Ein Smartphone in ladinischer Sprache

Hersteller Motorola setzt sich für kleine indigene Sprachen ein

Für das Projekt mussten 200.000 Begriffe aus dem Englischen ins Ladinische übersetzt werden. Diese große Arbeit leistete ein Übersetzungsteam unter der Leitung von Paul Videsott, Professor für Romanische Philologie an der Freien Uni Bozen.

Giorgio Costabiei, der Präsident des Verbandes der ladinischen Gemeinden bei der Vorstellung des Handys

Die Ladiner sind die älteste, aber auch die kleinste Sprachgruppe in Südtirol: Sie zählt insgesamt nur rund 30.000 Angehörige. Trotzdem gibt es seit Kurzem Smartphones mit einer Benutzeroberfläche in ladinischer Sprache. Das Projekt wurde am Dienstag, den 4. Juni, in Bulsan/Bozen vorgestellt.  Entwickelt wurde es in Zusammenarbeit zwischen der Lenovo-Stiftung, der Freien Universität Bozen und dem Ladinischen Kulturinstitut „Micurá de Rü“. Für das Projekt mussten 200.000 Begriffe aus dem Englischen ins Ladinische übersetzt werden. Diese große Arbeit leistete ein Übersetzungsteam unter der Leitung von Paul Videsott, Professor für Romanische Philologie an der Freien Uni Bozen. „Jede Initiative zur Förderung kleiner Sprachen ist zu begrüßen; das ist wichtig und eine Chance, im Zuge der Globalisierung die eigene Kultur bewahren zu können“, sagte Giorgio Costabiei, der Präsident des Verbandes der ladinischen Gemeinden („Lia di Comuns Ladins“), bei der Vorstellung. 

„Es ist richtig, dass Sprachen und Kulturen dieselbe Aufmerksamkeit gewidmet wird wie gefährdeten Tieren und Pflanzen“, sagte Paul Videsott. Das ladinische Smartphone werde Auswirkungen haben auf die ladinische Sprache, denn bei der Erarbeitung der 200.000 Begriffe, die es brauchte zur Formulierung präziser Angaben auf der Benutzeroberfläche, mussten zahlreiche Begriffe, die es bisher nicht gab, neu geschaffen werden; andere, bereits existierende Begriffe bekamen eine neue Bedeutung. „In diesem Sinne ist das Projekt wichtig für die Entwicklung der ladinischen Sprache“, sagte Videsott. 

4000 indigene/autochthone Sprachen gibt es auf der Welt. Für sechs solcher Sprachen auf verschiedenen Kontinenten haben Motorola und die Lenovo-Stiftung bereits Smartphones in der jeweiligen Sprache entwickelt, so im Amazonasgebiet, für die Cherokee in Nordamerika und die Maori in Neuseeland. Das Ladinische ist die erste Sprache, für die in Europa im Rahmen der Initiative zur Erhaltung bedrohter Minderheitensprachen ein Smartphone angeboten wird. Motorola will überall und für jedermann intelligente Technologien bereitstellen und so zu einer inklusiveren und smarten Zukunft beitragen. 

Motorola hatte selbst das Ladinische ausgesucht. Ein Faktor bei der Entscheidung war die Tatsache, dass mit der Ladinischen Abtaeilung der Freien Uni Bozen ein seriöser wissenschaftlicher Partner für die Übersetzung der benötigten Begriffe bereitstand. 

Bei dieser Arbeit musste zuallererst eine wichtige Entscheidung getroffen werden: Welche der fünf ladinischen Varianten soll verwendet werden? Die Ladiner leben bekanntlich in fünf Tälern rund um das Sellamassiv. Sie genießen in den beiden in Südtirol gelegenen Tälern (Gröden und Gadertal) dank der Autonomie einen ausgezeichneten Schutz, ebenso im Fassatal (Trentino), nicht aber in den beiden in der Provinz Belluno (Region Veneto) gelegenen Tälern Fodom/Buchenstein und Anpëz/Ampezzo: Dort haben sie praktisch keine Rechte. 
In jedem der fünf Täler gibt es eigene Varianten des Ladinischen, die zum Teil bereits standardisierte Varianten kleinerer Tal-Idiome sind. Zwar gibt es eine einheitliche Schriftsprache, die in den 1990er-Jahren von dem renommierten Zürcher Romanisten Heinrich Schmid auf der Basis der größten Gemeinsamkeiten der fünf Varianten erarbeitet wurde; sie wurde aber 2003 politisch blockiert und wird nur gelegentlich verwendet. Der Grund für die Nicht-Verwendung ist die Befürchtung unter manchen Ladinern, dass die eigenen Idiome unter der Einheitssprache leiden könnten. 

Die Entscheidung, die Gadertaler Variante zu verwenden, fiel nach Konsultationen mit allen wichtigen ladinischen Institutionen. 

Dass das ladinische Smartphone ein ökonomischer Erfolg für Motorola wird, darf bezweifelt werden. Im Smartphone-Sektor ist das Unternehmen heute ein eher kleiner Player, und es dürfte nicht davon auszugehen sein, dass nun viele Ladiner ein neues Gerät kaufen, weil eine ladinische Version verfügbar ist. 

Motorola ist ein US-amerikanischer Konzern im Elektronikbereich. Er war bis Mitte der 2000er-Jahre ein wichtiger Faktor auf dem Mobiltelefon-Markt, wurde dann aber auf diesem Gebiet abgehängt. 2012 wurde Motorolas Mobiltelefonsparte von Google übernommen, das sie 2014 an die chinesische Lenovo-Gruppe verkaufte, zu der sie bis heute gehört. Lenovo ist der weltweit größte Anbieter von Personal Computern.

Die ladinische Sprache kann auf den Geräten der neuen Edge-50-Familie von Motorola ausgewählt werden und soll in allen künftigen Smartphones der Gruppe verfügbar sein.


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Inzwischen haben sich 27 Zeitungen aus 12 verschiedenen Ländern MIDAS angeschlossen. Die derzeitige Präsidentin ist Edita Slezáková.