Der Mathematiker mit Weitblick

Martin Bottesch hat den Vorsitz des Siebenbürgenforums abgegeben: Rückblick auf eine bewegte Zeit

Mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, DFDR-Vorsitzendem Dr. Paul-Jürgen Porr und Erwin Josef Țigla Foto: privat

Martin Bottesch, der Politiker, der Mathematiker, der Pädagoge, der Buchautor, Mundartforscher, Hobbyhistoriker, Träger des Bundesverdienstkreuzes – wenige Menschen schaffen es, so viele Dinge unter einen Hut zu bringen, so vielen verschiedenen Leidenschaften nachzugehen, sich langjährig so nutzbringend für die Gemeinschaft einzusetzen, neben Familie und Beruf. Der letzte Meilenstein als Vorsitzender des Siebenbürgenforums (DFDS) war das Große Sachsentreffen 2024, ein fulminantes Fest, das Siebenbürger Sachsen aus aller Welt in Hermannstadt/Sibiu vereinte und die Jugend über Ländergrenzen hinweg vernetzte. Nun hat er nach elf Jahren an der Spitze des DFDS sein Amt einem anderen überlassen: auf der zweiten ordentlichen Vertreterversammlung am 16. November hat er sich nicht mehr zur Wahl gestellt.  Sein Nachfolger ist der Klausenburger Radu Nebert. Warum sich Martin Bottesch zu diesem Schritt entschlossen hat, worauf er in seiner Zeit seines Wirkens als Mathematiklehrer, als Kreisratsvorsitzender und im Verband am liebsten zurückblickt - und auf welche Dinge er sich jetzt im neuen Lebensabschnitt freut, verrät er ADZ-Chefredakteurin Nina May.

Herr Bottesch, warum haben Sie sich entschieden, sich nach so langer und engagierter Zeit als Leiter des Siebenbürgenforums nicht mehr der Wahl zu stellen?

Bei der Ausübung jedes Amtes ist es irgendwann an der Zeit, die Verantwortung an Jüngere abzugeben. Das sollte man nicht zu spät tun. Junge Menschen sind flexibler, sie kommen mit neuen Ideen, was sich auf das Verbandsleben – das Siebenbürgenforum ist ein Verband – positiv auswirkt.

Warum haben Sie sich damals gleich nach der Wende für das Demokratische Forum der Deutschen in Rumänien (DFDR) engagiert? Haben Sie nicht ans Auswandern gedacht? Was hat Sie bewogen, zu bleiben?

Nach der Wende wurde es für die deutsche Minderheit möglich, sich frei zu organisieren und sich selbst zu vertreten. Wie andere damals auch hatte ich erkannt, dass wir das aber auch tun müssen, wenn wir wahrgenommen werden wollen und eine Chance haben sollen, als Gruppe mit eigener Sprache und Kultur weiter zu bestehen. So machte ich im Forum seit dessen Gründung mit. Meine Frau (Anm. Red.: die Germanistin Dr. Johanna Bottesch) und ich waren nicht von Anfang an entschlossen, zu bleiben. Als die Strukturen der deutschen Gemeinschaft sich alle aufzulösen schienen, sahen wir die Auswanderung als Option. Wir wollten uns damit jedoch nicht beeilen. Bald wurde es uns klar, dass man sich hier in die neuen Gegebenheiten hineinfinden kann und dass man in Deutschland das, was hier an Gemeinschaftsleben verloren gegangen war, nicht wiederfinden würde. Im Jahr 1992 fiel dann unsere Entscheidung, zu bleiben. Das Empfinden, als Lehrer hier gebraucht zu werden, aber auch die Mitarbeit im Forum haben dazu beigetragen.

Sie gehören zur Minderheitengruppe der Landler. Ist das für Sie identifizierend, wie hat das Ihre Kindheit oder gar Ihren Lebensweg geprägt?

Meine Eltern haben mit uns Kindern Landlerisch gesprochen, welches somit meine „Muttersprache“ ist. Ich spreche sie auch heute mit meinen Söhnen und allen Bekannten, die sie sprechen können. Mit der Mundart hängt das Bewusstsein zusammen, zur Gruppe der Landler zu gehören, die eine eigene, besondere Geschichte haben. Unter meinen Vorfahren befinden sich aber auch Siebenbürger Sachsen, was erklärt, dass ich einen sächsischen Nachnamen habe. Meine landlerischen Vorfahren sind allerdings in der Mehrheit. Im Umgang mit Siebenbürger Sachsen bin ich Landler, im Umgang mit Rumänen und Ungarn, die von Landlern in der Regel nichts wissen, bin ich Siebenbürger Sachse. Darin liegt kein Widerspruch, denn die Landler sind in die Gemeinschaft der Siebenbürger Sachsen aufgenommen und integriert worden.

Sie waren elf Jahre lang Vorsitzender des Siebenbürgenforums, zwei Mandate lang Kreisratsvorsitzender seitens des DFDR (2004-2008 und 2008-2012) inHermannstadt, engagierter Mathematiklehrer im Brukenthal-Lyzeum bis 2023 – Was hat Sie bewogen, sich so vielseitig zu engagieren? Was war Ihre schönsteZeit? Auf welche Errungenschaft blicken Sie gerne zurück?

Für den Lehrerberuf hatte ich mich durch das Studium der Mathematik vorbereitet, meine berufliche Laufbahn verlief zunächst den Erwartungen gemäß. Dass ich 2004 zum Kreisratsvorsitzenden gewählt wurde, hängt mit dem besonderen Wahlerfolg des Deutschen Forums nach dem ersten Bürgermeistermandat von Klaus Johannis zusammen. Auf eine solche Funktion hatte ich nicht hingearbeitet und war darauf auch nicht vorbereitet. So folgte nach dieser Wahl für mich eine Zeit des intensiven Lernens. Es war alles sehr spannend und es war nicht einfach, sich auf der politischen Bühne zu behaupten.

Dennoch blicke ich auf diese Zeit gerne zurück, weil man an der Spitze der Kreisverwaltung die Möglichkeit hat, zur Verwirklichung vieler Projekte beizutragen. Das größte war in meinem Fall die Modernisierung des Hermannstädter Flughafens. Aber auch andere, etwa die Verbesserung der Kreisstraßen, die Müllentsorgung, die Instandhaltung oder der Neubau von Gebäuden für die Bereiche Soziales, Gesundheit, Kultur und Sonderschulwesen waren wichtige Projekte, auf die ich gerne zurückblicke.

Die Monografie Ihres Heimatdorfes Großpold/Apoldu de Sus ist 2011 erschienen, als Sie Kreisratsvorsitzender waren. Wie hatten Sie Zeit, sich auch damit zu befassen?

Bereits in den 1990er Jahren hatte ich begonnen, an der Monografie zu arbeiten, als es klar wurde, dass vieles von dem, was im Dorf einmal war, in Vergessenheit geraten wird. Die damals alten Leute hatten die Zwischenkriegszeit, den Zweiten Weltkrieg und den Kommunismus erlebt und konnten eine Menge erzählen. So machte ich viele schriftliche Aufzeichnungen und Tonaufnahmen, aber sie alle zu bearbeiten und dazu noch in Archiven die ältere Geschichte der Ortschaft zu erforschen, erforderte mehr Zeit, als ich mir in den darauffolgenden etwa zehn Jahren dafür nehmen konnte. Als im Jahr 2006 das Buch erst teilweise geschrieben war und ich als Kreisratsvorsitzender noch weniger Zeit als vorher hatte, fand ich in Dr. Ulrich Andreas Wien einen Mitarbeiter, mit dem wir es schafften, die Monografie 2011 zu veröffentlichen. Ich freue mich, dass es mir gelungen ist, das Buch später ins Rumänische übersetzen zu lassen. Die Übersetzung ist voriges Jahr erschienen.

Sie waren entscheidend an der Gründung des Lehrerbildungszentrums inMediasch beteiligt. Warum war das damals so wichtig und welche Rolle spielt dieses heute noch?

Der Erfolg des deutschsprachigen Schulwesens hängt sehr von der Qualität der Vermittlung der deutschen Sprache ab. Die Vermittlung erfolgt in allen Fächern, die in dieser Sprache unterrichtet werden. Damit ein gutes Niveau erhalten werden kann, ist die Fortbildung der Lehrkräfte in der Unterrichtssprache notwendig. Diese war zwar gesetzlich schon in den 1990er Jahren möglich, aber eine Einrichtung, die eine solche Fortbildung anbietet, gab es zunächst nicht. Das Forum hat mehrere Eingaben ans Ministerium gemacht, damit ein Rahmen für die Fortbildung in deutscher Sprache geschaffen würde. Schließlich geschah das 1998 unter Bildungsminister Andrei Marga durch die Gründung des Zentrums für Lehrerfortbildung in deutscher Sprache (ZfL) mit Sitz in Mediasch. Diese Einrichtung, vom Ministerium finanziert, nimmt Aufgaben der Fortbildung für die deutschsprachigen Lehrkräfte aus dem ganzen Land sowohl im muttersprachlichen Bereich als auch für Deutsch als Fremdsprache wahr und hat im vorigen Jahr ihr 25-jähriges Bestehen gefeiert.

Jenseits des Fortbildungsangebots schafft das ZfL auch ein Zusammengehörigkeitsgefühl der Lehrkräfte aus dem deutschsprachigen Schulbereich, da die Teilnehmenden aus verschiedenen Schulen und Ortschaften zusammenkommen, sich kennenlernen und austauschen.

Was hat Sie am Lehrerberuf mehr fasziniert: die Mathematik an sich, dieMathematik zu vermitteln bzw. andere dafür zu begeistern - oder der Einfluss, den man auf die Entwicklung junger Leute als Lehrer hat?

Um jemanden für Mathematik zu begeistern, muss man selbst davon begeistert sein. Das ist bei mir seit meiner Schulzeit der Fall. Natürlich kann man nicht alle Lernenden begeistern. In der Akustik gibt es das Phänomen der Resonanz: Wenn zwei Sehnen so beschaffen sind, dass sie mit der gleichen Frequenz schwingen, dann übertragen sich durch den von einer Sehne erzeugten Ton die Schwingungen auf die andere. Ähnlich ist es mit der Begeisterung für Mathematik, man kann nur bestimmte Schüler begeistern. Der Lehrer hat aber ganze Klassen vor sich mit unterschiedlich veranlagten Schülern, die gezwungener-maßen auch das Fach Mathematik lernen müssen. Das soll ihnen nicht unnötig schwer gemacht werden, aber nützlich sein. Nützlich in dem Sinn, dass sie die anstehenden Prüfungen bestehen und möglichst schon bei der Vorbereitung einigen Spaß haben. So etwas geht schon durch kleine Erfolgserlebnisse. Man muss den jungen Leuten Mut machen und ihnen die Gewissheit geben, dass sie zu etwas imstande sind, wenn sie arbeiten. Natürlich sollen die Lernenden auch eine Ahnung von den Anwendungen der Mathematik haben und dadurch einen Sinn in diesem Schulfach sehen.

Was hat sich im Lehrberuf aus eigener Erfahrung verändert in der Zeit,in der Sie unterrichtet haben? Würden Sie diesen Beruf noch einmalergreifen? Was würden Sie jungen Leuten raten, die am Lehrberufinteressiert sind?

Der Lehrerberuf ändert sich, wenn die Gesellschaft sich verändert. Deshalb muss ein Lehrer sich anpassen und mit der Zeit mitgehen. Das gelingt den Jungen natürlich am besten. Ich habe immer wieder versucht, Schüler und vor allem Schülerinnen für diesen Beruf zu begeistern. Meist ohne Erfolg, da es heutzutage viele inte-ressante und besser bezahlte Beschäftigungen gibt. Dennoch bleibe ich dabei, dass der Lehrerberuf viel Schönes bietet und es sich lohnt, ihn zu ergreifen. Wäre ich jung, ich würde wieder Lehrer werden.

Was steht ab jetzt im Mittelpunkt Ihres Lebens? Worauf freuen Sie sich am meisten?

Nun habe ich Zeit für mein Hobby Geschichte, mit dem ich mich intensiv beschäftige. Wichtig ist für mich auch das Zusammensein mit der Familie. Leider leben die Enkel in einem anderen Land, aber Besuche in beide Richtungen sind zum Glück möglich und das Wiedersehen ist immer eine Freude. Auch möchte ich Länder und Gegenden bereisen, für die bisher die Zeit gefehlt hat.