Die außerordentliche Gabe Gottes

Wort zum Sonntag

Goethe legt in seinem Hauptwerk „Faust“ dem Famulus Wagner in den Mund: „Zwar weiß ich viel, doch möcht’ ich alles wissen!“ Uns alle plagt der Wissensdurst. Womit löschen wir ihn? Was den Durst unseres Leibes angeht, sind wir vorsichtig und schlucken nicht jede Flüssigkeit, sondern nur eine, die gesund erhält und erfrischt. Womit aber stillen wir den Wissensdurst? Da sind leider viele Menschen anspruchslos. Es sollen vor allem „Neuigkeiten“ sein. Damit werden die Sensationsdurstigen reichlich bedacht: Klatsch auf der Straße, Sensationsmeldungen in Zeitungen, Radio und Fernsehen. Doch Wissen, das wir durch Medien erlangen, kann nur Neugierde befriedigen, aber keine Geistesbildung vermitteln. Deshalb suchen die wahrhaft „Wissensdurstigen“ ihren Durst mit Wissenschaft zu stillen. Ein Dichter muntert uns auf: „Erbarmungsreiche Liebe neigt dem Sucher sich entgegen; jedem, der nach Wahrheit dürstet, quillt ihr Born auf allen Wegen!“ Viele Sucher wurden erfolgreich. Unser Wissen über die Natur ist gewachsen, viele Kräfte haben wir uns dienstbar gemacht.  Die durstigen Wissenschaftler werden noch auf so manche Quellen stoßen, aber der Wunsch des Famulus Wagner wird nicht in Erfüllung gehen. Kein Mensch wird „allwissend“ werden. Nur Gott allein ist „allwissend“. Deshalb soll der „wissensdurstige Mensch“ seine Grenzen erkennen. Das tun auch viele große Wissenschaftler. Große Geister haben einen weiten Horizont, kleine Geister einen engen. Isaac Newton (1643-1727), Entdecker der Schwerkraft, sagte: „Was wir wissen, ist ein Tropfen: was wir nicht wissen, ist ein Ozean!“  Der französische Forscher George Claude hatte in Tunis einen Dampfer ausgerüstet, um im Antillenmeer wissenschaftliche Forschungen anzustellen. Vor der Ausfahrt ließ er sein Schiff segnen. Dabei hielt er vor den versammelten Wissenschaftlern eine Ansprache, in der er die Bedeutung dieses Segens umschrieb: „Ich weiß nicht, welches Ihre Gefühle sind. Ich meinerseits empfinde vor meiner Abreise zu so einer schwierigen Forschung tiefer als je zuvor, wie die Wissenschaft, auf die wir so stolz sind, nur geringes Gewicht hat vor dem vielen, das über diese Wissenschaft hinausgeht. Ich glaube, den kleinen Teil des Sandkorns, das ich im ungeheuer großen Weltall bin, nicht zu vermindern, wenn ich vor dem höchsten Wesen mich verneige, um seinen Schutz zu erflehen!“ Damit bekannte er den großen Unterschied zwischen dem Schöpfer und dem Geschöpf, das einige der Schöpfungsgeheimnisse entschleiern darf.

Die Wissenschaftler haben viele Geheimnisse der Natur entdeckt und nutzbar gemacht. Können sie diese aber restlos erklären? Was ist Leben? Was ist Kraft, Magnetismus, Elektrizität? Wer in die grelle Sonnenscheibe schaut, dem wird es schwarz vor den Augen. Warum? Weil sein Auge nicht der geeignete Apparat für das blendende Lichtmeer der Sonne ist. Wenn die menschliche Vernunft Gott in seinem Wesen nicht begreifen kann, so ist das selbstverständlich, weil sie nicht der geeignete Apparat ist, denjenigen zu erfassen, der, laut Bibel, „in unzugänglichem Lichte wohnt“!

Manche Dinge, die der Menschengeist schon einmal erfunden hat, sind heute für uns zum Geheimnis geworden. Eine Eisensäule in Delhi, 350 Jahre vor Christus errichtet, hat bis heute allen Witterungseinflüssen widerstanden. Wir wissen nicht, wie die Hersteller das fertigbrachten. Die Technik, Elfenbein durch Kochen weich zu machen, um als plastische Masse zu verwenden, ist verloren gegangen, genau wie das Herstellungsgeheimnis des ägyptischen unzerbrechlichen Glases, das, wenn es eingedrückt war, durch Hammerschläge wieder ausgebeult werden konnte.
Es ist gut und erstrebenswert, die Geheimnisse, die Gott in die Dinge der Natur gelegt hat, zu erforschen und uns dienstbar zu machen. Vergessen wir dabei aber nicht, dass die Vernunft, die uns Menschen dazu befähigt, eine außerordentliche Gabe Gottes ist, für die wir täglich danken sollen!