Ländern, die kein Gesetz der Privatinsolvenz haben. Auch die stark von der Krise betroffenen Länder Spanien und Ungarn haben ein solches Gesetz nicht. Der IWF hat es schon mehrmals vom Nachbarland Ungarn verlangt, doch die Regierung hat die Annahme eines entsprechenden Gesetzes bisher verweigert oder verschoben. Ein solches Gesetz nimmt demnach auch heute, in der globalisierten Welt, trotz der Gesetzesangleichung in den alten EU-Ländern, gemäß den konkreten Bedingungen in verschiedenen Ländern nach wie vor verschiedene Formen an. In Deutschland wurde 1999 die Konkursordnung durch das Insolvenzrecht abgelöst. Seitdem gibt es auch das vereinfachte Insolvenzverfahren bzw. das Verbraucherinsolvenzverfahren.

In Irland – 120.000 Hypothekenkredite sind von der Zahlungsunfähigkeit befallen, 100.000 Kredite mussten langzeitig umstrukturiert werden – sieht das Gesetz für Privatpersonen im Insolvenzverfahren harte Auflagen und einen strikten persönlichen Sparplan vor: Die Betroffenen müssen u. a. auf ihr Auto, das Kabelfernsehen, den jährlichen Urlaub und anderen „Luxus“ wie die private Krankenversicherung verzichten. Die Behörden bestimmen sogar die Summen des persönlichen Unterhalts (z. B. nur 247 Euro monatlich für Lebensmittel). In England ist das Gesetz der Privatinsolvenz etwas freizügiger, hier werden die täglichen Ausgaben für den Familienunterhalt nicht strikt begrenzt.

In Österreich gibt es ein Schuldenregulierungsverfahren in vier Stufen, vom außergerichtlichen Ausgleich bis zum abschließenden Abschöpfungsverfahren. In der Schweiz kann jeder Bürger laut Gesetz eine Insolvenzerklärung abgeben. Der Konkursrichter eröffnet sodann den Konkurs, wenn eine private Schuldenbereinigung nicht erreicht werden kann. Mit Konkurseröffnung gibt es keinerlei Lohnpfändungen mehr. Die Bank erhält einen Verlustschein. Der jeweilige Schuldner muss erst dann wieder zahlen, wenn er zu neuem Vermögen gelangt ist. Man sieht  also im Vergleich mit den anderen Ländern: Ein solches Gesetz ist als letzte Lösung richtig und auch funktionsfähig, wenn es nach Gesetzestext, aber auch konkret in der Praxis, beiden betroffenen Seiten, sowohl den Gläubigern als auch den Schuldnern faire Chancen einräumt und Befriedigung bringt.