Deutsche Restgemeinden in Zentralasien

ADZ-Interviews mit Elena Ebinger, der Leiterin des Deutschen Hauses in Bischkek (Kirgisistan) und Ekaterina Shnayder, der Leiterin des Deutschen Kulturzentrums in Fergana (Usbekistan)

Elena Ebinger, die Leiterin des Deutschen Kulturzentrums in Bischkek

Ekaterina Shnayder, die Leiterin des Deutschen Kulturzentrums in Fergana
Fotos: Hannelore Baier

Dass es (im heutigen bundesdeutschen Sprachgebrauch) „Deutschstämmige“, d.h. Staatsbürger dieser Staaten, die eine deutsche Herkunft haben und sich dem deutschen Kulturkreis zugehörig betrachten, in Ungarn, Polen oder Russland gibt, ist in Rumänien bekannt. Nur wenige wissen aber, dass Personen deutscher Abstammung auch in Kirgisistan oder in Usbekistan, zwei ehemalige Sowjetrepubliken und heute unabhängige „GUS-Staaten“ in Zentralasien, leben. Zu der vom 16. bis 18. Juni in Hermannstadt/Sibiu abgehaltenen Konferenz „Deutsch als Identitätssprache der deutschen Minderheiten in Ost-, Ostmittel- und Südosteuropa sowie in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion“  waren mit Elena Ebinger und Ekaterina Shnayder Vertreterinnen dieser beiden deutschen Siedlungsgruppen gekommen und hatten hierfür den weitesten Weg zurückgelegt. Mit beiden führte ADZ-Redakteurin Hannelore Baier  am Rande der Konferenz die folgenden Interviews.

Deutsch sprechen war verboten

Elena Ebinger wurde in Frunse geboren – so hieß die Hauptstadt der Sowjetrepublik Kirgisien – und lebt ebenda, allerdings heißt die Stadt mittlerweile Bischkek und ist die Hauptstadt der Kirgisischen Republik. Sie hat Germanistik studiert und ist die Leiterin des deutschen Begegnungszentrums.

Wie viele Deutsche leben in Kirgisistan?

Wir kennen die Zahl nicht genau, weil es keine Statistik dazu gibt, aber ihre Zahl wird nach letzten Angaben auf etwa 2500 geschätzt. Vor zehn Jahren lebten in Kirgisistan etwa 10.000 bis 12.000 Deutsche. Die meisten sind nach Deutschland ausgereist, geblieben ist vor allem die ältere Generation. Die größte Gemeinschaft gibt es in Bischkek, da sind es noch etwa tausend Deutsche.

Wie gelangten die Deutschen nach Kirgisistan?

Bei den Deutschen in Kirgisien handelt es sich vor allem um ehemalige Wolgadeutsche, die während des Zweiten Weltkrieges zwangsumgesiedelt worden sind. Dazu gehörte auch mein Großvater, der mit seiner Mutter nach Kirgisistan gehen musste.

Wo haben Sie Deutsch gelernt?

In der Familie habe ich Deutsch leider nicht gelernt. Es war völlig verboten, es war in der Sowjetzeit ein Tabu, deutsch zu sein und zu sprechen und so haben viele es vergessen. Ich habe es in der Schule als Fremdsprache gelernt und auch an der Universität studiert, denn ich bin in erster Ausbildung Deutschlehrerin. Sehr viel geholfen hat mir, dass ich einige Jahre in Deutschland gelebt habe.
In Kirgisistan gibt es kaum Leute, die Deutsch als Muttersprache sprechen. Die Generation meines Großvaters sprach noch Deutsch, die späteren haben es wegen des Verbots nicht mehr gelernt. Heute wird es in der Schule als Fremdsprache gelernt.

In der Teilnehmerliste der Konferenz werden Sie als Vertreterin des Volksrats der Deutschen in Kirgisistan angegeben. Was ist der Volksrat der Deutschen?

Der Volksrat der Deutschen versucht, alle Deutschen zusammenzubringen und zu unterstützen. Kirgisistan ist in sieben Gebiete geteilt und in jeder dieser Verwaltungseinheiten haben wir ein Komitee des „Deutschen Hauses“, das vor Ort die Sozialhilfe organisiert und desgleichen die Jugendorganisationen unterstützt.

Der Schwerpunkt unserer Arbeit liegt eigentlich auf der Sozialarbeit. Wir helfen den alten Leuten, und die machen etwa 70 Prozent aus, darunter denen, die bei der „Trudarmija“ waren oder ehemaligen Opfern von Verfolgungen. Einmal im Jahr erhalten sie ein Lebensmittelpaket dank Förderung aus der Bundesrepublik Deutschland.

Gibt es ein kulturelles Angebot in deutscher Sprache?

Leider nein, da die Leute nur schlecht Deutsch können. Wir bemühen uns, es den Leuten wieder beizubringen, zum Beispiel bieten wir Deutschkurse an. Wir organisieren in unserem Begegnungszentrum aber auch Zusammenkünfte zu verschiedenen Festen und Bräuchen, es gibt einen Chor und ich organisiere für Kinder verschiedene Angebote, um zum Beispiel durch Theaterspiel Deutsch zu lernen, oder über Basteln, usw.

Erhalten die Kirgisiendeutschen auch eine Unterstützung vonseiten der kirgisischen Republik?

Nein, leider nicht.

Leben in Kirgisistan auch andere Minderheiten?

Ja, sehr viele, es sind wohl über 90 verschiedene Völker.

Wie muss man sich das Leben in Kirgistan vorstellen?

In den letzten zehn Jahren war die politische Lage nach zahlreichen Revolutionen sehr instabil, weshalb die Investoren das Land meiden. Kirgisistan ist allgemein schlechter entwickelt als andere GUS-Staaten und nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion ist die Wirtschaft zusammengebrochen. Die Betriebe und Werke haben kaum noch Aufträge, die meisten Menschen leben in Armut.

 
Soziale und kulturelle Projekte

Ekaterina Shnayder, kam aus Usbekistan, jedoch nicht  aus dessen Hauptstadt Taschkent, sondern Fergana, wo sie die Leiterin des Deutschen Kulturzentrums ist. Ähnlich wie mit Rumänien – und anders als im Falle Kirgisistans – gibt es eine „Deutsch-Usbekische Regierungskommission für die Angelegenheiten der Bürgerinnen und Bürger der Republik Usbekistan deutscher Volkszugehörigkeit“, in deren Rahmen Fördermaßnahmen besprochen werden, die in den „Begegnungsstätten der usbekischen Bürger deutscher Nationalität in Taschkent, Samarkand, Buchara und Fergana durchgeführt“ werden. Die Unterstützung erfolgt durch die Botschaft der Bundesrepublik Deutschland und das Bundesministerium des Innern mittels der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit, ist auf der Webseite des Beauftragten der Bundesrepublik für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten, Dr. Christoph Bergner, nachzulesen.


Wie viele Deutsche leben in Usbekistan heute?

In Usbekistan leben über 7000 Deutsche, davon die meisten – rund 3.100 – in Fergana. Diese Stadt im Osten von Usbekistan hat zirka 200.000 Bewohner.

Von wo stammen die Deutschen in Usbekistan?

Die meisten Deutschen sind Nachfahren der Deutschen aus der Ukraine, die im Zweiten Weltkrieg nach Deutschland gelangten und von dort 1946 nach Turkmenistan „repatriiert“ und von dort zwischen 1949 bis 1951 nach Usbekistan, nach Fergana, Buchara oder Taschkent deportiert wurden.

Welcher Berufskategorie gehörten sie an?

Es waren vorwiegend Handwerker. In Usbekistan hat es am Anfang des 20. Jahrhunderts aber auch verschiedene deutsche Bankiers und Wissenschaftler gegeben, die Mehrzahl der heutigen Deutschen stammen aber von den Deportierten.

Wo haben Sie Deutsch gelernt bzw. durfte man es in der kommunistischen Zeit sprechen?

Ich habe Deutsch von meinem Vater in der Familie gelernt, und in der Schule und an der Universität. Früher war es verboten, Deutsch zu sprechen, jetzt kann man es frei tun.

Wie sind die Deutschen in Usbekistan organisiert?

Es gibt in Usbekistan vier Deutsche Kulturzentren, außer in Fergana auch in Samarkand, Buchara und Taschkent. In den Zentren werden zahlreiche Deutschkurse angeboten und kulturelle Veranstaltungen oder verschiedene Jugendprojekte organisiert. Wir haben gute Kontakte zu den Deutschen in Russland und Kasachstan, wir besuchen verschiedene Seminare und Konferenzen bei unseren Kollegen in Kasachstan und Russland und laden sie zu unseren Veranstaltungen ein. Im Juli werden sechs Jugendliche aus unseren Zentren an einer Veranstaltung in Deutschland teilnehmen.

Gibt es deutschsprachige Schulen?

Es gibt zwei Schulen in Usbekistan, in Fergana und in Taschkent, wo alle Schüler von der ersten bis zur neunten Klasse Deutsch unterrichtet werden, von Lehrern aus Deutschland. Aber nur im Fach deutsche Sprache und Literatur, die restlichen Fächer werden auf Russisch oder Usbekisch gelernt.

Werden Kulturveranstaltungen in deutscher Sprache angeboten?

Wir organisieren Kulturveranstaltungen in deutscher Sprache gemeinsam mit der deutschen Botschaft. Seit 2008 organisiert die Botschaft zudem jährlich ein Theaterfestival für die jugendlichen Laienschauspielgruppen aus den Kulturzentren.

Wird auch soziale Unterstützung geleistet?

Ja, und wir sind dem BMI sehr dankbar, dass wir dabei Unterstützung erhalten. In unserem Zentrum gibt es zwei soziale Projekte und zwar „warmes Essen“ und „Pflege daheim“. Etwa 20 Leute, ehemalige „Trudarmisten“ und andere Senioren, erhalten zweimal pro Woche ein warmes Mittagsessen und Personen, die es benötigen, werden zu Hause betreut. Außerdem gibt es die Winterpaket-Hilfe. Diese Unterstützung ist sehr wichtig für unsere alten Leute.

Sind aus Usbekistan viele Deutsche ausgereist?

Früher ja, jetzt tun sie es nicht mehr. 1991 gab es ungefähr 43.000 Deutsche in Usbekistan, es sind etwas über 7.000 geblieben. Nach offiziellen Angaben ist 2012 nur eine Familie aus  Usbekistan nach Deutschland ausgesiedelt.

Hat sich die politische Lage dahingehend gebessert?

Nein, sie erhalten keinen Aufnahmebescheid mehr. Und es sind die alten Leute geblieben, die nicht mehr ausreisen möchten.