Die Magie des rumänischen Dorflebens

Zwischen erlebbarer Geschichte und moderner Gesellschaft: das Bukarester Dorfmuseum

Informations-abend zum Dorfmuseum: die Direktorinnen Mariana Duliu, Schillerhaus (links), und Paulina Popoiu, Dorfmuseum (rechts)
Foto: George Dumitriu

Im Rahmen des Zyklus „Museen in Bukarest“ wurde letzten Donnerstag das Bukarester Dorfmuseum bei einer Konferenzdebatte im Schillerhaus vorgestellt. Als Redner begrüßte Direktorin Mariana Duliu die Leiterin des Dorfmuseums Dr. Paulina Popoiu, ihre Vorgängerin Dr. Georgeta Stoica und den Museologieexperten aus dem Nationalen Geschichtsmuseum, Dr. Ioan Opriş. Die Moderation übernahm Projektkoordinatorin Aurora Fabritius. Für musikalische Einlagen sorgten Narcisa Băleanu mit Panflöte und Gesang und Tudor Niculescu Mizil auf der Gitarre.

Wer bei „Dorfmuseum“ an verstaubte Trachten in Vitrinen und wurmstichige alte Pflüge denkt, irrt gewaltig. Das Bukarester Dorfmuseum präsentiert nicht nur eine der schönsten Sammlungen authentischer ruraler Architektur aus dem ganzen Land, die man nebst blühenden Gärten bei einem Spaziergang unter freiem Himmel bestaunen kann, begleitet von freilaufenden Katzen, Hühnern, Bienengesumm und Vogelgezwitscher. Es fungiert auch als modernes Ausbildungszentrum, Begegnungsstätte, Handwerksatelier, Kinderferienlager, Marktplatz, Kulturhaus, Kunstgalerie und Bühne. Als Botschafter authentisch-rumänischer Lebensweise vermittelt es vor allem dem ausländischen Besucher auf einen Blick die Identität dieses facettenreichen Volkes. Für den Einheimischen hingegen schließt es die Lücke zwischen Vergangenheit und Zukunft: Wie eine imaginäre rote Stecknadel auf dem Zeitpfeil der Volksgeschichte verweist es auf seine Position: Denn nur wer weiß, wie seine Vorfahren gelebt haben, kann mit Überzeugung sagen, „ich bin aus Oltenien, der Bukowina, der Dobrudscha...“, bemerkt Ioan Opriş.

Warum noch in die Vergangenheit schauen?

Auf einem Dia-Ausflug in die Gründerzeit erfahren wir, dass das Dorfmuseum seine 77-jährige Existenz dem Ethnologen Dimitrie Gusti verdankt, der es meisterhaft verstand, seine Studenten von der Idee eines Freiluftmuseums zu begeistern. Bald zogen Hunderte junger Leute auf teils abenteuerlichen Fortbewegungsmitteln aus, um in entlegensten Dörfern nach Themen wie Brauchtum, Medizin, Küche oder Landwirtschaft zu forschen. An manche Stellen gelangte man nur mit dem Esel, erinnert sich Georgeta Stoica. Befragt wurden möglichst alte Leute zu ihren Schlaf- und Essgewohnheiten, zu Festen, Feldarbeit, Bräuchen, Kirche und Alltag: „Nea Vasile, was haben Sie gegessen, als Sie ein Kind waren?“ „Gebratene Zwiebeln, vergorenes Obst, Brot, auf Kohlblättern gebacken“, erwiderte der betagte Oltenier. So erfahren wir, dass nicht „Mici“ und Kohlrouladen, ja nicht einmal Maisbrei die tatsächlichen Nationalgerichte sind, sondern Grillfleisch und Suppe mit Brot.

Die Schlafgewohnheiten hingegen variierten stark mit der Region: Während man in der Dobrudscha im Ofenrohr-beheizten Erdbett schlief, befand sich die Bettstatt in der Moldau auf dem Ofen. Die Sachsen hingegen nächtigten ordentlich platzsparend in einziehbaren „Schubladen“, während das Baldachin-Bett seine Existenz dem Wunsch nach Intimität in der überfüllten Familienschlafstube verdankt. Selbst in der einfachsten Bauernkammer kam durch kunstvoll verzierte Gegenstände stets die Sehnsucht nach Schönheit zum Ausdruck. Doch anders als heute hatte jedes Kunstobjekt einen konkreten Zweck zu erfüllen, belehrt Frau Stoica.


Der Blick auf Gegenstände aus der Vergangenheit hilft auch, den Bogen der Fantasie weiterzuspinnen. „Als Referenz am anderen Ende schauen wir meist auf die Trajanssäule“, gesteht Opriş. Was dazwischen liegt, kann man nur erahnen. Gerade deswegen ist es wichtig, die stummen Zeitzeugen der Geschichte zu konservieren und dokumentieren. „Die Einstellung der Menschen zur Bedeutung des Kulturerbes muss sich ändern“, plädiert auch Stoica.
Hinzu kommt, dass im Bukarester Dorfmuseum auch das Wissen um alte Kunst- und Bautechniken bewahrt wird. „Wir haben hervorragende Restaurateure und hochmoderne Labors“, informiert Direktorin Popoiu. Im europäischen Vergleich, unterstreicht Opriş, sei das Bukarester Dorfmuseum eine der reichhaltigsten und authentischsten Sammlungen ländlicher Volkskunst und Architektur.

Das Dorfmuseum lebt!

Erfolgsprojekte wie das jährliche Sommerferienlager „Tabăra pe uliţă“, wo sich Stadtkinder spielerisch in traditionellem Handwerk üben, Bio-Lehrgärten, Umwelterziehung und karitative Märkte beweisen, dass Museumsaktivität und Engagement im Rahmen einer modernen Gesellschaft kein Widerspruch sind. Tradition wird zum erlebbaren Angebot, Bewahrenswertes weitergepflegt. Diesen Aspekt will man verstärken, verrät Paulina Popoiu und verweist auf die Südzone des Museums, wo funktionierende Dorfzentren im Entstehen begriffen sind. Die Holzkirche will man für Hochzeiten und Taufen zur Verfügung stellen, in Werkstätten Handwerkskunst demonstrieren und auch das Schulgebäude soll für Kurse und Lehrveranstaltungen wiederbelebt werden. Zur Geschichte des Landes gehören auch die Minderheiten, denen eine ganze Abteilung gewidmet ist. Ein jüdisches und ein ukrainisches Haus wurden letztes Jahr vollendet, ein Sachsenhof ist im Aufbau befindlich. Nicht zuletzt fungiert das Dorfmuseum als Botschafter unserer multikulturellen Vielfalt. Projektwochen und gemeinsame Veranstaltungen mit ausländischen Vertretungen in Bukarest runden das Programm ab – etwa die portugiesische Kulturwoche, die derzeit (vom 11. bis 16. Juni) stattfindet.