Der Kobold im weißen Haus

...oder die mögliche Welt durch Donald Trumps Augen

Der Alltag der sogenannten westlichen Welt hat sich in den letzten Jahren entscheidend geändert. Das fast unbemerkte Gleiten aus einer Krise in die andere hat zu einer veränderten Wirklichkeitswahrnehmung geführt. Die als selbstverständlich betrachteten demokratischen Werte sind unter Beschuss geraten. Der Feind steht aber nicht nur draußen vor der Türe, sondern auch in einem selbst. Beinahe könnte man meinen, dass der Strick, den man gedanklich zum Morden in der Hand hält, am besten am eigenen Hals aussehen würde. Fast sinnbildlich dafür geht die berühmte kalifornische Traumfabrik, die an dem Schriftzug auf dem Hügel zu erkennen ist, in Flammen auf. Gleichzeitig spielt ein Kobold im Weißen Haus ungestört mit Feuerzeug und Benzinkanister und erwartet weltweiten Beifall.  


Seit Anfang der Woche offiziell im Amt sitzend, unterschreibt Donald Trump ein Dokument nach dem anderen. Das Leuchten in seinen Augen erinnert an ein Kleinkind, welches es zum ersten Mal geschafft hat, seinen eigenen Namen auf ein Stück Papier zu kritzeln und gerade versteht, was es getan hat. Je öfter er das tut, desto faszinierter wird er von der Niederschrift seines eigenen Namens. Vor lauter Begeisterung rutscht ihm sogar ein „Oh, that`s a big one“ (Oh, das ist was Großes) aus. Des Lesens scheinbar doch nicht fähig, obwohl man meinen könnte, dass er während seines ersten Mandates wenigstens das demokratische Buchstabieren gelernt haben sollte, welches er in den darauffolgenden Pausejahren vertieft hätte haben können, setzt er von der eigenen Begeisterung eingenommen seinen Namen auf ein Blatt nach dem anderen. Und so gibt es plötzlich aus dem Nichts heraus in den USA einen „Energienotstand“, nur damit man am Pol Erdöl fördern darf. Oder einen weiteren Notstand an der Südgrenze des Bundesstaates, der den Einsatz von militärischen Schutztruppen erlaubt. Oder dass Drogenkartelle zu terroristischen Gruppierungen werden, dass gleichzeitig 1600 Spinner, die das Parlament gestürmt haben, freigesprochen werden, dass Minderheiten keine Minderheiten mehr sein dürfen, dass Umweltschutz- und Gesundheitsverträge im Müll landen, dass Medienmoguln sich mitten am Pol der Macht sonnen können… Und das Unterschreiben will nicht aufhören… So schön leuchten die in Tinte auf dem Papier hinterlassenen Spuren, die sich zu den Worten Donald Trump zusammenfügen, dass er einfach weiter machen muss…

Ein altehrwürdiges Haus

Auf dieser Seite des Ozeans, auf dem alten europäischen Kontinent, schüttelt man, teilweise erhaben, den Kopf über den vermeintlichen Tollpatsch, der unterschreibend am Schreibpult sitzt. Man hofft, dass der Blondschopf sich schnell langweilen und dass das Unterschreiben so schnell wie möglich aufhören wird. Doch eigentlich steht man ratlos da und weiß nicht wirklich wohin. Das altehrwürdige Haus Europa entpuppte sich in letzter Zeit als bei Weitem nicht so sicher, wie man gedacht hatte. Angriffe von innen und von außen drohen die vermeintlich so festen demokratischen Grundmauern zum Einsturz zu bringen. Man befürchtet rechtsradikale Erdbeben, da populistische tektonische Platten in Bewegung geraten sind. Zwar ist den Grundmauern noch nicht wirklich ein Schaden anzusehen, doch so manch kleiner Riss und bröckelnder Verputz sind an der Fassade des alten ehrwürdigen Hauses zu bemerken. Alle schreien, dass Sicherungs- und Sanierungsarbeiten dringend notwendig seien, aber scheinbar fehlt die Expertise dazu. Man sucht nach Lösungen, doch sind diese nirgendwo zu finden. Die amerikanischen Posaunen, die aus den sozialen Medien immer lauter tönen, machen die Sicherungseingriffe noch schwerer. Man versucht, die Hausbewohner an die demokratischen Hausgemeinschaftsregeln zu erinnern, doch viele wollen nichts mehr davon hören. Sie schauen auf X, sie schauen auf Facebook, nehmen sich den Kobold in Washington zum Vorbild und meinen, man müsse es ihm nachmachen. Die alten Hausregeln scheinen ihnen antiquiert und sie möchten sie neu schreiben. Die europäische Hausleitung redet von fehlenden digitalen Kompetenzen, von unmündiger Wählerschaft, doch ist sie oft zu träge, um rechtzeitig zu reagieren.   

Sie steht vor manchem Problem wie der Ochs vor dem neuen Tor und fragt sich, wo die Schuldigen zu suchen sind, die die Hausgemeinschaft von den vertrauten und bekannten Wegen abgebracht haben. Meistens macht sie es sich einfach und sagt, es sind die anderen: die Musks, die Zuckerbergs, die Bezos, die Putins, die Feinde, wer auch immer sie sind, die Andersgesinnten, die Außerirdischen. Man weiß „The truth is out there“ (Die Wahrheit ist dort draußen) – nur findet man keinen Agenten Mulder, der wie in „Akte X“ das Unerklärliche plausibel machen könnte, um dadurch zu einer noch nicht zu erkennenden, aber sicher rettenden Lösung zu verhelfen. Bis man endlich reagiert, hält man unerwartet eine neue Hausordnung in der Hand und weiß nicht wohin damit. 

Great again...

Währenddessen unterschreibt der blonde Kobold  in Washington DC, dessen Name an eine Zeichentrickfilm-Ente erinnert, fleißig weitere Papiere. Nebenbei versucht er sogar, Monopoly auf der Weltkarte zu spielen. Als Immobilienexperte meint er zu wissen, wie der Entwicklungsplan des Spieles ihm zum erwünschten Sieg verhelfen wird. Papiergeldscheine in der Hand, wartet er nur darauf, dass die Würfel die von ihm gewünschte Punktezahl zeigen, träumt Straßen mit schön und fremd klingenden Namen seinem Portfolio hinzufügen zu können: Kanada, Grönland, Panama-Kanal. Bis es aber so weit kommen kann, muss er anfangen, seine Duftmarken zu hinterlassen: er benennt mal schnell hier ein Gebirge, dort ein Tal um. Mit überhöhten Mietpreisen verspricht er sich, die anderen Mitspieler nach seiner Pfeife tanzen lassen zu können. Dauere es, was es wolle: 24 Stunden… 100 Tage. Zeit wird relativ, wenn es nur dazu führt, dass er seinen Traum von Größe in Wirklichkeit verwandeln kann.

Great again... Great again... Great again. Wie an einem Spielautomaten, in welchen er keine Münzen mehr reinwerfen möchte, zieht er immer wieder am Hebel und wartet darauf, dass am Bildschirm entlang des Striches in der Mitte drei Mal „Great again“ aufleuchten wird. Eines weiß dieser Spielautomatenbaron: mit den richtigen Croupiers an den richtigen Tischen kann er nicht verlieren. Die von ihm bestellten Croupiers können wie Houdinis mischen und austeilen und dabei mit gekonnten Wortspielen die Aufmerksamkeit von den Karten weglocken. Die Croupiers verteilen rosarote Brillen an die Spieler, so dass niemand mehr erkennen kann, was eigentlich gespielt wird.  

Um dieses zu gewährleisten, macht er einen Musk zum Vorsitzenden der Hunde (DOGs – Department of Government Efficiency), erlaubt er einem Zuckerberg, Lügen unüberprüft zu lassen, lässt er dankbar China ein wenig Internetfreiheit vortäuschen. Alle müssen nur in Reih und Glied antanzen und die Fäden in die Hände des „größten“ Puppenspielers aller Zeiten übergeben. Wer dazu nicht bereit ist, der wird es zu spüren bekommen und wird zur Kasse gebeten. Manche muss man halt auch zu ihrem Glück zwingen. Die eine oder andere kirchliche Würdenträgerin wird zwar feierliche Anlässe, die seinen endgültigen Sieg vorankündigen, stören, in dem sie in Gottes Namen um Mitleid bittet, doch das sind alles nur böse, böse Leute. 

Die Ode an die Freude?

In seinem ovalen Büro sitzend hört der Kobold von jenseits des großen Wassers, vom alten Kontinent her, noch so manche Stimme, die verzweifelt in die tobenden Wellen schreit, dass eine mögliche Endzeit in Sicht ist. Doch er hat vorgesorgt. Mit Geld, mit leeren Versprechen von Selbstbestimmung und medialen Dirigenten, hat er sich auch in Europa einen Chor aufgebaut, der zwar aus voller Brust noch die „Ode an die Freude“ singt, aber nicht bemerkt, dass das alte europäische demokratische Schiff auf den Eisberg zusteuert. Dieser Chor soll weiter singen. Deswegen arbeitet der Kobold schon an neuen Liedern, die er ihnen beibringen möchte. Nicht umsonst hat er sich mit Fachleuten umgeben, die den Choristen erlauben, den Eisberg als Lug und Trug darzustellen. Die können nun allen davon ein Lied singen, dass, wenn es den Eisberg überhaupt gibt, dieser nichts anders ist, als eine paradiesische Insel, auf der man mit Blumengirlanden und Cocktails aus exotischen Früchten erwartet wird. Es hat lange gedauert, aber nun hat er diese Sänger soweit. Er hat ihnen endlich die Augen öffnen können. Jetzt wissen sie es: die Wirklichkeit ist nicht das, was man sieht, sondern das, was einem von der verborgenen Wahrheit erzählt wird. Und Schritt für Schritt wird er sie so anleiten, dass sie das weltweite „Great again“, von dem er träumt, mitsingen werden. 

Wer nicht mitsingen will, der ist und bleibt engstirnig und erkennt die goldene Zukunft nicht, in die er die ganze Welt führen möchte. Es sind die Feinde des „Great again“. Es sind diejenigen, denen ihre Mitbürger am Wahltag gezeigt haben, dass sie nichts von der Welt verstehen. Die, die es verstanden haben, haben ja ihn, Donald Trump, zurück in die mietfreie Wohnung gebracht, die zwar noch in Weiß strahlt, aber langsam und mit Geduld, Raum für Raum im geliebten Rotgelb frisch gestrichen wird. Und wer nicht mit anpacken will, dem wird das bekannte „You are fired“ um die Ohren geknallt. 


Karikaturen von NEL: www.nelcartoons.de