„Ein guter Arzt muss den Patienten in seiner Gesamtheit sehen“

Gespräch mit dem Vorsitzenden der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin, Dr. Hendrik Lehnert

Der deutsche Arzt Hendrik Lehnert sprach in Temeswar über den Weg zum guten Arzt. Ihm wurde die Ehrendoktorwürde der Medizinhochschule in Temeswar verliehen.
Foto: Raluca Nelepcu

Dr. Hendrik Lehnert vom Universitätsklinikum Schleswig-Holstein ist kürzlich die Ehrendoktorwürde der Victor-Babe{-Fakultät für Medizin und Pharmazeutik in Temeswar/Timişoara verliehen worden. Aus diesem Anlass trug Dr. Lehnert, Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin, ein Referat über das medizinische Unterrichtswesen in Deutschland vor. Raluca Nelepcu war bei dem Festakt dabei und führte mit dem Arzt folgendes Gespräch.


In Ihrem Vortrag ging es um die Qualität des Medizinunterrichts in Deutschland. Was sollten sich die Kollegen aus Temeswar merken?

Die wichtigsten Schlussfolgerungen meines Vortrags wären, dass das Lernen und Lehren nicht nur intuitive Prozesse sind, die man beherrscht, ohne die Grundlagen dafür wirklich gelernt zu haben. Das Lernen und Lehren sind sehr komplizierte Prozesse, die nach unterschiedlichen Kriterien aufgeteilt werden können. Einmal muss ich das Lehren nach den Möglichkeiten des Studenten richten und nach seinem jeweiligen Ausbildungsstand.

Die Informationen, die vermittelt  werden müssen, sollten relevant sein, sie müssen zu tun haben mit dem, was der Student erstens lernen muss, zweitens mit dem, was er später im seinem Leben auch anwenden kann. Schließlich muss das, was gelehrt wird, auch überprüfbar sein, möglichst objektiv überprüfbar sein, durch standardisierte schriftliche und mündliche Prüfungen.

Das kann man am Beispiel der medizinischen Universitäten und Hochschulen in Deutschland sehr gut zeigen und man kann das gesamte Wissen, das vermittelt werden muss, auf die Art und Weise in unterschiedliche Abschnitte einteilen, die für den jeweiligen Ausbildungsstand wichtig sind.

Seit einigen Jahren kennen Sie die Universität für Medizin hier in Temeswar und auch das rumänische Bildungswesen. Was wären denn die Unterschiede zwischen dem deutschen und dem rumänischen System?

Ich war jetzt zum dritten Mal hier in Temeswar. Ich bin, wie immer, sehr gerne hier, ich bin vor allem beeindruckt von dem Enthusiasmus der klinischen Lehrer  hier. Ich kenne das Ausbildungssystem leider nicht in allen Details, aber, meiner Einschätzung nach, ist ein wichtiges Merkmal und auch Unterschied zum deutschen Ausbildungssystem, dass in Rumänien viel mehr Praxis und Klinik gelehrt wird.

Viele deutsche Universitäten haben das Problem, dass sie manch-mal zu viel Theorie und manchmal zu viel Methoden lehren, statt wirklich die klinische Auseinandersetzung mit dem Patienten.
Da kann man sicher noch viel auch von dem rumänischen System lernen.

Inwiefern könnten Sie sich vorstellen, dass beispielsweise Studenten aus Deutschland die ersten Jahre in Temeswar studieren und danach nach Deutschland zurückkehren und dort ihr Studium fortsetzen?

Das wird zum Teil schon praktiziert. Ich kenne viele Studenten, die ihre ersten Jahre in Rumänien oder an einer osteuropäischen Universität verbracht haben und dann später in Deutschland sehr erfolgreich waren, weil das Lernen gut strukturiert, aber auch mit klinischem Bezug war. Ich kann mir das ausgesprochen gut vorstellen und es führt zu einem guten Austausch zwischen den Universitäten.

Wie sind Sie eigentlich zum ersten Mal nach Temeswar  gekommen?

Das kam durch eine sehr nette Einladung von Frau Professor Ioana Zosin – wir sind inzwischen auch sehr gute Freunde geworden –, die mich eingeladen hatte, einen endokrinologischen Vortrag in Temeswar zu halten. So kam der erste Besuch zustande, und das hat sich zu einer sehr guten Beziehung und intensiven Freundschaft  entwickelt.

In welchem Jahr war das?

Das erste Mal war es 2006, das zweite Mal war es 2008, als es ein deutsch-rumänisches Endokrinologie-Symposium hier gab und jetzt bin ich das dritte Mal in Temeswar.

In diesem Sommer fand in Wiesbaden der 117. Kongress  der Internisten statt, da gab es auch ein deutsch-rumänisches Symposium. Was war denn Sinn und Zweck dieser Sache?

Sinn und Zweck war, die Verbindung zwischen den beiden Ländern und zwischen den beiden Gesellschaften zu intensivieren, als auch nach außen zu zeigen, was nach innen besteht, nämlich ein guter Austausch und ein guter Kontakt zwischen den beiden Ländern und den Gesellschaften für Innenmedizin. Es gibt schon einen Austausch von jungen Ärzten, eine Ärztin von Frau Professor Zosin war auch in Deutschland und es gibt gemeinsame Projekte, Fortbildungsveranstaltungen, also da passiert schon eine ganze Menge.

Sie meinten in Ihrem Vortrag, dass die besten Absolventen nicht unbedingt auch die besten Ärzte sind. Was macht denn einen guten Arzt aus?

Einen guten Arzt macht immer die Fähigkeit zuzuhören und auf den Patienten einzugehen aus, natürlich auch die richtige Entscheidung für die Diagnose und die Therapie zu treffen, aber immer, und das ist das Wichtigste, den Patienten in seiner Gesamtheit zu sehen und nie bei einem einzelnen Organ stehen zu bleiben.

Sie meinten ebenso, dass das deutsche Gesundheitssystem kein Patient ist, der geheilt werden muss. Ich würde jetzt behaupten, das rumänische Gesundheitssystem ist ein Patient, der geheilt werden muss. Wie kommentieren Sie das?

Das ist eine schwere Frage, weil ich nicht alles im rumänischen Gesundheitssystem wirklich kenne, aber es ist, wie oft, auch eine Frage der Ressourcen und der Möglichkeiten. Die sind überall knapp und Rumänien macht da sicherlich keine Ausnahme, es mangelt an Ausrüstungen in den Kliniken. Das ist eine Frage, die nur auf politischer Ebene gelöst werden kann, aber auch gelöst werden muss.