„Diese Musik war ja fließend, die gehört ja nicht in Schubladen gesteckt“

Fortsetzung des Gesprächs zwischen Götz Teutsch und Christel Wollmann-Fiedler

Josef Joachim, aus dem heutigen Burgenland, geboren 1831

Alan Bern, geboren 1955 in den USA
Foto: Yulia Kabakova/Wikimedia

Der aus Litauen stammende Komponist Joseph Achron, geboren 1886

Im ersten Teil des Interviews (siehe ADZ vom Mittwoch, 5. Januar) erzählte der in 1941 Hermannstadt geborene Cellist Götz Teutsch von seiner Kindheit in Reps, wie er die Liebe zum Cello entdeckte, seiner Studienzeit und schließlich der Emigration nach Deutschland. Seit dem Jahr 2000 gestaltet er mit bislang 45 Programmen den „Philharmonischen Salon“ im Kammermusiksaal des Kulturforums Berlin. Im folgenden Gespräch aus dem Archiv von Christel Wollmann-Fiedler ging es um die Edition von 2017, die der Stadt Czernowitz gewidmet war. 

Reisen Sie manchmal nach Siebenbürgen?

Ja sicher, in den letzten zwei Jahren war ich aber nicht da, weil ich einen ganz schweren Unfall hatte. Ich bin vom Berg gestürzt und habe mir die Wirbelsäule gebrochen, war monatelang im Krankenhaus. Es war sehr hart, und ich musste zwangsweise pausieren.

Ich habe viel gespielt bei der Musica Coronensis in Kronstadt, dann bei der Kronstädter Philharmonie, bei der Hermannstädter Philharmonie, bei der Klausenburger Philharmonie. Da war ich immer als Solist in den letzten Jahren. Mit einem Jahr Pause.

Sie waren 36 Jahre lang bei den Berliner Philharmonikern, die meiste Zeit als erster Cellist?

Ja, das ist so. Ich kam 1970 als Tuttispieler zu den Philharmonikern, nach ungefähr vier Jahren wurde die Solostelle frei. Ich musste mich erneut bewerben und auch vorspielen, bekam die Stelle und hatte sie über zwanzig Jahre. 

Wie kam es dann zum Philharmonischen Salon?

Immer wieder sagte ich mir, wie kann ich die für mich lebenswichtige Aktivität Lesen mit meiner Musik verbinden. Ich hatte Glück, denn manchmal wurde ich vom Rundfunk gebeten, zu Texten Musik auszusuchen. Dabei merkte ich, dass ich dafür ein ganz gutes Händchen habe. Ich ging zum Intendanten der Philharmoniker und habe ihm diesen Vorschlag unterbreitet, dass ich ein auf ein bestimmtes Ziel ausgerichtetes Programm entwerfe und dieses Programm mit Texten und Musik umgarne.

Das erste Programm war gleich ausverkauft, dabei ging es um Fanny Mendelssohn, Dietrich Fischer-Dieskau sollte lesen. Zunächst habe ich das dreimal in der Saison gemacht, dann habe ich es auf zweimal reduziert. Seit ich pensioniert bin, mache ich es wieder dreimal. 

In der Vorschau stand, dass ein Musikstück von George Enescu gespielt wird, doch es tauchte im Programm nicht auf.

Ach, die Vorschau muss fast ein Jahr vorher fertig sein, doch ich komme erst später dazu, das gesamte Programm auszuarbeiten. Damals dachte ich, dass Enescu auch hineinpassen könnte, obwohl er wirklich nichts mit Czernowitz zu tun hat. Das ist so ein Schwimmen zwischen den einzelnen Komponisten, das sollte man nicht so ernst nehmen. Was am Anfang steht ist nicht so wichtig, was am Ende steht ist wichtig.

Die Komponisten, die Sie zum Czernowitz-Thema ausgesucht haben, sind meist sehr alte, bis auf Alan Bern. Joseph Achron wurde 1886 in eine jüdische litauische Familie geboren und starb 1943 in Hollywood. Sie hatten die „Hebräische Melodie a-Moll op. 33“ von 1911 ausgesucht.

Der ist von seiner ganzen Musiksprache mit dem Klezmerstil derart verwandt, auch wenn Achron nicht in Czernowitz auf die Welt gekommen ist. Doch das macht gar nichts. Den Geist dieser Musik schreibt er selber, das ist quasi diese osteuropäische Musik, und ich nehme sie halt mit rein. Es ist keine Literatur- oder musikwissenschaftliche Arbeit. Es ist eine ganz subjektive Sichtweise auf irgendein Thema. Wenn ich Lust habe, etwas mit hereinzunehmen, was nach außen nicht passt, aber mir gefällt‘s, dann nehme ich es mit herein.

Dann hörten wir von Alan Bern „Big Train“ von 1990. Er ist noch ein jüngerer Komponist, wurde 1955 in den USA geboren und lebt jetzt in Weimar.

Nein, in Berlin! Er veranstaltet aber das Festival Yiddish Summer in Weimar. Er ist mit dem Geiger, Noah Bendix-Balgley, aufgewachsen. Sie sind Kindheitsfreunde und beide haben bei ähnlichen Lehrern gelernt und beide haben Klezmermusik seit ihrer Kindheit gemacht. Noah Bendix-Balgley ist erster Konzertmeister der Berliner Philharmoniker, oder einer der ersten, es gibt ja drei.

Auch Joseph Joachim wurde gespielt, das ist ja eine Berliner Geschichte?

Joachim ist ein ungarischer Jude und leitete in Berlin das weltberühmte Joachim-Quartett, hat mit der Musikhochschule in Charlottenburg und auch den Philharmonikern sehr viel zu tun gehabt und hat diese „Hebräische Melodien op. 9“ geschrieben. Ich suchte eine von deutschen Komponisten komponierte jüdische Musik, und da ist mir natürlich Joachim eingefallen. Er wurde 1831 im damaligen ungarischen Kittsee, heute im Burgenland in Österreich, in eine jüdische Familie geboren und starb 1907 in Berlin.

Das Musikstück „Doina“ und der „Gasn Nign“ hat mir sehr gefallen, ein bisschen Klezmer, aber ein klassischer Klezmer.

Natürlich. Diese Musik war ja fließend, die gehört ja nicht in Schubladen gesteckt. Diese ganzen Improvisationen hängen ja wahnsinnig viel mit dem zusammen, der sie spielt. Es ist auch ganz egal, von wo das kommt. Die beiden, die das gespielt haben, sind in einer Welt aufgewachsen, die wunderbar ist und sie spielen das sagenhaft gut.

Dann kam Karol Mikuli, der 1819 in Czernowitz geboren wurde und 1897 in Lemberg gestorben ist, wunderbar anzuhören waren die Klavierstücke.

Der ist in Czernowitz geboren worden und war ein sehr bekannter Komponist und Pianist. Den Pianisten ist er heute noch ein Begriff, weil er die gesamten Chopinwerke mit herausgegeben hat. Er war sein Schüler und hat sehr viel von Chopin auch in seinen Kompositionen. Das Reizvolle ist an diesen beiden Stücken für Klavier, „48 Airs nationaux roumains“, um 1863, und „Nr. 1 b-moll: Doina Lento“, dass sie ja eigentlich osteuropäische Musik sind, aber mit französischem Einschlag von Chopin. Ich finde sie wunderhübsch, die beiden Stücke. Mikuli war ein international anerkannter Komponist.

„Yismechu“ vor der Pause.. . Klezmer, festliche Dorfklänge aus einer Welt, die es nicht mehr gibt. Dann ging es weiter mit Sergej Prokofjews Ouvertüre über jüdische Themen op. 34 von 1919.

Dieses Stück ist keine Rarität, man kennt es. Es wird selten so schön gespielt, wie es diese Musiker getan haben. Ciprian Porumbescu, der Komponist, ist neben George Enescu der bekannteste rumänische Komponist von damals. Ich habe ihn deshalb reingenommen, weil er bei Czernowitz geboren worden ist. 1853 wurde er als Sohn eines orthodoxen Priesters in der Bukowina geboren, starb 1883 in einem kleinen Ort in der Südbukowina.
Das Konservatorium in Bukarest, welches ich absolviert habe, hieß damals „Ciprian Porumbescu“. Neben dem Ci{migiu-Park steht dieses schöne alte Gebäude, daneben ein weniger schönes modernes. Es war damals meine Musikhochschule, wo ich mein Staatsexamen gemacht habe.

Mit der „Todesfuge“ von Paul Celan und dem „Klaviertrio Nr. 2 e-Moll, op. 67“ (1944) von Dmitri Schostakowitsch war der Niedergang des jüdischen Lebens in Czernowitz zu spüren.

Das thematische Material dieses Stückes ist ja rein jüdisch und es ist von einer solchen Intensität und einer Meisterschaft komponiert von Schostakowitsch, das hat nichts seinesgleichen, man kann es mit Nichts vergleichen!

Ich danke Ihnen sehr, dass Sie mir das alles erzählt haben.