Die Klage und die Hoffnung auf Überwindung

In Zeiten, in denen sich die Lebenssituationen verschlechtern, wächst die Sehnsucht nach einem göttlichen Eingriff oder vielmehr der Wunsch nach dem sich offenbarenden Gott. Wenn sich die Klagen verstärken und Töne des Missmutes öffentlich zu hören sind, so ist das ein untrügliches Zeichen dafür, dass es um Land und Leute nicht gut steht. Gründe zur Klage gab es in jedem Zeitalter. Grund zur Klage gibt es auch in unserem Land.

 

Denken wir nur an die aktuelle Nachricht über den Verlust von Tausenden von Arbeitsplätzen durch die Schließung des Nokia-Werkes in Jucu.  Blicken wir mal auf das Wanken und Wackeln des ohnehin schon schwachen Gesundheitssystems in unserem Land und vergessen wir nicht die persönliche Klage jedes unserer Zeitgenossen. Die Klage muss  nicht immer sichtbar sein, sondern ist auch in der Stille zu spüren.                                               

Vor dem biblischen Hintergrund gesehen, bilden die Klage und das Lob die zwei Grundhaltungen des Gebetes, die helfen sollen, das Erlebte im Angesicht Gottes innerlich zu verarbeiten. Wer Klage erhebt, der verarbeitet das Erlebte und unternimmt den Versuch, seine Not vor ein gleichsam höheres Gericht zu bringen. Von Anfang an also ist im Akt des Klagens die Hoffnung auf Erhörung der Klage mit angelegt.

 

Dabei ist es eigentlich nur von untergeordneter Bedeutung, ob Gott oder eine andere  Kraft das Gegenüber des Klagenden ist. Die Bibel ist voll von Klagen. So klagt Hiob darüber, dass er ungerechterweise ins Elend gestürzt ist, die Beter der Psalmen klagen über die Not und das Elend ihres Lebens und Jesus selbst klagt über die Pharisäer und Schriftgelehrten. Letztlich drückt die Klage aber vor allem ein menschliches Grundbedürfnis aus.

Aber  wohin  oder an welches Ohr fließt der Strom der Klagen? Gott spielt doch als Gegenüber des Menschen in unserer Gesellschaft keine scheinbar große Rolle mehr, oder doch? Ich meine die religiöse Sehnsucht ist spürbar und der Wunsch, die eigene Klage vor Gott zu bringen, ist nach wie vor deutlich vernehmbar. Der Ort der Kirche ist zu einem öffentlichen Zufluchtsort geworden. In ihrer eigenen und persönlichen Klage wollen die Menschen begleitet werden und suchen  nach Deutungen für das Geschehene.

Der Predigttext für den kommenden Sonntag aus den Klageliedern Jeremias setzt die Klage eines einzelnen Menschen voraus, der sein Leben im Gebet vor Gott ausbreitet. In Klagelieder 3,1-19 lesen wir von einem Mann, der in seinem Leben das Elend gesehen hat  und der – wie er selber schreibt – durch Gott mit „Bitternis und Mühsal umgeben“ wurde. Die Erfahrung des abwesenden Gottes treibt diesen Mann in seinem Nachdenken um. Es ist nicht weniger die existentielle Erfahrung des Scheiterns, die sich in der Klage eines Menschen vor Gott Bahn bricht. Der Mann, der hier klagt, ist kein geringerer als das Volk Israel, das inmitten der Vertreibung und des Exils über die vermauerten Wege der Zukunft nachdenkt.

Die Zerstörung des Tempels kam im Selbstverständnis Israels fast der Zerstörung der eigenen Identität gleich. Trotz der Erfahrung des Unheils hält Israel an der Hoffnung auf Gottes Treue fest – und wird belohnt. Gott wendet sich seinem Volk immer und immer wieder neu zu.
Mit der Gegenwart Gottes in der Not ist zu rechnen. Er ist derjenige, der da sein wird. Erst die Klage und dann die Gewissheit um die Güte und Barmherzigkeit Gottes? Der Wechsel von Not und Rettung wiederholt sich in der Geschichte Israels. Am Anfang der Geschichte des Volkes steht eine Befreiungserfahrung. Die Rettung des Volkes am Schilfmeer bildet den Kern des Verhältnisses von Jahwe und Israel. In der Situation der persönlichen Niederlage und Vernichtung erinnert sich der Mann, d. h. Israel an die Taten Gottes. Gleichzeitig wird die eigene Zukunft und die Zukunft des Lebens in die Hände Gottes gegeben.

 

Die Klage verändert sich in der Perspektive des Glaubens fast unmerklich in ein Glaubensbekenntnis. So drückt es Vers 22 aus: „Die Güte des Herrn ist’s, dass wir nicht gar aus sind, seine Barmherzigkeit hat noch kein Ende, sondern sie ist alle Morgen neu, und Deine Treue ist groß.“ Aus dem Wissen, dass Gott nicht ewig verwirft, kommt die Kraft, aus der Mitte des Glaubens die Krise zu überwinden.       

Die Wende von der Klage zum Glaubensbekenntnis entstammt demnach dem tiefen Bewusstsein, dass Gottes Barmherzigkeit für den Menschen erkennbar wird. Für das Judentum geschieht dies durch die Erinnerung an das Verhältnis zwischen dem Volk und Jahwe und durch die Vergegenwärtigung der Taten Gottes in der Geschichte des Volkes. Im Christentum nimmt diese Funktion die Vergegenwärtigung Jesu Christi in der Gemeinde ein. Er ist der „Mann“, der stellvertretend den Sühnetod am Kreuz stirbt und auf dessen Wiederkehr die Christenheit inmitten aller Zeiten und Klagen hofft. Während also das Judentum die Rettung aus der Not aus der eigenen Geschichtserfahrung herleitet, so erinnert sich das Christentum an das Kreuz. Aus der Sicht des Glaubens indes ist es die Kunst, oder so bezeichnet es der Text geradezu als ein köstlich Ding, geduldig zu sein und auf die Hilfe des Herrn zu hoffen. Mit dieser Ermahnung wird der Text wieder hoch aktuell. Denn in der Gegenwart mangelt es allzu sehr an der Hoffnung. Die Unzufriedenheit steigert den Wunsch nach Meckern und Klagen. Der Text erinnert mich inmitten aller Turbulenzen dieser Tage zwischen Katastrophen und steigenden Preisen an die Tugend der Geduld. Hier wird die Barmherzigkeit Gottes genannt! „Es ist ein köstlich Ding, geduldig sein und auf die Hilfe des Herrn hoffen.“