Ein Völkchen zwischen zwei Heimaten

Smaranda Vultur schrieb ein Buch über Franzosen im Banat und über Banater in Frankreich

Ein neues Buch über die bewegte Banater Geschichte von Smaranda Vultur

Bauernhaus aus der Banater Gemeinde Triebswetter

Das Triptychon in Roque-sur-Pernes über die Rückkehr der Franzosen aus dem Banat

Das kollektive Gedächtnis Europas, das bewegte Schicksal von vielen Nationen und Völkern wird heute, da sich der alte Kontinent mit seinem Flaggschiff, der EU, auf dem besten Weg zu einer gemeinsamen Heimat befindet, weniger von den Staaten und Regierungen gepflegt und aufgefrischt, sondern eher im kleinen, lokalen Rahmen: In der kleinen Dorfkirche der südfranzösischen Ortschaft Roque-sur-Pernes ist ein Triptychon (drei Meter Länge, anderthalb Meter Höhe) über die Rückkehr der Banater Franzosen in die alte Heimat zu sehen. Etwa 1800 Kilometer östlich, im Südosten Europas, beziehungsweise im Temeswarer AMG-Haus, Sitz des Banater Forums, kann man sein schönes Gegenstück, das bekannte Triptychon über die Einwanderung der Banater Schwaben von Stefan Jäger im Original bewundern. Und für beide Völkchen, die Nachfahren der ehemaligen Banater Franzosen wie auch der Banater Schwaben in der alten und neuen Heimat, sind diese Zeugnisse trotz der verflossenen Jahrhunderte viel mehr als nur Ausdruck der Nostalgie.

In diesem Sinne ist das kürzlich in Temeswar/Timişoara erschienene Buch „Franzosen im Banat, Banater in Frankreich“ (Marineasa Verlag, Temeswar 2012) von Smaranda Vultur zu verstehen und zu begrüßen. „Dieses Buch ist eher eine Studie über Gedächtnis und Identität“, bekennt die Autorin Smaranda Vultur. Die Temeswarer Schriftstellerin, Anthropologin, derzeit Dozentin an der Temeswarer Westuni, handhabt in ihrer anthropologischen Gedächtnisstudie sowohl Vergangenheit als auch Gegenwart, das individuelle und kollektive Gedächtnis: Es fließen so offizielle und inoffizielle, beziehungsweise persönliche, subjektive Berichte und Zeugenaussagen ein. Das Gesamtbild über das Schicksal der Franzosen aus dem Banat wird mit Bildern, Symbolen und als Beleg mit zahlreichen Zeitdokumenten und Urkunden ergänzt. Der sozusagen ultimativen Wahrheit dieses kleinen Völkchens noch am nächsten erscheinen, trotz der Subjektivität der Aussage, die bemerkenswerten Interviews mit Nachfahren der Banater Franzosen, die im Banat oder in den französischen Dörfern Roque-sur-Pernes und Vaucluse in den letzten Jahren im direkten Zwiegespräch mit den heutigen Einwohnern entstanden sind.

In Roque-sur-Pernes wie in anderen Orten Frankreichs, die nach Ende des Zweiten Weltkriegs für die Franzosen aus dem Banat zur neuen, alten französischen Heimat wurden, spricht man heute wie selbstverständlich von der „Odyssee der Banater“. Diese Nachkommen der von den Habsburgern im Banat Angesiedelten – von den circa 4500 bis zum Jahre 1770 angesiedelten Familien waren laut Francis Cabour 1855 aus Lothringen, 873 aus dem Elsass, 639 aus Luxemburg – wurden als Sprecher banatschwäbischer Mundarten im Frankreich der Nachkriegsjahre mit Unmut und gar offener Ablehnung begrüßt. Erst in den letzten Jahrzehnten des zwanzigsten Jahrhunderts schafften es die Banater Franzosen, mit den Gespenstern der Geschichte Frieden zu schließen. Die Nachkommen aus den Banater Franzosendörfern Triebswetter/Tomnatic, Mercydorf/Carani, Kleinkomlosch/Comloşu Mic (Ostern), Gottlob, auch Tolvadia/Livezile und Banlok/Banloc sowie aus Seltour, Charleville und Saint-Hubert (dem heutigen Banatsko Veliko Selo in Serbien) waren von 1944 bis 1945 Kriegsflüchtlinge in österreichischen Lagern und galten damals als heimat- und vaterlandslos. Erst 1948 gelang es Jean (Hans) Lamesfeld, einem gebürtigen Banater aus Blumenthal/Maşloc, mit tatkräftiger Unterstützung von Robert Schuman, dem Mitbegründer der Europäischen Gemeinschaft, die Aufnahme von 10.000 Kriegsflüchtlingen, mehrheitlich aus dem Banat, in Frankreich zu erwirken.

Die Autorin stützte sich auf etliche Standardwerke und Studien aus Deutschland, Frankreich und Rumänien zu diesem Thema, unter anderen von Hannelore Baier, Stefan Frecot, Jean Lamesfeld, Rudolf Gräf, Anton Peter Petri oder Heinz Vogel. Bekanntlich hat sich Smaranda Vultur in früheren Büchern verschiedenen Aspekten der Geschichte des Banats und speziell der Banater Schwaben gewidmet, zum Beispiel in „Die Deutschen aus dem Banat in ihren Geschichten“ (2000), „Ethnizität und Kollektivierung“ (2005) oder in ihrem Buch mit Erlebnisberichten von Bărăgan-Deportierten „Gelebte Geschichte, erzählte Geschichte“ (1997).
Wir leben heute in Europa zum Glück nicht in Zeiten von Krieg, Not, Flucht und Intoleranz, so wie vor 200 Jahren, als unter anderem auch die Brücken zwischen Frankreich und dem Banat geschlagen wurden. Das Schicksal dieses kleinen Völkchens, der Banater Franzosen, soll jedoch weiterhin als wertvolles Beispiel im kollektiven Gedächtnis Europas einen Platz haben und wachgehalten werden. Dazu leistet auch dieses Buch seinen kleinen, aber nicht zu unterschätzenden Beitrag.