In der Nähe von Nizza, im mittelalterlichen Dorf Saint-Paul de Vence, haben viele Pariser Künstler vor allem Mitte des letzten Jahrhunderts gelebt, und Marc Chagall liegt dort auf dem kleinen Friedhof umgeben von Zypressen begraben. Am Pfad längs der Festungsmauer sah ich Anfang Januar eine große Infotafel mit vier riesigen Fotos. Unter dem dritten Foto stand folgende Erklärung: „Joan Miró, Marc Chagall & Jacques Prévert.“ Auf dem Foto war jedoch bloß der Dichter Prévert zu sehen, in Karnevalsstimmung, mit einem Hütchen auf dem Kopf, wie er einen Luftballon aufpustet. Im Hintergrund standen zwei unbekannte Frauen.
Ich sah mir das Foto staunend an. Plötzlich kamen zwei Schweizer Touristen um die vierzig, ein Mann und eine Frau. Sahen sich das Foto und die Beschriftung ebenfalls an. „Haha, luschtig der Chagall“, sagte der Mann, „ich wusste gar nicht, dass der so luschtig aussah.“ „Wo ist Chagall?“, wunderte ich mich. „Na hier!“, sagte der Mann. „Und wo sind Miró und Prévert?“, wunderte ich mich weiter. „Ja, der da... und der... äääh... also doch nicht... das sind ja zwei Frauen!“ „Genau“, sagte ich, „und der, auf den Sie gerade gezeigt haben, war in Wirklichkeit Prévert. Neben ihm stehen tatsächlich weder Miró, noch Chagall, sondern zwei Frauen.“ Die beiden starrten das Foto an und staunten. „Haha, das sind ja wirklich zwei Frauen, das ist ja luschtig“, sagte der Mann wieder und lachte, und die Frau neben ihm lachte mit.
So geht das, man sieht oft nicht das, was man gerade sieht, sondern das, was einem gesagt wird, dass man sieht. Ich lief danach zum Touristenamt in Saint-Paul de Vence, einem kleinen Raum in einer engen, naheliegenden Seitenstraße. Erzählte der freundlichen, hübschen Angestellten die Story mit dem Schweizer Touristenpaar. „Hihi, mais c’est rigolo!“, sagte sie. Rigolo heißt auf Französisch luschtig. „Monsieur, ich denke, ich weiß auch, wie es zu diesem Beschriftungsfehler kam, ich habe da mal eine Geschichte gehört“, fügte die Angestellte hinzu. „Diese Infotafel war bereits fertiggestellt, und da kamen am Tag vor der Einweihung die Verwandten von Chagall und widersetzten sich der Fotoveröffentlichung. Und daher hat man das vorgesehene Foto mit Miró, Chagall und Prévert gegen das Prévert-Foto getauscht.“
Ich habe die Angestellte nicht gefragt, ob man die ursprüngliche Beschriftung demnächst dem jetzigen Foto anpassen würde, aber ich hoffe, dass sie sie so stehen lassen, wie sie jetzt ist. Denn das ist ja luschtig.