Dem Krieg zum Trotz: Kulturerbe sichtbarer machen

EU-Projekt fördert grenzüberschreitenden Tourismus zwischen Rumänien und der Ukraine

Digitales Infoterminal auf dem Gelände des Schlosses in Großkarol

Vertreter der beiden Projektregionen beim Besuch des Schloss Károlyi in Großkarol im November 2022 | Fotos: Gesellschaft für Interkommunale Entwicklung des Kreises Sathmar

Digitales Infoterminal vor der Schlossanlage in Medieșu Aurit

Der Kreis Sathmar/Satu Mare sowie die nördlich angrenzende Region Transkarpatien in der Ukraine verfügen über ein reichhaltiges Kulturerbe. Um das touristische Potenzial der Schlösser, Burganlagen sowie Herrenhäuser beträchtlich zu steigern, haben sich mehrere Akteure in einem Projekt zusammengeschlossen. Die EU fördert das grenzüberschreitende Projekt zum Großteil im Rahmen des „ENI Cross-border Cooperation Programms 2014-2020“.

Dennoch stehen beide Regionen im Schatten national weit berühmterer Attraktionen. Nur wenige der historisch relevanten Kulturgebäude sind restauriert. Die meisten von ihnen wurden vernachlässigt und verfielen schon in den Jahrzehnten der kommunistischen Ära. Auch nach dem Fall des Eisernen Vorhangs haben beide osteuropäischen Staaten verhältnismäßig wenig in den Erhalt des Kulturerbes investiert. Die architektonischen Kulturschätze, die die wechselvolle Geschichte beider Regionen erzählen, versanken so in der touristischen Bedeutungslosigkeit. Doch die benachbarten Regionen haben sich trotz der Herausforderungen Corona-Pandemie und Ukraine-Krieg zusammengetan, um Lösungen für das gemeinsame Problem zu entwickeln.

Kulturelles Erbe und Potenziale sichtbar machen

„Rumänische Touristen können Festungen in der Ukraine zu erschwinglichen Preisen besuchen. Viele reisen in ferne Länder, aber wissen sie, was hinter den Bergen liegt? Ich interessiere mich für die ukrainische Kultur und immer wenn ich mit jemandem von dort spreche, frage ich, wann ich das Land besuchen kann. Rumänen, die in die Ukraine reisen, haben oft ein Déjà-vu-Erlebnis und sehen, dass sie auch dort zu Hause sind. Wir haben viele kulturelle und historische Gemeinsamkeiten. Wenn es uns gelingt, die Touristen mit unserer Leidenschaft anzustecken, werden wir viel mehr als nur Dienstleistungen anbieten können“, beschrieb Felician Pop, stellvertretender Direktor des Zentrums für die Förderung und Bewahrung der traditionellen Kultur im Kreis Sathmar, die Situation beim ersten Zusammentreffen der Projektpartner im Juli 2021.

Wie lassen sich also die historischen Kulturschätze und das touristische Potenzial der Regionen besser in Szene setzen? Im Rahmen der EU-Initiative „Partnership without borders“ (Partnerschaft ohne Grenzen) haben der Kreis Sathmar und die Region Transkarpatien das Projekt „SMAR.T.OURISM - THE THEMATIC ROUTE OF CASTLES“ initiiert, welches am 1. Juni 2021 offiziell startete und Ende vergangenen Monats endete. Hinter dem Akronym verbirgt sich das Ziel, das große touristische Potenzial der Grenzgebiete Sathmar und Transkarpatien wesentlich zu fördern. Hierzu wurde im Laufe der Projektarbeit eine grenz-überschreitende thematische Route entwickelt, die die lokale Kultur und das historische Erbe mit Hilfe von Informationstechnologien, Erfahrungsaustausch und kleinen Infrastrukturinvestitionen fördert. Insgesamt verfügte das Projekt über ein Volumen von über 380.000 Euro. Davon stammen etwa 330.000 Euro aus EU-Töpfen. Die Restsumme wird aus Eigenmitteln der Projektpartner finanziert. Zur Planung und Umsetzung des Projektes haben sich die Gesellschaft für Interkommunale Entwicklung des Kreises Sathmar als „Lead Partner“, die Agentur für regionale Entwicklung und grenz-überschreitende Zusammenarbeit „Transkarpatien“ sowie der Gemeinderat des Ortes Onokivska als Partner zusammengeschlossen.

Kontinuierlicher Dialog trotz Corona-Pandemie und Krieg 

Das ambitionierte Projekt musste sich von Beginn an mit einigen Herausforderungen auseinandersetzen. Der Startschuss Anfang Juni 2021 fiel in eine Zeit, in der sich die endgültigen Auswirkungen und potenzielle Hindernisse der Corona-Pandemie noch nicht absehen ließen. Trotzdem folgten bereits im Juli des gleichen Jahres erste Treffen zum Austausch und der gemeinsamen Erörterung. Ende Februar 2022 kam dann die nächste Hiobsbotschaft mit dem Angriff Russlands auf die Ukraine. Trotz des Kriegsausbruchs konnte das Projekt weitergeführt werden, da sich Kriegshandlungen glücklicherweise bisher nicht wesentlich auf den südwestlichen Teil der Ukraine ausgeweitet haben. Gerade für die Vertreter auf ukrainischer Seite war dies eine nahezu bizarre Situation, da man über zukünftige Projektziele sprach, ohne die Gewissheit zu haben, dass die Kulturschätze in naher Zukunft überhaupt noch da sein werden.

Beide Regionen sind reich an Schlössern und Herrenhäusern, von denen einige bereits saniert sind, andere sich in schlechtem Zustand befinden, aber die meisten nicht wirklich bekannt sind und teils nur wenige Touristen anlocken. Die Schaffung einer gemeinsamen grenzüberschreitenden Themenroute stellte eine Lösung dar, um diese Kulturgüter in den Vordergrund zu rücken und den grenzüberschreitenden Tourismus zu entwickeln. Darüber hinaus soll sie auch zur wirtschaftlichen Belebung der Grenzregionen beitragen. Nach regem Austausch wurde klar, dass es dem Tourismus im Grenzgebiet an einer gemeinsamen Strategie und konkreten Angeboten fehlt. Die Hauptaktivitäten des Projekts lassen sich mit vier Schlagworten – Investitionen, Entwicklung, Förderung sowie Kommunikation – zusammenfassen. Hierzu gehören Investitionsarbeiten in einem der Schlösser auf der Route, die Entwicklung der grenzüberschreitenden thematischen Tour durch eine Applikation für Mobiltelefone und deren verstärkte Bewerbung durch Karten, Broschüren, Filme sowie über Social-Media-Kanäle. Die Kommunikation über regelmäßige Treffen stellte ebenfalls eine wichtige Komponente dar. Beide Projektregionen haben bereits Erfahrung in der Umsetzung von grenzüberschreitenden EU-Projekten auf der touristischen Ebene. Über das „ENI Cross Border Cooperation Programme“ wurden bereits zahlreiche Kooperationsprojekte zwischen den Nachbarstaaten Ungarn, der Slowakei, Rumänien sowie der Ukraine gefördert.

Hauptnutznießer des Projektes sind die Touristen, während die partizipierenden lokalen Gemeinden, die an der thematischen Route liegen, ebenfalls nachhaltig profitieren sollen. Der innovative Charakter des Projekts liegt in der Nutzung von neuen Informationstechnologien wie Apps zur Förderung des grenz-überschreitenden Tourismus zwischen Rumänien und der Ukraine.

20 Sehenswürdig-keiten, zwei Länder, eine Route

Interessierte können zunächst 20 Sehenswürdigkeiten auf der thematischen Route „SMAR.T.OURISM“ entdecken. Der Kreis Sathmar wird dabei von insgesamt zehn Schlössern, Burganlagen und Herrenhäuser repräsentiert. Dazu gehören die bekannteren Bauten in Großkarol/Carei und Erdeed/Ardud. Das Schloss Károlyi in Großkarol, dessen Ursprung auf das Ende des 15. Jahrhunderts zurückgeht, wurde vor über zehn Jahren umfassend renoviert und wird seitdem jährlich von tausenden Besuchern besichtigt. Auch die teils aus Ruinen bestehende Burg in Erdeed ist durch ein jährlich veranstaltetes Mittelalter-Festival über die Kreisgrenzen hinaus bekannt. Zu den weiteren Objekten in der Region Sathmar gehören diejenigen in Kriegsdorf/Hodod, Medieșu Aurit, Săcășeni, Livada, Pomi, Turterebesch/Turulung und Trestenburg/Tășnad.

In der Region Transkarpatien gehören die ebenfalls bekannteren Schlösser Uschhorod und Mukatschewo sowie Sehenswürdigkeiten in Khust, Nevytske, Vynohradiv, Korolevo, Serednye, Kvasovo, Chynadiiovo und Dovhe zur thematischen Route.

Informativer, digitaler, attraktiver

Nach der Festlegung der einzelnen Kulturobjekte für die thematische Route der Schlösser, Burgen und Herrenhäuser ging es auch daran, zu erörtern, wie man diese aus touristischer Perspektive sichtbarer und attraktiver machen kann. Letztlich entstand so die Idee von insgesamt vier digitalen Infoterminals, zwei Spielplätzen für die Kleinsten sowie diverse touristische Infomaterialien in Druckform. Die kameraüberwachten Infoterminals wurden bereits dieses Jahr im Kreis Sathmar bei den Schlössern in Großkarol, Livada und Medieșu Aurit sowie bei der Burgruine Nevytske in Transkarpatien in Betrieb genommen. Die beiden Spielplätze sind für die Orte Kriegsdorf (Sathmar) sowie Khust (Transkarpatien) vorgesehen. Der Spielplatz auf ukrainischer Seite  wurde bereits fertiggestellt.

Für eine effektivere Öffentlichkeitsarbeit soll vor allem auch ein eigens für das Projekt gestarteter Facebook-Kanal genutzt werden, der über Projektereignisse Auskunft gibt. Über die Applikation können sich alle Interessierten die Route anzeigen lassen und damit die einzelnen Schlösser und Herrenhäuser leichter auffinden.