„Die Stadt darf keinen Plan B haben“

ADZ-Gespräch mit Dominic Fritz, Bürgermeister von Temeswar

Der Deutsche Dominic Fritz kandidiert für ein weiteres Mandat als Bürgermeister von Temeswar. Foto: Bürgermeisteramt Temeswar

Nur noch wenige Tage stehen den Temeswarern zur Verfügung, um sich zu entscheiden, wen sie zum Bürgermeister wählen wollen. Einer der Kandidaten ist der amtierende Bürgermeister Dominic Fritz, den auch das Demokratische Forum der Deutschen im Banat für eine weitere Amtszeit unterstützt. Ein Interview mit dem Temeswarer Bürgermeister Dominic Fritz lesen Sie im Folgenden. Die Fragen stellte ADZ-Redakteurin Raluca Nelepcu.

Nennen Sie mir bitte drei Projekte, die Ihre Verwaltung umgesetzt hat und die Sie für ein weiteres Mandat als Bürgermeister von Temeswar empfehlen!

Als Erstes würde ich unsere großen Mobilitätsprojekte nennen: Cetății-Boulevard, Bogdăneștilor und Stan Vidrighin, die wir alle in der vertraglich vorgesehenen Zeit fertiggestellt haben. Für Cetății und Stan Vidrighin haben wir europäische Fördergelder von fast 30 Millionen Euro im Nachhinein eingeworben, also kurz, bevor wir das Projekt beendet haben. 
Das zweite Projekt, das ich nennen würde, ist unsere Digitalisierung in der Verwaltung. Man kann sagen, wir sind die digitalisierteste Lokalverwaltung Rumäniens. Wir haben unsere internen Prozesse komplett auf digitale Prozesse umgestellt, und auch ein Bürgerportal eingerichtet, wo man alle Anträge online einreichen kann und nicht mehr am Schalter Schlange stehen muss. Das ist ein System, das uns ermöglicht, auch andere technische Lösungen zu finden, inklusive künstlicher Intelligenz, Automatisierung bestimmter Verwaltungsprozesse, was die Wartezeiten erheblich verkürzt. Es gibt ein echtes Interesse an Transparenz, an korrektem Umgang, denn wo die Sachen digital sind, kann man keine, oder zumindest nur sehr viel schwieriger, krummen Dinger drehen. 

Als drittes Projekt würde ich vielleicht kein Investitionsprojekt nennen, obwohl wir da viele haben, auch im Bildungs- oder im medizinischen Bereich. Ich würde die städtischen Grundstücke und Gebäude nennen, wo wir angefangen haben, das zurückzuholen, was der Stadt in den letzten Jahrzehnten geklaut worden ist. Das sind in erster Linie Grundstücke, die besetzt wurden, ohne dass irgendjemand irgendwie mal mit der Schulter gezuckt hätte. Das sind aber auch teilweise Gebäude oder Teile von Gebäuden. Das ist ein Kampf, den die Stadt auf jeden Fall weiterführen muss und wo es eine Tragödie wäre, wenn wir jetzt wieder zu den Zeiten zurückkehren würden, wo man die Augen verschlossen hat und wo es eine Komplizenschaft von Leuten innerhalb der Verwaltung mit den Clans, die diese Grundstücke und Gebäude für sich genommen haben, gegeben hatte.

Eines Ihrer Versprechen vor Ihrer ersten Amtszeit war, dass Sie die Temeswarer Stadtteile aufwerten wollen. Inwiefern haben Sie das auch geschafft?

Sehen Sie, ich war gerade gestern im neuen Park in der Lunei-Gegend, wo alle Leute zu mir gekommen sind und gesagt haben, vielen Dank, Herr Bürgermeister, Sie sind der erste Bürgermeister, der in unserem Stadtteil überhaupt was gemacht hat. Da war so eine Brachfläche von etwa 5000 Quadratmetern inmitten von Wohnblocks, wo in der Vergangenheit teilweise zwei Meter hoch das Gestrüpp gewachsen ist und wo wir jetzt einen kleinen Park daraus gemacht haben. Und das ist nur ein kleines Beispiel. Wir haben am B˛lcescu-Platz gepflanzt. Wir haben in anderen Gegenden die Garagen, die dort illegal gebaut wurden, abgerissen und an deren Stelle Parkplätze geschaffen.

Es gibt verschiedene Investitionsprojekte in den Stadtteilen. In Kuncz haben wir ein Sozial- und Kulturzentrum eröffnet, das sehr tolle Arbeit leistet. In Freidorf bauen wir gerade das Kino zu einem kleinen Stadtteil-Kulturzentrum um. Außerdem haben wir innerhalb der Verwaltung eine Struktur geschaffen, wo wir Stadtteilmanager haben, die die Bedürfnisse dieser Stadtteile aufnehmen. Das sind keine Magier. Sie können nicht alle Probleme lösen, aber sie funktionieren als ein Bindeglied zwischen den Stadtteilen und dem Rest der Verwaltung. Wir haben momentan acht und wir bräuchten an die 20.

Natürlich ist der weitaus größte Teil der Bedürfnisse der Temeswarer weiterhin in den Stadtteilen, und von daher ist die Liste der Dinge, die gemacht werden müssen, noch sehr, sehr lang. Ich glaube aber, meine Verwaltung hat gezeigt, dass es einen Weg gibt, wie wir diese Bedürfnisse auch erfüllen können.

Die Synagoge in der Fabrikstadt wurde voriges Jahr der Stadtverwaltung übergeben. Wie ist dort die Situation?

Wir machen gerade eine Ausschreibung für Notfallsicherung und Reparation. Wir haben in der ersten Phase die Regenrinnen gesäubert und ganz grundsätzliche Dinge gemacht, die leider auch hätten gemacht werden müssen, egal, wem die Synagoge gehört. Wir sind jetzt in der zweiten Phase, wo wir Notfallreparaturen durchführen, also wir sichern das Dach ab, usw., aber bereiten gleichzeitig auch ein größeres Renovierungsprojekt vor. Wir haben vom World Monuments Fund eine finanzielle Unterstützung von 100.000 Dollar, wo wir zusammen mit der Universität „Politehnica“ und verschiedenen anderen Partnern ein Nutzungskonzept erarbeiten und wollen dann mit Hilfe von EU-Fördergeldern, aber auch mit der EU-Förderung, die wir jetzt haben und auch anderen Stiftungsfördergeldern sowie städtischen Geldern die Sy-nagoge renovieren, aber mit einer kulturellen öffentlichen Funktion, also nicht mehr als Synagoge.

Wie ist es derzeit um den Nikolau-Lenau-Schulcampus bestellt?

Der Lenau-Campus bedurfte einer Neuausschreibung der Arbeiten, weil da Teile der Arbeiten nicht in dem Ursprungsprojekt vorgesehen waren, und wir da in eine Sackgasse kamen, auch mit der Baufirma, die den Vertrag hatte, die dann irgendwann gesagt hat, „wir machen das jetzt nicht mehr“. Wenn die Ausschreibung für die zusätzlichen Arbeiten reibungslos verläuft und die kalte Jahreszeit ohne viele Niederschläge sein wird, so wird der Lenau-Campus in einem Jahr fertig sein. Die Ausschreibung ist in etwa 3-4 Monaten fällig, die Frist für die zusätzlichen Arbeiten beträgt sechs Monate.

Der Lenau-Campus ist kein leichtes Projekt. Es hat von Anfang an, eben weil es nicht komplett war, ein paar Probleme gegeben. Man muss aber auch dazu sagen, es ist wirklich eine große Investition seitens der Stadt, ohne irgendwelche Fördermittel – wir tragen das wirklich aus unserem eigenen Haushalt.

Voriges Jahr war Temeswar Europäische Kulturhauptstadt. Worin besteht denn die Hinterlassenschaft des Kulturhauptstadtjahres? Merkt man heute noch was davon, dass Temeswar diesen Titel vor Kurzem noch getragen hat? 

Auf jeden Fall, und das bleibt auch weiterhin ein sehr wichtiges Pfund, mit dem wir wuchern werden. Wir haben Hinterlassenschaften auf unterschiedlichen Ebenen. Eine ist auf der Infrastrukturebene, wo wir die Kinos haben, die wir schon eröffnet haben – „Victoria“ ist nach Bukarest und Klausenburg/Cluj-Napoca das drittgrößte Ein-Leinwand-Kino in Rumänien. Wir hatten seit der Eröffnung von „Victoria“ und „Timi{“ insgesamt 100.000 Besucher, was Wahnsinn ist! Wir eröffnen demnächst weitere Kinos, „Studio“ und „Dacia“, und arbeiten auch in Freidorf daran. Aber auch andere Projekte – wir sind ja am Wasserturm in der Josefstadt dran. Wir wollen mit „Multiplexity“ weitermachen. Das Stadion, das wir bauen, soll für Großveranstaltungen genutzt werden.  

Auf einer anderen Ebene würde ich sagen, haben wir auf jeden Fall innerhalb der Kulturszene eine unglaubliche Dynamik, die angefacht ist. Wir geben fast eine Million Euro aus für Stipendien, Residenzen, weil wir Künstler direkt fördern wollen. Also nicht nur Kulturprojekte größerer Art, sondern auch Künstler, weil wir wissen, dass eine lebendige Künstlerszene für eine Stadt unglaublich wichtig ist. Wir haben ein paar größere Projekte, die letztes Jahr Fuß gefasst haben, ob das jetzt Festivals oder Biennalen sind. Wir haben natürlich auch gemerkt, was uns im Kulturprogramm fehlt: Wir brauchen ein-zwei große Konzerte im Jahr, die die Menschen anziehen.

Was bleibt, ist auch eine ganz neue Herangehensweise an das Stadtmarketing. Wir haben einen Stadtmarketingverein gegründet, Organizația de Management al Destinației. Die ganze Hotel- und Kurtaxe geht an diesen Stadtmarketingverein. Damit werden wir die Promo der Stadt viel besser machen können als in der Vergangenheit.
Die wichtigste Hinterlassenschaft ist aber, dass Temeswar viel bekannter ist und ein klarer konturiertes Image in Europa hat. 

Es gibt natürlich viele große Herausforderungen, wo wir angefangen haben, wichtige Schritte zu machen, die aber noch längst nicht bewältigt sind. Das eine ist, dass wir das Fernwärmesystem „Colterm“ stabilisiert haben, das jetzt aber wirklich eine große Investition in neue Technologien braucht. Ein anderes Thema ist sicher der öffentliche Nahverkehr, wo wir es zwar geschafft haben, Fördergelder für die ganze Flotte zu bekommen, um diese mit modernen Fahrzeugen auszustatten, aber wo wir jetzt im nächsten Schritt das Ticketing-System neu machen müssen, wo wir mit dem GPS-System arbeiten, aber vor allen Dingen auf Ebene der Zuverlässigkeit und der Regelmäßigkeit des öffentlichen Nahverkehrs nachlegen müssen. Das ist fast eine Generationenaufgabe, die ich wohl auch im nächsten Mandat nicht abhaken werde. Denn die große Aufgabe ist natürlich der öffentliche Nahverkehr in der Metropolregion, also im Großstadtumfeld. Ich sage das nicht oft, weil ich nicht will, dass das als Wahlslogan missverstanden wird, aber die große Vision ist eine S-Bahn zwischen Arad und Temeswar, denn heute misst sich Distanz nicht mehr in Kilometern, sondern in Minuten. Das würde ein ökonomischer Boost sein.

Welche Stadt in Rumänien, außer Temeswar, gefällt Ihnen am besten?

Das kann ich ganz schwer sagen, weil ich ganz wenig Möglichkeit habe, zu reisen. Ich kann mit Sicherheit sagen, dass es nicht Bukarest ist. (lächelt) Ich glaube, dass Kronstadt/Bra{ov eine Stadt ist, die ein ganz tolles Erbe hat. Ich bin ja in den Bergen aufgewachsen, auch von daher spricht mich Kronstadt an,  eine Stadt, die auch einen tollen Bürgermeister hat, Allen Coliban, der vieles angestoßen hat, gerade auch im ökologischen Bereich. Aber es ist natürlich eine Fangfrage, denn ich muss dreimal sagen, dass es außer Temeswar für mich keine Stadt gibt, die damit konkurrieren kann.

Könnten Sie etwas Gutes nennen, was die vorherige Verwaltung oder die vorherigen Verwaltungen in Temeswar gemacht haben?

Die Bewerbung für die europäische Kulturhauptstadt, die mit Mut und Selbstbewusstsein vorangetrieben wurde – das hat ja unter Gheorghe Ciuhandu begonnen und es wurde unter Nicolae Robu fortgeführt. Das ist sicher etwas, wofür wir dankbar sein müssen.

Es gibt Menschen, die Sie gewählt haben und die jetzt vielleicht etwas enttäuscht sind, weil sie sich etwas mehr erhofft hatten. Was könnten Sie tun, um diese Menschen wieder zu gewinnen, für Sie zu stimmen?

Ich glaube, viele fangen erst jetzt an zu verstehen und sich bewusst zu werden, wie groß tatsächlich die Komplizenschaft der Stadtverwaltung mit bestimmten Clans in Temeswar war. Und werden sich auch deshalb erst jetzt bewusst, wie schwierig es war und weiterhin auch ist, innerhalb der Verwaltung bestimmte Veränderungen anzustoßen. Ich glaube, die Leute verstehen vielleicht mehr als vor zwei, drei Jahren, dass ich nicht wie ein Zauberer alles über Nacht gut machen kann, sondern, dass das alles Verwaltungsprozesse sind, wo man Leute braucht. Die Menschen haben gemerkt, wie stark da die Widerstände auch von innen waren. 

Deswegen sage ich den Leuten immer, schaut euch an, ob wir in die richtige Richtung gehen. Und da sagen selbst die, die sich vielleicht mehr erhofft hätten von meiner ersten Amtszeit, dass ich genau in die Richtung gegangen bin, die ich versprochen habe, in allen Bereichen. Und auch wenn das Tempo der Veränderungen nicht immer zufriedenstellend ist für die Menschen, weil die Ressourcen natürlich auch beschränkt sind, da ist doch die Richtung das Wichtige. 

Natürlich ist es auch in der Politik bzw. in der Demokratie immer so, dass man zu wählen hat, nicht zwischen den Idealen, die man sich vorstellen kann, sondern nur zwischen den real existierenden Alternativen. Und da gibt es jetzt eine ganz klare Wahl: Entweder bleibt Dominic Fritz weiterhin Bürgermeister oder wird Nicolae Robu nochmal Bürgermeister. Ich glaube, dass selbst die, die sich vielleicht mehr gewünscht hätten, am Ende, wenn sie mit der Wahl konfrontiert sind, sagen, „Mensch, wir wären doch jetzt doof, uns jetzt wieder zurück ins Jahr 2020 zu versetzen“. 

Gibt es für Sie einen Plan B, falls Sie doch nicht wiedergewählt werden?

Nein, man kann so einen Wahlkampf, der ja so fordernd ist physisch und mental, nicht führen, wenn man im Hinterkopf den Plan B hat und sagt, ach, heute Abend mache ich mal keinen Wahlkampf, ich bleibe lieber zu Hause, ich bin müde. Denn wenn ich verliere, dann ist ja egal, denn habe ich habe ja immer noch meinen Plan B in der Tasche. Das würde man nicht aushalten.

Von daher gibt es keinen Plan B und ich bin auch zuversichtlich, dass ich den nicht brauchen werde, denn die Stadt darf keinen Plan B haben. Sie muss vorwärtsgehen und nicht zurück.