(Fortsetzung vom Dienstag)
Der Nachname der Oma war also Lego?
Ja, ich habe immer geglaubt, dass sich der Nationalismus der Madjarisierung im Banat nur gegen die Rumänen richtete. Das war keineswegs so, er richtete sich gegen alle mitwohnenden Ethnien der Ungarn. Ich erinnere mich, dass meine Großmutter, Jahrgang 1903, immer erzählte, wie in der zweiten Klasse plötzlich die Lehrerin wechselte und ein ungarisches Mädchen auftauchte, das sie „Nenike“ nannten, und alle lachten sie aus, weil sie kein Wort Deutsch konnte. Und sie unterrichtete in der zweiten Klasse, können Sie sich vorstellen, was das für ein Chaos war? Sie hat nur auf Ungarisch unterrichtet. Das war so um die Jahre 1910 bis 1912.
Ihre Mutter kam also nach Sighet und wer kam, um die Kinder zu taufen? Und bei wem wohnten ihre Schwestern in dieser Zeit?
Das Rote Kreuz und ein Priester waren am Bahnsteig, und dieser katholische Priester fragte, ob die Kinder getauft sind. Und so ließen sie mich taufen. In Sighetul Marma]iei wurden sie aus dem Zug geholt und nach ein paar Stunden wurden sie von einigen Leuten vom Roten Kreuz empfangen, die heißen Tee anboten haben. Es gab keine Züge Richtung Banat, und so wurden sie am 20. und 21. Dezember 1945 in einen offenen Lastwagen aufgeladen und nach Großwardein/Oradea gebracht. In diesem LKW befanden sich ungefähr, ich weiß es nicht genau, etwa 30 Mütter mit Neugeborenen, keines mehr als ein Jahr alt, also nur Kinder, einige mit weniger als sechs Monaten. Und die Mütter wickelten ihre Kinder ein, um gegen die Kälte auf dem Lastwagen zu bestehen, aber so hatte manche Mutter das Kleinkind zu stark eingewickelt, so dass neun Kinder tot waren, als sie in Großwardein ankamen und die Körbe öffneten, in denen die Kinder lagen. Meine Mutter sagte stets, dass dies eine der dramatischsten Szenen war, die sie erlebt hatte, und es blieb ein Trauma. Die Schreie der Mütter, die sahen, dass sie tatsächlich am Ende ihrer schrecklichen Tortur nach Russland zu Hause waren, aber ihre Kinder waren tot. Das muss schrecklich gewesen sein. Ich bin am Leben geblieben, und diese Geschichte erzählte Mutter mir oft, bereits im Vorschulalter kannte ich sie. So war in unserer Familie die Verschleppung nach Russland – niemand sagte Donbass oder Ukraine – ein oft diskutiertes Thema, und meine Mutter war sehr stolz, dass sie es geschafft hatte, mich nach Hause zu bringen. Später, in den fünfziger Jahren, hörte ich sie sagen: „Eigentlich denke ich heute, dass ich dir den Namen Iwan hätte geben sollen.“ Das ging damals nicht. Und wenn ich ein Mädchen geworden wäre, hat sie mir erzählt, hätte sie mir den Namen Sonia gegeben. Die Besonderheit ist, dass ich deswegen lebe, da es die Deportation in die UdSSR gab, die quasi für meine Existenz verantwortlich ist. Denn meine Mutter war eine sehr rationale Frau. Sie wurde von ihren Eltern gezwungen, meinen Vater zu heiraten, der reichste Mann im Dorf und in der ganzen Gegend. Er war sehr reich, in den Orten Warjasch, Perjamosch und Großsanktnikolaus hatte keiner hundertzehn Hektar wie dieser Ochsenfeld. Meine Mutter wusste also nicht, dass sie mit mir schwanger war, aber sie wusste, dass es zu einer Katastrophe kommen wird, weil die Deutschen den Krieg verloren hatten. Sie wusste, dass sich die Dinge radikal veränderten, dass sie nicht mehr reich sein würde nach ihrer Rückkehr, obwohl sie am 15. Januar, als sie abgeschoben wurde, noch nicht ahnte, dass wir arm sein werden. Wir sind verarmt ab März 1945, als es die Agrarreform gab und die Deutschen völlig enteignet wurden. Auch ihre Bürgerrechte wurden ihnen vollständig genommen, die Deutschen erhielten bis 1949 kein Wahlrecht. Mutter wusste es nicht, aber sie fühlte, dass es nicht mehr so sein würde wie vorher und sagte: „Ohne jeden Zweifel hätte ich damals abgetrieben.“ Das war die Methode der Geburtenkontrolle, und da die Religion keine Rolle spielte, wäre das passiert. Also wäre ich nicht geboren worden. Zynisch, wenn man so will, verdanke ich Stalin mein Leben. Letztes Jahr habe ich mir eine Biografie gekauft, ich glaube mit ungefähr neunhundert Seiten von „Montefiore über Iosif Vissarionovici“, und ich habe sie sehr fleißig studiert. … Die Mädchen wohnten bei den Eltern meiner Mutter, die gesunde und vertrauenswürdige Menschen waren. In dieser Angelegenheit war meine Mutter sich sicher, da sie wusste, dass ihre Mutter eine Kämpferin war und dass sie volles Vertrauen in ihren Vater haben konnte. Ohne die Hilfe dieser Großeltern hätten wir nicht aufs Gymnasium gehen können, trotz all der Entbehrungen, die wir in den 50er Jahren durchgemacht haben.
In der Tat wird in Hannelore Baiers Buch (Die Deutschen in Rumänien 1944-1945, Honterus Verlag, Hermannstadt 2005) deutlich, dass Stalin noch vor Kriegsende befahl, alle Deutschen zu deportieren. Es gab also bereits eine vorherige Entscheidung?
Ja. Es gab eine Zeit, in der man davon sprach, dass die Russen damals nicht präzisierten, dass nur Volksdeutsche zum „Wiederaufbau“, wie man es nannte, geschickt werden sollten. Aber ich habe auch Dokumente gesehen, woraus ersichtlich war, dass das nicht stimmt. Es gab einen rumänischen Politiker, dessen Name ich nicht mehr weiß, welcher sich an die sowjetischen Behörden gewandt hatte und aufzeigte, dass Rumäniens Wirtschaft leiden wird, wenn dies der Fall sein wird.
Es gibt eine Broschüre über die Intervention des Königs Michael von Rumänien in diesem Sinne, in der er versuchte, die Deportation der Deutschen zu verhindern, aus den gleichen Gründen. Ich habe diese Broschüre auf Rumänisch.
Ja? Die kenne ich leider nicht. Aber noch etwas Interessantes: Meine Mutter, eine wohlhabende Frau, brachte meine beiden Schwestern im Anaheim zur Welt, einem Geburtshilfekrankenhaus in Temeswar. Das Anaheim, auf dem Gebiet der ehemaligen Firma Enel (Stromlieferanten), wenn man in Temeswar vom Lahovari-Platz mit der Straßenbahn nach Fratelia (Stadtteil) fährt, so ist es die erste Haltestelle auf der rechten Seite. Genau dort gab es eine sehr exklusive Geburtsklinik, die von katholischen Nonnen geleitet wurde, wo meine Mutter meine beiden Schwestern zur Welt brachte. Und als meine Mutter am 21. Dezember 1945 nach Rumänien kam, wusste sie nicht, dass sie in Wirklichkeit eine arme Frau war. Sie brachte mich direkt zu den Nonnen, um mich von den Ärzten untersuchen zu lassen. Und niemand hat ihr gesagt, dass sie nichts mehr besitzt und nicht mehr ist, wer sie einst war. Zuerst ist sie dann so schnell wie möglich nach Warjasch gefahren, wo meine Schwestern waren. Während dieser ganzen Zeit gab es keine Kommunikation, meine Mutter wusste nicht, was zu Hause los war. Mein Vater war damals kein Mann mit großem Verantwortungsbewusstsein und das war ihr bekannt. Seine Stärke war sein Vermögen und plötzlich, über Nacht, war der Reichtum verschwunden und er war ein Nichts. Das war grausam und traurig. Mutter schaffte es, mit Warjasch zu telefonieren. Privat gab es kein Telefon, aber es gab einen Anruf bei der Post und meine Großmutter erzählte mir, dass das Mädchen von der Post kam und sagte: „Eine Frau aus Temeswar kommt.“ Meine Großmutter konnte nicht wissen, dass es sich um ihre Tochter handelte, und die Überraschung war sehr groß, als meine Mutter mit dem Zug ankam. Sie wussten nicht, ob sie noch lebte, sie wussten nichts von ihr in Russland. Und jetzt kommt eine Episode, die mir auch oft erzählt wurde. Natürlich ging die Nachricht ihrer Ankunft durch alle deutschen Banater Dörfer, dass ein Transport aus Russland angekommen war und dass Eva Ochsenfeld aus Warjasch dabei war, die in Enachievo gewesen war. Es kamen Leute von überall vorbei, Dutzende von Menschen, um herauszufinden, ob sie etwas über das Schicksal ihrer Angehörigen wusste. Sie sagte, dass es auch in ihrem Lager Tote gegeben hat und sie so manchem das mitteilen musste.
(Übertragung aus dem Rumänischen von Katharina Kilzer)