Die „Traurigkeit unseres Konsums“

Rumänien soll nicht zur „Müllkippe Europas“ werden. So sieht es der derzeitige Umweltminister. Aber kann das Land den Wandel schaffen? Eine Spurensuche von den Deponien Bukarests hin zu den globalen Fragen des Handels

Unter dieser scheinbar frischen Graslandschaft verbirgt sich eine aufgelassene Müllkippe.

Müllberge mitten in der Natur sind in Rumänien leider keine Seltenheit.

Bauruinen wirken wie eine ungeschriebene Einladung zum Abladen von Abfällen.
Fotos: Kolja Weber

Für Mircea Nedea sei die Gegend am Rande Bukarests perfekt gewesen: Das Essen teilte er sich mit den Nachbarn, kaltes Bier gab es im kleinen Shop um die Ecke. Doch dann kamen die Feuer. Riesige Rauchschwaden, schwarz vom Ruß zogen tagsüber über den Ort. In den Nächten roch es nach verschmortem Plastik, Gas oder medizinischem Abfall. Nedea konnte seine Fenster nicht öffnen, der Gestank durchdrang seine Klamotten. 

Als Nedea an einem Abend in Bukarest davon erzählt, lässt er immer wieder Pausen, blickt runter auf sein Weinglas. Der 44-Jährige, der eigentlich anders heißt, hat protestiert, Petitionen unterschrieben, die Brände durch Fotos und Videos dokumentiert. Trotzdem hat er das Gefühl, nicht genug getan zu haben. 

Nicht nur er setzt sich für ein sauberes Rumänien ein. Auch der ehemalige Umweltschutzchef Octavian Berceanu schickte der ADZ Fotos von Bränden in einer kargen Landschaft, sowie einer Masse aus Spritzen, Einweghandschuhen und Ruß. Klar wird: Wir haben ein Problem mit dem Müll. Und nicht nur mit unserem eigenen, sondern mit Abfall aus der ganzen Welt. Begeben wir uns auf eine Spurensuche.  

Am Stadtrand: Dosen, Styropor und ein Holzsarg

Egal, ob die zerknüllte Zeitung oder aufgerauchte Zigarette – in Rumänien verbraucht ein Bürger deutlich weniger Müll als in anderen Ländern Europas. Die Tendenz steigt aber. Von 2013 bis 2017 nahm die Menge etwa um 18 Kilogramm zu. Somit erzeugt jeder Rumäne durchschnittlich 272 Kilogramm Müll pro Jahr. Auch weltweit wird immer mehr produziert, immer mehr verbraucht. Die Folgen: Flüsse in Indonesien, in denen nur noch eine träge Mischung aus einem Plastikgemisch fließt, verpestete Luft in Malaysia oder Plastikteppiche in den Ozeanen. Forschende vom King’s und vom Imperial College London schreiben in einer Studie, dass sich die offene Verbrennung von Müll – und der damit entstehende Feinstaub - deutlich auf das Klima auswirke. 

Wir – eine Journalistin und ein Fotograf – begeben uns an den Rand Bukarests, wo Nedea wohnt. Hier hat er uns zwei Orte genannt, bei denen er illegale Machenschaften vermutet. In der Gegend zwischen den Bahngleisen ist es zunächst ruhig. Nur alle paar Minuten ist das dumpfe Hupen eines Zuges zu hören. Dicht an dicht reihen sich kleine Hütten. Kinder spielen gerade Fußball in den engen Gassen und kleine Welpen flitzen zwischen ihnen hin und her. Ein Gong dringt aus einem der Häuschen, Musik mit vielen Blasinstrumenten aus einem anderen. In solche Gegenden käme die Müllabfuhr selten, wird uns später ein rumänischer Journalist erzählen. Man muss über einen kleinen Vorsprung steigen, um das Ausmaß der Verschmutzung zu begreifen. Direkt zwischen den Häuschen und den Bahnschienen liegen zerpflückte Kuscheltiere, eine abgezogene Couch oder Essensdosen. Eine ältere Frau fischt gerade eine lila Jacke aus dem Abfall. 

In einer Ruine nebenan sind die Spuren der Brände noch klar erkennbar: Dunkler Ruß hat sich in das Gestein gefressen, die Klebemasse in dem Gemäuer wurde so stark erhitzt, dass sie nun zu Tropfen erstarrt von der Decke hängt. Die rote Farbe des ehemaligen Hauses ist abgeplatzt und von Rissen durchsetzt. Eine Toilette, ein alter Bürostuhl verstecken sich unter dem Schutt. Daneben liegen gelbe Säcke mit Styropor, ein alter Maiskolben, um den noch nicht einmal Fliegen kreisen und sogar ein Holzsarg befindet sich in den Bergen voll von Müll. Ist es das, was Nedea die „Sadness of Consumption“ nannte – die Traurigkeit unseres Konsums? Hier befinden sich jedoch vor allem Inschriften auf Rumänisch, eine Zeitung aus den Zeiten des Kommunismus oder ein Buch, dessen Seiten etwas von „Mi-am pierdut vremea“ verkünden – Ich habe meine Zeit vergeudet.

Solche Müllhalden finden sich über ganz Rumänien verteilt. Allein im Nordosten des Landes lagern laut einer Studie von 2019 über tausend Tonnen Abfall auf nicht-offiziellen Deponien. Doch wer ist verantwortlich dafür? Elena Rastei beschäftigt sich bei der Organisation „Zero Waste Romania“ mit dem Thema. Für sie sei es jedoch „nicht entscheidend, wer den Müll dort ablagert“, sondern warum. Für die Deponien gebe es viele Gründe – zum Beispiel eine fehlende Struktur in den ländlichen Gegenden: Wo keine Müllabfuhr arbeitet, werfen die Menschen ihren Abfall in die Natur. „Dann sieht man Flüsse oder Wälder voller Plastik“, so Rastei. Der Mangel an Sanktionen, Monitoring und Wissen zur Mülltrennung verstärken das Problem. Rastei sieht vor allem die Bürgermeister als Schlüssel für einen Wandel. Sie sollten sich weniger um Wählerstimmen kümmern. Manche Bürgermeister etwa versuchen, die Abgabe für die Müllabfuhr zu streichen. Das freut die Menschen. Aber für Rastei verlieren sie damit ein Verantwortungsgefühl. Sie könnten mehr Müll produzieren. Ganz anders handelte der Bürgermeister der Stadt Fogarasch/Făgăraș: Er ließ Gestelle zum Trennen des Mülls aufstellen. Obwohl die Bürger alles andere als angetan waren – der Müll locke Bären an und sähe furchtbar aus – zog der Bürgermeister den Plan durch.  

Verpackungen, die tausende Kilometer entfernt verbrennen

Aber es gibt noch einen anderen Faktor, der Rumäniens Müllproblem verschlimmert: Abfall aus dem Ausland. Seitdem es strengere Regeln für den Export in asiatische Länder gibt, habe laut einer Studie von Interpol von 2020 der illegale Handel innerhalb der EU zugenommen. Besonders Tschechien und Rumänien seien davon betroffen. Abfälle, die fälschlicherweise als „zur Verwertung“ gekennzeichnet wären, würden in den Ländern entsorgt oder verbrannt werden. 

Vor allem Plastikmüll einer gewissen Sorte wird aus Deutschland, Österreich oder Ungarn importiert – zumindest laut den Daten zweier Grenzposten, erzählt Rastei. Es wäre kein Problem, wenn es sich dabei wirklich um „sauberen Plastikmüll“ handle. Dann könnten Unternehmen die Rohstoffe recyceln. Aber in vielen Fällen würden die LKWs mit durchmischten Restmüll kommen, schlecht riechend, „weit entfernt von sauberen Plastikmüll“, so Rastei.  

Wieder im Zentrum Bukarests recherchiere ich zum illegalen Handel mit dem Abfall. Ein amerikanisch-rumänisches Nachrichtenportal berichtete im August 2020, dass die Grenzpolizei und Umweltschutzbehörden bereits den Import von insgesamt 3700 Tonnen Müll in dem Jahr gestoppt hätten – so viel Abfall kam vermutlich also mindestens an. Weiter heißt es, dass „an den Grenzen gestoppter illegaler Abfall vor allem Unternehmen erreichen soll, die unter anderem in Bukarest registriert sind.“ Wir bekommen einen Tipp, in eine andere Gegend am Rande der Hauptstadt zu fahren. 

Im Jahr 2017 verklagte die Europäische Kommission Rumänien vor dem Europäischen Gerichtshof. 68 illegale Deponien würden laut einer Mitteilung der Kommission eine ernste Gefahr für die menschliche Gesundheit und die Umwelt darstellen. Ein Jahr später wurde etwa die Mülldeponie im an Bukarest angrenzenden Glina geschlossen. Nach dem Erdbeben von 1977 wurde sie laut einer rumänischen Studie zur größten Müllkippe des Landes. Der Journalist hat uns den Tipp gegeben, dass sich hier auch Müll aus dem Ausland finden lassen soll. 

Auf dem Weg entdecken wir Hunde, Frauen, die auf den Straßen sitzen und Minishops, die Kartoffeln verkaufen. Ein etwa fünf Meter rostiger Zaun soll die Deponie vor fremden Besuchern schützen. Die Fläche dahinter lässt jedoch erahnen, dass alle Spuren verschwunden sind: Bis zum Horizont erstreckt sich nun frisch gewachsenes Gras und Hagebuttenbüsche. 

Doch kleine Spuren finden sich noch zwischen jungen Sanddornsträuchern, die direkt neben der ehemaligen Deponie wachsen. Zwischen frischem Gras stechen Autoreifen, alte Getränkepackungen und schließlich auch eine Verpackung von Pommes hervor. „Normalschnitt“ verkündet die Schrift darauf. Produziert von einer Firma aus Düsseldorf, Deutschland. Es könnte sein, dass die Pommes in Deutschland hergestellt, nach Rumänien exportiert und hier verbraucht wurden. Vielleicht handelt es sich hierbei aber um den importierten Müll. 

„Ein erster Schritt in die richtige Richtung“

Für Teodor Niță ist das tatsächliche Ausmaß des grenzüberschreitenden Handels „noch nicht ausreichend geklärt.“ Allerdings vermutet der auf Umweltkriminalität spezialisierte Staatsanwalt, dass der Handel mit dem Abfall eher zunimmt. Über die Straße oder Schienen, per Schiff oder mit dem Flugzeug gelange der verunreinigte Müll nach Rumänien. Neben ausländischen sollen auch rumänische Unternehmen, sowie Einzelpersonen die Abfälle transportieren. 

Es brauche stärkere Kontrollen. Mit der Unterstützung von Ni]² forderten Abgeordnete bereits, dass etwa gemischte, zu einem gewissen Maß verunreinigte und unsortierte Abfälle künftig nur unter Vorlage eines Herkunftsnachweises eingeführt werden sollen. Laut Niță fehlt bei den meisten Abfällen solch ein Nachweis. Das schließe die Rücksendung ins Heimatland aus. 

Nun reagierte die Politik: „Wir dürfen nicht zur Müllhalde Europas werden“, erklärte der derzeitige Umweltminister im Dezember. Gleichzeitig wurde eine Rechtsordnung verabschiedet, die Kontrollen erleichtern soll. Sie limitiert die Anzahl der Grenzübergänge, durch die Recycling-Müll eingeführt werden darf und schreibt eine Verfolgung des Transports vor. Für Niță ein Erfolg: Seit acht Jahren kämpfe er dafür, dass das Gesetz geändert wird. Nun sei es „ein erster Schritt in die richtige Richtung.“ Aber man müsse noch abwarten, was passiert, wenn Rumänien dem Schengenraum beitreten würde. Dann könnten die Grenzen wieder deutlich weniger kontrolliert werden.

Während die Politik diskutierte, hat Nedea eine Entscheidung getroffen: Er möchte das Haus am Rande Bukarests verkaufen. Zwar hätte er viele Freunde in der Gegend gefunden, aber er wolle spazieren gehen, ohne die giftigen Abgase der Verbrennungen einzuatmen. Im Zentrum der Stadt hofft er, eine neue Heimat zu finden. 

Rumänien als Vorbild? 

Für ihn und viele andere kommt die Hilfe vielleicht zu spät. Menschen müssen ihre Häuser verlassen, giftige Stoffe einatmen oder in einer Umwelt leben, die verpestet wird. Nur was sind Lösungen des Problems? Laut Niță müsse die Umweltschutzbehörde in Zukunft eine zentrale Rolle spielen. Sie bräuchte etwa mehr Labore, um den Müll oder die Qualität von Luft und Wasser zu analysieren. 

Für Elena Rastei von „Zero Waste Romania“ liege die Verantwortung auch bei jedem Einzelnen: Wir sollten nicht darauf vertrauen, was Maschinen mit unserem „schlecht sortierten Abfall“ tun. „Die wirkungsvollste Maschine, um Müll zu sortieren“, sagt sie: „sind zwei Hände.“ Ein gut sortierter Abfall ermögliche ein effektiveres Recycling. Darin liege auch eine Chance für Rumänien: Während andere Länder wie Deutschland den Müll in Verbrennungsanlagen oder ins Ausland schickten, ihre Maschinen immer am Laufen halten müssten, gebe es so etwas in Rumänien noch nicht in dem Ausmaß. Anders ausgedrückt: Das Land könnte in manchen Belangen zeigen, wie effektives Recycling funktioniert.   

In Rumänien beginnt also ein Wandel. Werden die illegalen Müllimporte an den Grenzen gestoppt, die nicht-offiziellen Deponien geschlossen und ein effektiveres Recycling etabliert werden? Nur wenn viele Faktoren zusammenspielen, kann das Land sein Problem mit dem Abfall beseitigen. Vielleicht stehen dann eher Häuser oder Gärten an den Stellen, an denen gerade Holzsärge, Bücher oder Maiskolben verrotten.