Ein starkes, erweitertes Europa, das die Krisen bewältigt

Ehrendoktortitel für José Manuel Durão Barroso, den ehemaligen Präsidenten der EU-Kommission

Der ehemalige EU-Kommissionspräsident José Manuel Durão Barroso, der dieses Amt zwischen 2004 und 2014 bekleidete, während seiner Rede in der Aula Magna der West-Universität Temeswar
Foto: die Verfasserin

„Ich bin traurig, wenn ich die Meinung einiger Spezialisten höre, dass sich Europa im Verfall befinde und dass der Höhepunkt der EU in den 1970er Jahren erreicht wurde. Diese Spezialisten denken an das kleine Europa, heute haben wir eine Europäische Union der 28 Mitglieder. Erst seit der Osterweiterung ‘atmet die EU wieder mit beiden Lungenflügeln’, so wie das Papst Johannes Paul II. umrissen hatte“. Als entschiedener Europäer, als ein Befürworter der Osterweiterung und eines starken Europas, in dem alle Staaten – ob klein oder groß, ob arm oder reich – Mitspracherecht haben, als ein Verfechter der Idee der europäischen Solidarität, so präsentierte sich José Manuel Durão Barroso, der ehemalige Präsident der Europäischen Kommission, am vergangenen Freitag in Temeswar, als er die Ehrendoktorwürde der West-Universität Temeswar entgegennahm. Seine beflügelte Rede, in der er für das große Europa und die Rolle der osteuropäischen Staaten, darunter auch Rumänien, plädierte, hatte das Publikum in der Aula Magna zum lebhaften Applaus bewegt. Und nicht wenige waren nach dem Diskurs der Meinung: „Barroso – ein vollkommener Redner!“.

Auf die Verbundenheit Rumäniens mit Portugal hat Prof. Dr. Dan Negrescu in der Laudatio hingewiesen, auf alte Beziehungen, die aus der Zeit des Römischen Reiches stammen. Die Gemeinsamkeiten aus der jüngsten Vergangenheit unterstrich der aus Portugal stammende Ex-Präsident der EU-Kommission: „Als Portugiese verstehe ich, was es bedeutet, aus einem autoritären Regime zu kommen. Ich selber habe den Fall des autoritären Regimes 1974 in Portugal erlebt, war damals 18 Jahre alt und kann mich an die Erfahrungen, die mein Land gemacht hat, erinnern. Ich weiß, wie wichtig es ist, ein demokratisches Regime aufzubauen. Es war schwierig für Rumänien und Portugal, der EU beizutreten. Bitte betrachtet mich als einen Freund Rumäniens, für das ich viel Sympathie entgegenbringe, da ich viele Ähnlichkeiten mit Portugal sehe. Die EU ist für die Mitgliedstaaten für die Konsolidierung der Demokratie, für die Herstellung der wirtschaftlichen Prosperität und für soziale und kulturelle Entwicklung wichtig“.

„In Krisen geschmiedet“

José Manuel Durão Barroso, der nach dem Beenden seiner zweiten Amtsperiode ans Katheder zurückgekehrt ist und seitdem an der Universität Princeton in den USA wirkt, aber auch in Lissabon und Genf, unterstrich die Bedeutung und den Einfluss der EU auch für den akademischen Bereich: „Ich merke, dass Temeswar und auch die Universität hier einen wichtigen Erneuerungsprozess durchmachen, auch dank der EU-Fonds. Viele Politiker sprechen über Bildung und Kultur, ich meine es auch, wenn ich darüber rede. Davon spricht die Tatsache, dass die Fonds, die für Bildung ausgegeben werden, vergrößert wurden. Bildung handelt von der Entwicklung der Menschen. Ich glaube, die Zukunft Europas liegt in der Innovation, in der Wissenschaft, in den Universitäten“. Als entschiedenen Europäer, der Vertrauen in die Zukunft der EU hat, zeigte sich José Manuel Durão Barroso, der sich über die kursierenden Klischees über den Verfall der europäischen Konstruktion verärgert zeigte: „Eine meiner Studentinnen in Princeton hat auf Google nach Einträgen über die Krise und die EU gesucht. Es kamen über eine Million Einträge zusammen“. Und lachend setzt er hinzu: „So bin ich ein Experte in der Krise geworden“. Natürlich, gab er zu, gibt es immer wieder Krisen: „Geopolitischer Natur wie die auf der Krim, soziale und Wirtschaftskrisen, beispiellose finanzielle Krisen. Aber viele haben wir auch schon zusammen bewältigt. Und die Leute, die ab 2009 jedes Jahr den Grexit vorausgesagt haben, haben sich getäuscht, Griechenland ist weiterhin Mitglied der EU. Auch die Spezialisten, die die Implosion der Eurozone vorausgesagt haben, haben sich getäuscht.

Dafür haben wir jetzt eine starke, stabile, zuverlässige Währung. Wir haben auf jeden Fall eine große finanzielle Krise durchgemacht. Auch Rumänien hat damals schwierige Momente mitgemacht. Aber einige der Staaten, die damals unter den Schirm kamen, so Irland, sind hervorgekommen und gehören heute zu den Staaten in Europa mit dem schnellsten Wachstum. Die EU-Staaten befinden sich nicht mehr in der Rezession, es gibt ein gewisses Wachstum. Europa hat als Antwort auf die Krise einen Stabilitätsmechanismus, eine Art Internationalen Währungsfonds für Europa, aufgebaut. Wir haben die Krise genutzt, um neue Institutionen zu gründen und die Integration zu erweitern. Ich bin optimistisch, weil ich nichts von dem intellektuellen Glamour des Pessimismus halte, sondern weil ich die Phänomene analysiere und die Dinge in Perspektive sehe. Überhaupt ist Europa eine Kultur des Kompromisses, so verzögert sich manchmal die Entscheidungsbildung, bei der schrittweise vorgegangen wird. Seit 2004 hat sich die EU von der Anzahl der Mitgliedstaaten her verdoppelt“. So antwortete José Manuel Durão Barroso jenen Euroskeptikern, deren Worte seit einigen Jahren oft die Zeitungsseiten und die politischen Diskurse füllen. Und die leider immer öfter anzutreffenden Euroskeptiker und Politiker, die dem Diskurs des Populismus und Nationalismus sowie der Xenophobie verfallen sind, bilden, wie das der ehemalige Präsident der Europäischen Kommission erklärte, ein Phänomen, das sich allerdings nicht auf Europa beschränkt. Er erinnerte an Jean Monnets Worte: „Europa wird in Krisen geschmiedet!“ hatte dieser Gründervater der EU gesagt.

Solidarität, Rechte und Pflichten

Wichtig ist, nach Meinung des überzeugten Europäers, die Proportionen zu wahren, und das Gesamtbild im Auge zu behalten, dann sieht man nämlich, dass „die eigentliche Krise in Syrien, nicht in Europa ist. Ich würde meine Probleme nicht mit ihren (der Flüchtlinge – Anm. der Red.) tauschen wollen. Man muss realistisch sein, Solidarität und Hilfe in der Not sollen mit Verantwortungsbewusstsein gepaart werden, das bedeutet auch Kampf gegen Schleusernetzwerke sowie den Aufbau von starken Außengrenzen“. José Manuel Durão Barroso plädierte für die Aufnahme der Flüchtlinge, wobei er der Ansicht der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel beipflichtete und deren „prinzipielle Haltung“ lobte. Er setzte sich für die Festlegung der Aufnahmequoten für jeden Mitgliedstaat ein: „Es ist an der Zeit, dass die neuen Mitgliedstaaten ihre Verpflichtungen gegenüber der EU halten, die Solidarität mit unterstützen. Wir alle haben Rechte und Pflichten in der EU“. Was die Stacheldrahtzäune innerhalb Europas betrifft, formulierte Barroso ein klares Nein, dafür aber stärkere Außengrenzen: „Vor ein paar Jahren noch hatte Frontex nicht mehr als 60 Mitarbeiter. Damit kommt man nicht zurecht“. Rumäniens Beitritt zum Schengener Abkommen würde für das Land auch mehr Verantwortung bedeuten: „Ich bin schon zu meiner Amtszeit der Meinung gewesen, dass Rumänien auf Schengen vorbereitet war. Ich vertrete immer noch dieselbe Meinung und glaube, dass durch die Aufnahme Rumäniens die Sicherheit in der EU gestärkt werden würde“.
Bei der Verleihung der Ehrendoktorwürde in Temeswar war auch der rumänische Premierminister Dacian Cioloş, der das Amt des Kommissars für Landwirtschaft in der zweiten Barroso-Kommission bekleidet hat, anwesend.