Das Steinzeit-Haus von Belciugatele

Vom Traum, im Einklang mit der Erde zu leben

Vorlage für das spiralförmige Dach, das sich hinter dem Zentralzylinder bis zum Boden windet, war ein versteinerter Nautilus.

Cristian Lascu

Mit Mineralpigment (links), Kalk und Marmorstaub (Mitte) gestaltet die Künstlerin die Wände.

Die bekannte Darstellung einer Cucuteni-Göttin ziert den bizarr gestalteten Eingang (innen).

Eine Treppe aus massiven Eichenscheiben verbindet die drei Ebenen des zur Hälfte unter der Erde liegenden Baus.
Fotos: George Dumitriu

Nur etwa 30 Kilometer vom Zentrum der Hauptstadt entfernt versteckt es sich in einem einfachen Dorf mit dem komplizierten Namen Belciugatele, unweit der alten Straße nach Konstanza/Constanţa. Von außen nirgendwo einzusehen, im Herzen eines verwunschenen Gartens voller bizarrer Steine, Trovanten und Grabkreuze, die der passionierte Höhlenforscher Cristian Lascu hier zusammengetragen hat. Es beginnt bereits zu dämmern, als wir uns durch das Dickicht auf seinem Grundstück kämpfen.

Drei Hunde springen fröhlich voran, während er mit seiner Helmlampe auf dem Kopf den Weg erleuchtet. Wo ist denn nun das Steinzeithaus? Und was sollen wir uns darunter vorstellen? Dann, als wir an eine Lichtung kommen, verschlägt es uns fast den Atem: wie ein kostbar bemaltes, prähistorisches Tongefäß steht es auf einmal vor uns. Ein Schmuckstück mit bizarren Spiralen, mythologischen Tieren und Zeichen, weiß auf  terrakottafarbenen Wänden, die  uns augenblicklich ins Reich der Cucuteni, diesem sagenhaften Volk aus der Zeit zwischen 5500 und 3500 vor Christus, versetzen...

Der Träumer

Ursprünglich wollte ich gar kein Steinzeithaus bauen“, erklärt der Besitzer des noch nicht ganz fertigen Erdhauses, während er die ungewöhnlich geformte Tür – eine Sonderkonstruktion für den dreieckigen Rahmen aus buckligen, knorrigen Baumstämmen - aufstemmt. Eigentlich war es nur der Wunsch nach einem organischen Haus im Einklang mit der Natur, inspiriert durch ein Buch des bekannten Architekten Gernot Minke, dem deutschen Papst des Lehmbaus, der die natürlichste aller Bauweisen mit ungewöhnlichen Designs überall auf der Welt zu neuem Leben erweckt hat.

Der Wunsch nach einem intimen Ort, an den sich der Chefredakteur der Zeitschrift „National Geographic Romania“ von der Hektik des Alltags abends gemütlich zurückziehen kann, zu zweit, mit einem Glas Wein, oder allein mit dem Laptop, ohne von Kleiderschränken, Waschmaschine, Fernseher und anderen Gebrauchsgegenständen des Alltags erstickt zu werden. „Die Praxis wird zeigen, wie es sich in einem Haus ohne einen einzigen rechten Winkel lebt“, lacht Lascu. Freilich war ihm von Anfang an klar, dass er für sein Unterfangen hierzulande keinen Architekten finden und dass niemand ein Projekt für ein Haus ohne Betonfundament genehmigen würde. Für so etwas gibt es längst keine rechtlichen Normen mehr – obwohl der Bau mit Ziegeln aus Lehm und Stroh („chirpici“) in Rumänien Tradition hat.

Freilich muss der moderne Rückkehrer ins Neolithikum auch ein paar Kompromisse hinnehmen: Unter dem noch nicht ganz vollendeten Schilfdach verbirgt sich dezent eine Hydroislolationsfolie, die hinter dem Haus bis zum Boden reicht. An der weniger steilen Dachschräge sollen hier einmal Gras und Blumen wachsen. Die geschickt in den Rundbau eingefügten Fenster sind Thermopan-verglast und unter dem winzigen Badezimmer mit fließendem Wasser, gut in einer Höhle verstecktem Boiler und Dusche gibt es selbstverständlich eine Klärgrube. Na, und auch der Laptop will sicher nicht ohne Strom! Wo es jedoch irgend möglich war, verwendete der Bauherr bewusst Naturmaterialien und berief sich auf alte Methoden, bekannt aus dem Neolithikum und der Zeit der Daker und Römer. 

Leben in einem historischen Gefäß

Den Hunden folgend, die längst durch die offene Tür gestürmt sind, betreten wir ehrfürchtig das kostbare Gebilde. Durch die ringsum angeordneten Fenster fällt gedämpftes Abendlicht auf bauchige, üppig bemalte Wände: links neben der Eingangstür eine wohlbekannte Göttinnenfigur, dann Spiralmuster in Rost und Brauntönen und eine „Kultnische“, in der mal die Kopie einer echten Cucuteni-Vase zur Geltung kommen soll, erklärt Cristian Lascu und fügt hinzu: „Alle Malereien hier sind exakte Nachbildungen von Motiven der Cucuteni.“ Seit er den Ausstellungskatalog   „Cucuteni-the last chalcolithic civilization of Europe” (Thessaloniki 1997) mit Fotografien von George Dumitriu gesehen hatte, hatte ihn die geheimnisvolle Kultur mit den filigran dekorierten Tongefäßen, die einst die gesamte Moldauregion bis zur heutigen Ukraine besiedelte, schlagartig in den Bann gezogen.

„Es gab sogar Kultgefäße, die innen bemalt waren“. So wie dieser Raum... Nun erst erkennen wir, dass sich der Bau genauso weit nach unten erstreckt wie nach oben. Ein paar Baumstämme aus Akazienholz bilden die Achse dieser Höhle aus Lehm. Sie enden oben in einem Dach aus radial abstehenden Speichen, wie bei einer Jurte. Die Wände bestehen ebenfalls aus massiven Baumstämmen, irgendwie ineinander verkeilt, die Zwischenräume mit einem Gemisch aus Lehm und Stroh aufgefüllt, das auf Weidenflechtmatten aufgetragen wurde. Ein Projekt gab es nicht für dieses mutige Bauwerk.

Vier Höhlenforscher-Freunde haben es für Cristian Lascu in wenigen Tagen aufgebaut, während er zur Arbeit war. „Nehmt nur, was ihr im Garten findet“, hatte er sie instruiert. Steine, Erde, Baumstämme, ein alter Telefonmast...  Über eine urige Treppe aus massiven Baumscheiben folgen wir unserem Gastgeber hinab in den Bauch des Gefäßes.

Die Künstlerin

Zweite Etage, unter der Erde. Wir fühlen uns wie in einer Höhle. Von oben fallen letzte Lichtstrahlen auf blütenweiße Wände. Am Ende der Treppe geht es noch ein wenig tiefer in einen dritten Raum hinein, in dem eine aparte Frau mit Mütze, dickem Pulli und Skihosen gerade damit beschäftigt ist, weißen Putz mit einem Spachtel auf die Wand aufzutragen. Lächelnd streckt sie uns die Hand entgegen: „Cristina“. 

Eine Arbeitslampe auf dem urigen Lehmofen am Grund dieses Raums - oder besser gesagt, dieser Nische, denn die drei Niveaus des eiförmig in die Erde ragenden Baus gehen nahtlos offen ineinander überbeleuchtet die Szene. Drei randvolle Eimer mit einem Kalk-Marmorpulver-Gemisch, das schon die Römer zum Verputzen verwendeten, wie Cristina erklärt. Kabelsalat, Jacken, Helme mit Grubenlampen.

Die Absolventin der Universität für plastische Kunst, die sich nach dem Studium als Restaurateurin etablierte und auf langjährige Erfahrung zurückgreifen kann, ist auch für die Fresken in der obere Etage und die Außenwandreliefs zuständig. Sie teilt nicht nur das Leben, sondern auch die Träume von Cristian Lascu. „Wenn das alles mal fertig ist, werden wir die Schuhe oben ausziehen und nur mit Socken herumlaufen“, schwärmt sie. Er schildert, wie die beiden unteren Räume mit Stierhäuten abgetrennt werden sollen. Am Boden wollen sie Felle auslegen. Geheizt wird mit einem Lehmofen, dessen Kamin die Achse des Baus bis zum Dach durchquert. Vom oberen Rand der Treppe tauchen die Köpfe der beiden Spaniels auf.

Inspiration aus der Steinzeit

Während Cristina ins eigentliche Wohnhaus geht, um schnell einen Tee zu kochen, hocken wir uns in die Bambusstühle in der oberen Etage. Der Höhlenforscher setzt mir seinen schweren Lampenhelm auf, damit ich mitschreiben kann, die Hunde rollen sich links und rechts von uns ein und verfallen fast augenblicklich in regelmäßiges, lautes Schnarchen.  Mit ihren Rücken an die bemalte Wand geschmiegt träumen sie sicher von den Cucuteni.

Wer war dieses geheimnisvolle Töpfervolk mit seiner gut 2000 Jahre alten Zivilisation?  Da es lange Zeit nur trockene archäologische Fachpublikationen gab, machte sich Cristian Lascu  selbst daran, einen allgemeinverständlichen Artikel zu schreiben, der 2006 in National Geographic  erschien. Wir sitzen im Halbdunkel bei dampfendem Quittentee.  Der Raum, nur vom Lichtkreis der Lampe auf meiner Stirn erhellt, wirkt nun wie eine gemütliche Höhle. Faszinierend, wie modern die Malereien der Cucuteni erscheinen, bemerkt Lascu. Modern? „Kannst du dir eine Horezu-Vase neben einem Computer vorstellen?“ fragte er und gibt gleich selbst die Antwort: „Nein, die passt nur in die Küche. Aber das hier passt selbst heute überall hin“. Die Cucuteni definierten sich über ihre kunstvoll bemalte Keramik. Obwohl sie noch nicht einmal das Rad kannten, also nicht weit reisen konnten, fand man ein und dieselben Muster an bis zu 1000 Kilometer entfernten Stätten.

Wahrscheinlich gab es Schulen und Wettbewerbe unter den von einem Ort zum andern wandernden Künstlern.  Selbst Gefäße für den Hausgebrauch waren reich verziert. Kunst bedeutete viel für dieses  Volk, das in einer Zeit des Friedens und Überflusses lebte und sich von Jagd, Fischerei, Viehzucht und Ackerbau ernährte. Ihre Toten bestatteten sie in zugänglichen Räumen unter den Häusern, wo  sie zu rituellen Zwecken immer wieder aufgesucht wurden. Ob man ihnen Opfergaben brachte? Welche Götter sie verehrt haben mögen?

Eine wichtige Rolle spielten auf jeden Fall weibliche Gottheiten, von denen man jede Menge Statuetten fand. Faszinierend vor allem eine Figurine aus Ton mit einem Hohlraum in der Beckenregion, in dem sich 23 kleine Kügelchen befanden! Wahrscheinlich ein Menstruationskalender, der darauf hinweist, dass die Frauen damals einen Zyklus von 23 Tagen hatten.

Ob er sich auch architektonisch an der Steinzeit orientiert hat? Cristian Lascu lacht. „Nein, das hier ist kein authentisches Modell! Die Cucuteni bauten eckig und einfacher.“ Nur die  Materialien und Techniken haben sich der Träumer und die Künstlerin aus alten Zeiten geborgt: Steine, Holz, Lehm und Stroh; der Marmor-Kalk-Verputz, die Fresko- und Graffito-Technik mit Mineralpigmenten,  den wasserfesten Anstrich aus einem Kalk-Sand-Magerkäse- Gemisch zur Versiegelung von Oberflächen, die dem Wasser ausgesetzt sind.

Mit Improvisationstalent und handwerklichem Geschick  kommt man sogar billiger als mit modernen Materielien, meint Cristian Lascu.
 2011 rieten die beiden in einer Prähistorik-Zeitschrift: Es gibt  einen neuen Trend zur Architektur aus Lehm. Es wäre sinnvoll, wenn man sich hierfür aus der Steinzeit inspirieren würde!