„Die Brücke zur Vergangenheit sichert die Zukunft“

Gespräch mit Dr. Andreea Dumitru-Iacob

Foto: privat

Der Leserschaft ist sie als Germanistin und Erforscherin der rumäniendeutschen Literatur bekannt. Ihre Schüler am Samuel-von-Brukenthal-Gymnasium in Hermannstadt/Sibiu kennen sie als anspruchsvolle, aber offene Deutschlehrerin. Ihre Tätigkeit kann sowohl auf ihrer persönlichen Homepage: dumitru-andreea.com, wie auch in ihren Auftritten in den sozialen Medien verfolgt werden. Dr. Andreea Dumitru-Iacob redete mit der ADZ über Literatur, über den deutschsprachigen Unterricht in Rumänien und über die eigenen Zukunftspläne.

Sehr geehrte Frau Dumitru-Iacob, Sie haben zehn Jahre ihres Lebens dem Studium der Germanistik gewidmet. 2002 haben Sie ihr Studium an der Lucian-Blaga-Universität in Hermanstadt/Sibiu begonnen und 2012 haben Sie da auch promoviert. Danach haben Sie sich für das Lehramt entschlossen. Ein eher unüblicher Weg. Welche Beweggründe brachten sie ins Lehramt anstelle der akademischen Laufbahn?

Die Promotion hatte nicht das Ziel, eine Stelle an der Universität zu bekommen. Ich wollte mir einfach beweisen, dass ich das meistern kann. Ein Grund dafür war das Thema meiner Arbeit: Es ging um die Beziehungen zwischen den Siebenbürger Sachsen und den Rumänen im multiethnischen Raum Siebenbürgen.

Da ich selber zu den beiden Kulturen gehöre, war diese Promotion für mich sowohl Herausforderung als auch konkrete Beschäftigung mit der Geschichte meiner Vorfahren. Das erklärt auch die lange Pause zwischen der Verteidigung der Arbeit und der Veröffentlichung derselben (2012 – 2017). In diesen fünf Jahren sind meine Töchter zur Welt gekommen und meine Prioritäten haben sich geändert. Das Lehramt hat dann einfach zu dieser Lebensphase gepasst. Mehr Zeit für mich und für meine Familie. Nichtsdestotrotz habe ich weiter geforscht, sodass die Germanistik immer noch einen Schwerpunkt in meinem Leben darstellt.

Ihre Forschungstätigkeit hat sich in den letzten Jahren auch mit dem Unterricht der deutschen Sprache an Schulen mit Deutsch als Unterrichtssprache beschäftigt. In diesem besonderen Fall finden Sie sich sicher  der Dynamik des Bildungsdilemmas gegenüber gestellt: Wer bestimmt den Inhalt? Die Fähigkeiten der Schüler oder die Ansprüche an dieselben?

Mein Forschungsschwerpunkt ist die rumäniendeutsche Literatur, vor allem die aus Siebenbürgen. Es geht mir um die geschichtlichen Aspekte, um die Darstellung und um die Analyse einer sich auflösenden Welt. Eine Komponente, die von besonderer Bedeutung ist, ist hier natürlich die Sprache: Die deutsche Sprache in Siebenbürgen, die zum jetzigen Zeitpunkt mehrheitlich von Rumänen gesprochen wird.

In Anlehnung an meine Forschungsarbeit habe ich die deutsche Sprache in meiner Schule unter die Lupe genommen. Die meisten Schüler sind von Haus aus rumänischsprachig, haben aber seit dem Kindergarten Kontakt zur deutschen Sprache. Sie wachsen mit zwei Sprachen und zwei Kulturen auf. Das ist nämlich ein Privileg, das diese Kinder haben. Sie werden die siebenbürgisch-sächsische Kultur im weitesten Sinne weiterführen, wenn es keine Sachsen mehr in Siebenbürgen geben wird.

Schauen wir uns die Zahlen des Zensus von 2020 an, ist der traditionelle Träger dieser Kultur, die deutsche Minderheit in Rumänien, auf knapp 22.000 Angehörige geschrumpft. Eine Wirklichkeit, der wir uns auch stellen müssen. Die Sprache ist ein wichtiges Element, das aufrechterhalten werden soll. Dafür setze ich mich mit meinem Unterricht auch ein. Der muttersprachliche Unterricht unterstützt dieses Vorhaben.

Zurzeit gilt noch der Lehrplan, der das Schrifttum nach literaturgeschichtlichen Strömungen vorstellt. Die Sprache eines Lessings in „Nathan der Weise“ oder eines Schillers in „Kabale und Liebe“ ist schwer verständlich und für die heutigen Schüler ein Stolperstein im Prozess des Erlernens und der Vertiefung der deutschen Sprache. Man muss also den Lehrplan sowohl den sprachlichen als auch den geschichtlichen Gegebenheiten anpassen, und diesbezüglich gibt es gute Nachrichten: Es gibt einen Ausschuss, zu dem ich auch gehöre, der an einem neuen Lehrplan arbeitet.

Dieser wird die Kompetenzen und die Inhalte, die der jetzigen Generation entsprechen, verstärkt berücksichtigen. Denn man sollte realistisch sein: Die deutsche Sprache in Siebenbürgen befindet sich in einem Wandel. Die meisten Sprecher sind keine Muttersprachler mehr.

Also Deutsch als Fremdsprache, aber mit Siebenbürgen verbunden?

Nein! Deutsch in Siebenbürgen ist keine Fremdsprache (DaF) im eigentlichen Sinne, keine Zweitsprache (DaZ) und leider auch keine Muttersprache (DaM) mehr, wenn man den konkreten Bezug zum deutschsprachigen Unterricht herstellen möchte. Es gibt keine von der Wissenschaft anerkannte Bezeichnung für unser Deutsch in Siebenbürgen. Studien dazu gibt es auch wenige, denn es fehlen die Fachleute.

Wir befinden uns in einer Zwischenphase, wenn ich optimistisch bleiben soll; wir haben keine Theoretiker, dafür aber Praktiker – und zwar die Lehrer. Diese können punktuell feststellen, wie sich die Sprache in den letzten 30 Jahren nach der Wende verändert hat. Obwohl die Zahl der muttersprachlichen Schüler deutlich abgenommen hat, werden diese durch rumänischsprachige Schüler ersetzt. Dieses Phänomen ist zukunftsorientiert, denn laut Statistik der Landesschulkommission des Demokratischen Forums der Deutschen in Rumänien lernen fast 25.000 Kinder und Jugendliche an Kindergärten, Schulen, Gymnasien und Lyzeen mit Deutsch als Muttersprache (Schuljahr 2021/22, Angaben für ganz Rumänien). Es geht weiter, und das freut mich persönlich sehr.

Ihr Studium und Ihre Forschung sind von der Auseinandersetzung mit der rumäniendeutschen Literatur geprägt. Findet diese auch in Ihrem Unterricht einen Platz, auch wenn der Lehrplan, wie Sie es dargestellt haben, keine rumäniendeutsche Literatur beinhaltet?

Leider nicht. Ich versuche die beiden Bereiche getrennt von-einander zu halten. Ich habe eigentlich zwei Jobs: Schule mit Vorbereitung und Unterrichten einerseits und Forschung mit Lesen, Schreiben, Veröffentlichen und Teilnahmen an Tagungen andererseits. Den Schülern erzähle ich manchmal über meine Forschung. Ich will sie mit meinem eigenen Beispiel dazu motivieren, das Lesen als Möglichkeit der Weiterentwicklung und -bildung anzusehen. Ich lese im Unterricht gelegentlich Passagen aus der rumäniendeutschen Literatur vor, wenn diese irgendwie einen Bezug zum Lehrplanthema haben. Sonst nicht.

Ich spreche, wenn der Kontext es ermöglicht, über die Geschichte der Siebenbürger Sachsen und versuche zu betonen, dass wir dadurch hier in Rumänien die Chance einer zweisprachigen Ausbildung haben. Der Bezug zu den geschichtlichen Elementen ergibt sich sehr leicht, weil unser Schulgebäude aus dem 18. Jahrhundert stammt und es sich im historischen Stadtkern befindet.

Man möchte in den neuen Lehrplan die rumäniendeutsche Literatur als Pflichtinhalt aufnehmen. Ich kann das nur gutheißen. Die Brücke zur Vergangenheit sichert somit die Zukunft der deutschen Kultur und Sprache.

Ihre Promotion setzte sich mit der Inter- und Multikulturalität in den Romanen von Eginald Schlattner auseinander. Im Januar 2023 erscheint nun Ihr neues Buch, erneut zu Schlattner. Er bleibt für Sie, und nicht nur, anscheinend eine unerschöpfliche Fundgrube?

Das Thema meiner Doktorarbeit ist die Inter- und Multikulturalität in Eginald Schlattners Romantrilogie „Versunkene Gesichter“ (Der geköpfte Hahn, Rote Handschuhe und Klavier im Nebel). Das Buch mit dem gleichnamigen Titel ist 2017 im Honterus-Verlag in Zusammenarbeit mit dem Demokratischen Forum der Deutschen in Rumänien erschienen und aus Mitteln des Departements für interethnische Beziehungen an der rumänischen Regierung finanziert worden. Dieser Unterstützung gebührt mein Dank. Seitdem habe ich zwei weitere Bücher herausgegeben, die nichts mit dem in der Frage erwähnten Schriftsteller zu tun haben: „Der siebenbürgische Voltaire. Walther Gottfried Seidner zum 80. Geburtstag“ (2018) und „Geschichte aus Geschichten lernen. Kinderliteratur aus Siebenbürgen“ (2020). In diesem letzten Buch wurden schwerpunktmäßig die Kinderbücher der rumäniendeutschen Autorin Anne Junesch aus der Perspektive der siebenbürgisch-sächsischen Geschichte analysiert.

Es stimmt aber, dass das Werk von Eginald Schlattner die letzten Jahre meiner Forschung entscheidend mitgeprägt hat. Das Ergebnis dieser zwölfjährigen Arbeit habe ich zu einem Buch zusammengefasst: Mein neues Werk „Momentaufnahmen einer bewegten Geschichte. Zu den Schriften von Eginald Schlattner (2010-2022)“ wird am 20. Januar im offiziellen Rahmen im Spiegelsaal des Deutschen Forums in Hermannstadt/Sibiu vorgestellt. Dazu allen Interessierten eine herzliche Einladung.

Das Buch ist geschrieben und veröffentlicht. Steht der Schwerpunkt Ihrer weiteren Forschung fest oder sind Sie noch auf der Suche?

Dieses Buch sehe ich als eine Art Abschluss meiner Arbeit mit dem Schlattnerschen Werk an. Es heißt nicht, dass ich sein Werk ganz aufgeben werde – bald wird sein neuestes Buch „Brunnentore“ im Pop-Verlag, Ludwigsburg, erscheinen. Dazu gibt es meinerseits bestimmt auch eine Wortmeldung.

Zusätzlich dazu planen wir in Zusammenarbeit mit der Evangelischen Akademie Siebenbürgen, dem Demokratischen Forum der Deutschen in Siebenbürgen, dem Institut für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas und der University of Britisch Columbia im September 2023 eine Schlattner-Jubiläumstagung, da der Rothberger Schriftsteller dieses Jahr 90 Jahre alt wird. Unsere Referenten stehen schon fast alle fest; die Organisatoren erhoffen sich eine erfolgreiche Tagung.

Wie es aber mit meiner Forschungsarbeit in der Zukunft aussieht? Die letzten fünf Jahre waren sehr anstrengend und ich glaube, dass eine Pause für mich willkommen ist. Ich möchte mich auf das Verfassen von eigenen Texten konzentrieren, und bin dafür auf der Suche nach innerer Ruhe. Ich schreibe zurzeit Kürzestgeschichten und arbeite an einem Kinderbuch. Das wird mich bestimmt sicher auch sehr in Anspruch nehmen.

Interessant, dass Sie sich nun selber an die Literatur heranwagen und diese nicht nur erforschen. Können Sie etwas zu ihrem persönlichen Schreibprozess erzählen?

Das Schreiben ist für mich etwas sehr Persönliches. Ich schreibe über eigene Lebenserfahrungen, die ich zeitverschoben kritisch reflektiere. Durch die Distanz zum Geschehen lerne ich aus den eigenen Fehlern. Es ist für mich eine Art Seelentherapie, die vor einigen Jahren nicht möglich gewesen wäre. Was aus diesen Texten werden soll, weiß ich noch nicht.

Es gibt keinen konkreten Plan diesbezüglich. Ich schreibe über Ereignisse, die mich prägten bzw. prägen – ohne unbedingt an die Adressaten zu denken. Wer mich kennt, weiß, dass ich kein langweiliges Leben führe – es gibt also genug Schreibstoff.