Ein Dorf und sein Dokumentarist

Martin Bottesch und Dr. Adinel Dincă stellten die rumänische Fassung des Großpold-Buches vor

Dr. Adinel Dincă und Martin Bottesch mit der rumänischen Fassung des Großpold-Buches Foto: die Verfasserin

In den 1980er-Jahren, als sich die Ausreisewelle der Sachsen und Landler intensivierte, begann das Ehepaar Johanna und Martin Bottesch in ihrem Heimatdorf Großpold/Apoldu de sus Daten über deren Bräuche, Trachten und Mundarten zu sammeln. Gegen das Vergessen und Verlorengehen. Sie waren damals Fachlehrer im deutschsprachigen Lyzeum in Mühlbach/Sebeș, sie für Deutsch, er für Mathematik.

Nach 1990 beschlossen sie zu bleiben. Sie übersiedelten nach Hermannstadt/Sibiu, Johanna wurde Dozentin an der Germanistik-Hochschule, Schwerpunkt Dialektologie (sie verstarb 2021), Martin verabschiedete sich kürzlich von den Kolleginnen und Kollegen des Samuel-von-Brukenthal-Gymnasiums, wo er ein beliebter und geschätzter Mathelehrer gewesen war. Im Herbst wird er 70. Ihm ist die Gründung des Zentrums für Lehrerfortbildung in deutscher Sprache Mediasch maßgeblich zu verdanken, er war von 2004 bis 2012 „der bescheidenste“ (so die lokalen Medien), sicher aber effizienteste Vorsitzende des Kreisrates Hermannstadt und auch danach kompetenter Kreisrat, seit 2013 ist er der Vorsitzende des Siebenbürgenforums. 


Neben dem Engagement in Beruf und Gemeinschaft fand Martin Bottesch die Zeit, um die Dokumentation seiner Heimatgemeinde fortzusetzen. Nun bestand die Absicht, eine Ortsmonografie zu verfassen, also befragte er auch die Rumänen und Roma. Er merkte bald, dass er für die Fertigstellung eines Koautors und Termins bedarf. Der in der Pfalz beheimatete Historiker und Theologe Ulrich Andreas Wien, „der den Fehler begangen hat, eine Großpolderin zu heiraten“ (Martin Bottesch) sagte die Zusammenarbeit zu, 2009 setzen sie sich 2011 als Abschlussdatum. 2011 erschien die Ortsmonografie „der Superlative“ (so die Rezensionen) „Großpold. Ein Dorf in Siebenbürgen“ im Verlag Janos Stekovits. Das 496 Seiten starke und reich illustrierte Buch wurde 2012 in der evangelischen und danach in der orthodoxen Kirche den Großpoldern vorgestellt. Bottesch hatte zuvor 1992 in Wien „Die bairisch-österreichische Mundart der Landler von Großpold (Apoldu de sus) in Siebenbürgen/Rumänien“ (mit Johanna verfasst) und im Böhlau-Verlag 2002 „Die Siebenbürgischen Landler. Eine Spurensicherung“ (mit Franz Grieshofer und Wilfried Schabus als Mitherausgebern) herausgegeben, aber auch mehrere kleinere Büchlein über die Landler verfasst. Am Sonntag wurde in dem bis auf den letzten Platz besetzten rumänischen Kulturhaussaal in Großpold die rumänische Fassung des Großpold-Buches vorgestellt.

Bei der Präsentierung der deutschen Fassung habe er die Autoren gefragt, was man tun könne, um das Buch ins Rumänische zu übersetzen, sagte der orthodoxe Pfarrer Adrian Moldovan in der Begrüßung der Anwesenden. Er selbst hatte seinen Sohn wiederholt gebeten, ihm aus dem Buch zu übersetzen. Vom Mediävisten Dozent Dr. Adinel Dinc˛ (Klausenburg/Cluj-Napoca) übersetzt, liegt nun das von Martin Bottesch schwerpunktmäßig auf die rumänische Gemeinschaft angepasste und auf das Jahr 2023 aktualisierte 512 Seiten umfassende Buch vor. Gedruckt wurde es im Honterus Verlag. Der Buchvorstellung wohnten Großpolder Rumänen, Roma, Landler und Sachsen, aber auch Hermannstädter bei, bewirtet wurden sie im Anschluss mit Hanklich, Striezel, Kaffee und Wein von der orthodoxen Gemeinde. 

Den Inhalt des Buches stellte Martin Bottesch anhand von Dias vor und zeigte dabei einige der fast 1000 auf dessen Seiten abgedruckten Fotos und Karten. Die Ortsmonografie beginnt ab dem Nachweis, dass es in römischer Zeit hier eine Siedlung gegeben hat. Die erste dokumentarische Erwähnung von „Opold superiori“ trägt 1291 als Jahreszahl, die Gegenwart von Rumänen wird 1622 erstmals erwähnt, einige Jahre später auch der Roma, die Landler siedelten sich in zwei Etappen 1752-1956 und 1773-1776 an, 1890 wanderte der erste Großpolder nach Amerika aus. Weder der Erste noch der Zweite Weltkrieg haben den Ort verschont, die Revolution 1989 allerdings wurde mit Blaskapelle und Ansprachen begangen. Seit 1897 ist der Ort per Zug dank der Inbetriebnahme der Bahnstrecke Unter-Winz/Vințu de Jos – Hermannstadt zu erreichen, 1930 erfolgte die Einführung des elektrischen Stroms, 1949 wurde die Staatsfarm und zwei Jahre später die Kollektivwirtschaft gegründet. All das und vieles mehr dokumentieren Fotos. So auch den Besuch von Bundespräsident Karl Carstens 1981, als die Schulkinder in den Wald geschickt worden sind, erzählte Martin Bottesch. Der Anhang umfasst u.a. Listen der katholischen (seit 1288), evangelischen (1569, nach der Reformation) und orthodoxen (seit 1783) Pfarrer, aber auch eine Karte mit den Flurnamen.

Nach einem Übersetzer habe er einige Zeit gesucht, gefunden hat er ihn in Dr. Adinel Dinc˛. Ihn schrieb er an, nachdem er erfahren hatte, dass dieser die Ortsmonografie von Heltau/Cisn˛die ins Rumänische übertragen hat, sagte Bottesch. Die Übersetzung der 2002 von Heinz Hermann und Dr. Konrad Gündisch verfassten Ortsmonografie „Heltau. Geschichte und Kultur einer siebenbürgisch-sächsischen Gemeinschaft” wurde 2022 vorgestellt, Dinc˛ fungiert aufgrund seiner Ergänzungen als Historiker als Mitautor. Beim Großpold-Buch sei er als Historiker ans Übersetzen gegangen und habe versucht, den Sachinhalt den rumänischen Lesern zu vermitteln, sagte der Mediävist. Als Hochschullehrer erläuterte er, dass dieses Buch mit der einem Mathematiker eigenen Rigorosität verfasst worden ist und dank der Komplexität der Dokumentation eine der besten Ortsmonografien in Siebenbürgen darstellt. Eine Herausforderung für den Übersetzer seien die zahlreichen Fachbegriffe gewesen. Jene betreffend Weinbau habe er mit Familie Laz˛r nachgeprüft, denn dafür werden unterschiedliche Bezeichnungen in den verschiedenen Ortschaften verwendet, ergänzte Bottesch.    

Dr. Dinc˛ wies auf die Bedeutung der Ortsmonografien im Zeitalter des raschen Wandels und der Entfremdungen hin. Sie ermöglichen eine affektive Bindung an den Ort aufgrund des besseren Kennens und Verstehens. Wann er als Hochschullehrer und an zahlreichen Forschungsprojekten beteiligter Forscher für die umfangreiche Übersetzung Zeit gehabt habe? „Ich weiß es nicht“, antwortete Dr. Dinc˛. Wann Martin Bottesch das Buch neben dem aufreibenden Amt und den zahlreichen Ehrenämtern verfasst hat, bleibt ebenso Rätsel.