„Die Flamme, die wir 2023 entfacht haben, muss weiter getragen werden“

Gespräch mit Gabriel Bebeșelea – Dirigent in Residenz an der Banater Phiharmonie im Jahr 2023

Gabriel Bebeșelea hat für die Banater Philharmonie das „Requiem in memoriam an die Opfer des Kommunismus” bestellt. Das Werk wurde am 16. Dezember 2023 in Temeswar uraufgeführt. Fotos: Banater Philharmonie

An der Banater Philharmonie war das Jahr, in dem Temeswar/Timișoara den Titel der Europäischen Kulturhauptstadt getragen hat, voll. Ein intensives und gut strukturiertes Programm bot dem Publikum eine Vielfalt von Ereignissen: von außergewöhnlichen Konzerten zu Festivals und einem musikalischen Material als Erbe nach dem Kulturhauptstadtjahr. Nun ist das Kulturhauptstadtjahr 2023 vorbei. Die Echos des besonderen Jahres für Temeswar sollen aber weiterhin erklingen. Gabriel Bebeșelea war im Jahr 2023 Meister und Dirigent in Residenz an der Banater Philharmonie Temeswar. Das Jahr endete für ihn mit dem neuen „Requiem in Memoriam für die Opfer des Kommunismus”. Das Projekt, das von Meister Bebeșelea initiiert wurde, feierte seine absolute Premiere am 16. Dezember. Sieben Komponisten aus sieben Ländern des ehemaligen Ostblocks haben dazu beigetragen. Darüber, aber auch wie er das Jahr 2023 allgemein empfunden hat, hat ADZ-Redakteurin Andreea Oance mit Gabriel Bebeșelea gesprochen.

Die Banater Philharmonie hat im Jahr 2023 eine Strategie entwickelt, um immer wieder mit attraktiven Angeboten in den Vordergrund zu kommen. Sie waren der Initiator dieser Strategie...

Ich bin sehr glücklich, dass es uns auf Initiative der Banater Philharmonie und dessen Leiter gelungen ist, gemeinsam mehrere Konzepte zu realisieren. Es waren Ideen, an denen alle Musiker des Kollektivs mitgewirkt haben und das gesamte Verwaltungsteam hat dazu beigetragen, einige absolut einzigartige Projekte zu schaffen. Wäre da nicht dieses außergewöhnliche Unterfangen und die einmalige Chance, dass Temeswar Kulturhauptstadt Europas wurde, so gäbe es einige Konzerte wahrscheinlich nicht. Das Publikum hatte so die Möglichkeit gehabt, Orchester wie das ONF Orchester National de France oder den WDR Köln mit Cristian Măcelaru oder ein Werk von der Größenordnung von Schönbergs „Gurrelieder” in Temeswar zu hören.

Wie war also das Jahr für Sie, wenn Sie nun zurückblicken?

Für mich als Musiker war es ein absolut erhebendes Jahr. Ich erinnere mich an das Debüt des Gemeinschaftschors im Sommer. Bei der Generalprobe dankte ich dem Chor dafür, dass er uns mitgenommen hat. Es erinnerte uns Berufsmusiker daran, warum wir Musik machen, denn sie hatten eine Energie, eine Nachahmung, eine Freude am Singen und sie erinnerten uns daran, worum es in der Musik überhaupt geht. Ich bin wirklich froh, dass dieses Projekt so eine Wirkung hatte. Das muss natürlich weitergehen und für das nächste Ereignis wollen wir etwas noch Größeres vorbereiten. Diesmal ging es um Beethovens „9. Symphonie” – die Symphonie der Symphonien. Dabei geht es um Einheit, Brüderlichkeit und alles, was ein europäischer Ansatz eigentlich bedeutet. Diese Symphonie haben wir nicht zufällig für das Debüt des Gemeinschaftschors ausgewählt, denn mehrere Projekte, die wir in diesem Jahr mit der Banater Philharmonie durchgeführt haben, waren die Bausteine für das neue „Requiem in memoriam”, das wir am 16. Dezember aufgeführt haben.

Eigentlich hat alles, was wir 2023 initiiert und durchgeführt haben, zu diesem Punkt geführt. Der 16. Dezember 1989 ist ein Datum, das wir nicht vergessen sollten – in Temeswar hat dann unsere Befreiung von der kommunistischen Diktatur begonnen. Dafür sollten wir dankbar sein. Das Requiem soll uns an die Schrecken erinnern, die während dieser Diktatur hinter dem Eisernen Vorhang passiert sind, aber auch an die Vorteile, die wir aus der Freiheit von dieser absolut schrecklichen Situation gewonnen haben, so dass das auch ein Grund zum Feiern sein soll.

Welches war das Konzept hinter dem neuen Requiem?

Die Idee zu diesem Requiem geht eigentlich auf zwei bereits existierende Modelle zurück: Das erste Modell war das von Verdi, das nach Rossinis Tod entstanden ist. Er rief die wichtigsten italienischen Komponisten dazu auf, gemeinsam ein Requiem zu schreiben, das anlässlich des einjährigen Gedenkens an Rossinis Tod aufgeführt werden sollte. Die Kompositionen wurden geschrieben. Die Partituren wurden verschickt. Sie wurden von den zwölf Komponisten geliefert, mit Verdi waren es dann 13. Leider wurde dieses Projekt von vielen Seiten boykottiert und kam nie zur Aufführung. Als Alessandro Manzoni, einer der bedeutendsten Schriftsteller Italiens, nach fünf Jahren starb, übernahm Verdi die von ihm komponierte Rolle für dieses Requiem „Messa per Rossini” und um dieses Requiem herum komponierte er das, was wir heute als das Requiem von Giuseppe Verdi kennen – eines der wichtigsten Werke des Genres. Also war „Messa da Requiem” das erste Modell.

Das zweite war ein Werk, das ich zusammen mit der Banater Philharmonie und dem „Ion Românu”-Chor aufgeführt habe – „The War Requiem” von Benjamin Britten. Die Besonderheit dabei ist, dass neben dem lateinischen Text Britten um die Erlaubnis bat, einen Text eines britischen Dichters zu verwenden, der im Ersten Weltkrieg gefallen ist. Von hier aus hatte ich folgende Bitte an die sieben Komponisten gerichtet: Jeder sollte neben dem lateinischen Text auch etwas in seiner eigenen Landessprache komponieren. Es ist also ein Requiem, das in acht Sprachen aufgeführt wird.

Das von der Banater Philharmonie in Auftrag gegebene Werk wurde von sieben Komponisten aus sieben ehemals kommunistischen Ländern geschrieben, die wie Rumänien 1989 Revolutionen erlebten. Wie haben Sie die Komponisten ausgewählt?

Zum „Requiem in memoriam an die Opfer des Kommunismus” haben folgende Komponisten beigetragen: Zygmunt Krauze (Polen), Martin Smolka (aus der Tschechischen Republik), Iris Szeghy (aus der Slowakei), Sven Helbig (Ostdeutschland), László Tihanyi (Ungarn), Dobrinka Tabakova (Bulgarien) und Dan Dediu (Rumänien). Warum sieben Komponisten und sieben Länder? Jedes Requiem hat sieben Abschnitte und es gibt auch sieben Länder, die 1989 Revolten oder Revolutionen hatten und zu Demokratien wurden, die auf die eine oder andere Weise eine ähnliche Situation durchlaufen haben. In Rumänien war die letzte von ihnen, aber hier gab es leider auch die gewaltsamste Revolution.

Die Reihenfolge der Komponisten und die Teile innerhalb des Requiems führt auch auf die Chronologie der Ereignisse im 1989 zurück: Alles began in Polen und endete in Rumänien, somit ist der erste Teil der eines polnischen Komponisten. Er ist einer der wichtigsten Komponisten der Welt. Mit seinen 84 Jahren war Zygmunt Krauze aus Polen in Temeswar live bei der Uraufführung dabei. Der letzte Teil wurde vom rumänischen Komponisten Dan Dediu komponiert. Er ist der wichtigste zeitgenössische Komponist in Rumänien.

Diese Komposition ist extrem vielfältig. Sie kann sowohl in ihrer Gesamtheit als auch in Teilen aufgeführt werden. Alle Lieder sind sehr unterschiedlich, aber es gibt ein osteuropäisches Ethos, das in allen Liedern vorhanden ist. Die Komponisten waren schockiert, bei den Proben zu entdecken, dass ihre Kompositionen wirklich eine Verbindung herstellen, ohne es unbedingt gewollt zu haben. Es ist eigentlich ein typisch postmodernes Werk. Schließlich sind auch die Geschichten all dieser Nationen aus dem ehemaligen Ostblock vielfältig.

Ich möchte hiermit dem „Ion Românu”-Chor unter der Leitung von Iosif Todea, dem Orchester der Banater Philharmonie und den Solisten Luiza Fatyol (Sopranistin), Martiniana Antonie (Mezzosopranistin), Marius Budoiu (Tenor), Adrian Sâmpetrean (Bass) sehr herzlich danken, denn man hat eine besondere Verantwortung, wenn man außerordentlich schwere Musik spielt, wenn man keine Referenz hat, denn diese Stücke hat man noch nie davor gehört. Für mich war es das wichtigste Projekt vom spirituellen Standpunkt in Temeswar 2023. Und auch wenn das Jahr der Kulturhauptstadt Europas nun zu Ende ist, bleibt dieses Requiem als Erbe, denn es soll jedes Jahr am 16. Dezember aufgeführt werden.

Was glauben Sie, dass 2024 für die kulturelle Stadt Temeswar bringen wird?

Für uns alle bleibt diese Frage offen: Was wird nun nach 2023 folgen? Ich hoffe sehr, dass diese Flamme, die wir entfacht haben, weiter getragen wird. Was mich betrifft, auch wenn meine Residenz beendet ist, werde ich die Zusammenarbeit mit der Banater Philharmonie fortsetzen, denn ich habe entdeckt, dass wir so viele musikalische Gemeinsamkeiten haben. Darüber hinaus kann ich sagen, dass wir ein außergewöhnliches Publikum in Temeswar angetroffen haben. Das Publikum wird immer anspruchsvoller und das ist gut so, denn es wird mit qualitativ hochwertigen Veranstaltungen gelehrt, also ist unsere Verantwortung weiterhin extrem hoch.

Beim Abschluss des Kulturhauptstadtjahres hat Bürgermeister Dominic Fritz erklärt, 2024 werde ein internationaler Wettbewerb für das Projekt eines neuen Philharmoniehauses ausgeschrieben. Was wird das für die Stadt bedeuten?

Das ist eine fantastische Neuigkeit. Temeswar wäre so die erste rumänische Stadt, die nach Jahrzehnten einen Konzertsaal baut. Die meisten Säle wurden, genauso wie in Temeswar auch, von Kinos oder Theatern in Konzertsäle umgewandelt, was akustisch gesehen nicht genug ist. Der Capitol-Saal funktioniert, aber er hat keine sehr glückliche Akustik. Das Orchester würde in einem Saal mit guter Akustik dem Publikum viel mehr bieten. Außerdem möchte ich ein Beispiel nennen, das ich oft gebe und das mir sehr gut gefällt. Die Stadt Kattowitz in Polen war in den 1990er Jahren eine Bergbaustadt, in der die Bergwerke geschlossen wurden und die zu einer Brutstätte der Arbeitslosigkeit wurde. Sie hatte die höchste Arbeitslosenquote in diesem Gebiet Europas. Nach dem EU-Beitritt Polens hatte die Regionalregierung die Idee, eine Konzerthalle in dieser Stadt zu bauen. Was passierte? Die Arbeitslosenquote verschwand, weil diejenigen, die nach der Schließung der Minen entlassen wurden, am Bau der Halle arbeiteten oder an deren Vorbereitung beteiligt waren. In der ersten Saison nach der Eröffnung der neuen Konzerthalle wurden 157.000 Einzelkarten verkauft. Diese Stadt wurde zum wichtigsten Geschäftszentrum in der Region, denn die glänzende neue Konzerthalle zog unweigerlich die wichtigsten Unternehmen Polens an. Der Saal hat eine der besten Akustiken weltweit. Auch das Orchester hat sich zu einem der bekanntesten entwickelt. Kattowitz ist heute nicht wiederzuerkennen. Die Stadt ist jetzt voller Wolkenkratzer in einem Gebiet, das vor 20 Jahren noch ein stillgelegtes Bergwerk war. Das wünsche ich mir auch für Temeswar. Eine Mehrzweckhalle für verschiedene Arten von Konzerten bedeutet in der Tat die Wiederbelebung der ganzen Stadt und kann Temeswar äußerst wichtige Dinge und große Vorteile bringen. Wenn es der Stadt gelingt, wird das bestimmt eine Premiere für Temeswar und ganz Rumänien sein.

Vielen Dank für das Gespräch.