Europäischer Tag der Sprachen

Rundgespräch über die Anwendung neuer Technologien und alternativer Unterrichtsmethoden beim Fremdsprachenunterricht

Moderatorin Enikö Katalin Laczikó, Museumsdirektor Ioan Cristescu und Raluca Chiriac, Vertreterin der EU-Kommission, führten das Publikum in die Thematik des Rundgesprächs ein. Foto: die Verfasserin

Am 26. September hat das Departement für Interethnische Beziehungen der Rumänischen Regierung (DRI) ein Rundgespräch anlässlich des Europäischen Tags der Sprachen im Bukarester Museum der Rumänischen Literatur (MNLR) veranstaltet – unter Moderation vonEnikö Katalin Laczikó, Staatssekretärin im Departement für Interethnische Beziehungen. Zum Auftakt betonte der Museumsdirektor und Gastgeber, Ioan Cristescu, dass die Mehrsprachigkeit heutzutage eine Notwendigkeit nicht nur für die interkulturelle Kommunikation, sondern auch zum besseren Verständnis unserer Welt sei. „Das Literaturmuseum ist ein Ort, in dem die kulturelle Vielfalt Identitäten verbindet“, verwies er auf das Motto des Departements für Interethnische Beziehungen.  

Renáta Rákosi, Vertreterin des Minderheitenamtes beim Bildungsministerium, sprach von Reformen des Bildungswesens, welche Schülern den Kontakt zu mehreren Sprachen von klein auf ermöglichen, darunter die Bildung zweisprachiger Klassen und die Ausarbeitung des Schulcurriculums für Klassen mit der Unterrichtssprache in den Muttersprachen der nationalen Minderheiten. So soll die Mehrsprachigkeit keine Ausnahme, sondern die Norm werden, Brücken zwischen Menschen bauen und neue Möglichkeiten bieten, betonte sie.

Raluca Chiriac, Vorsitzende der Vertretung der EU-Kommission in Rumänien, führte die Zuhörer in die Bemühungen der EU-Kommission zur Förderung der Mehrsprachigkeit ein. Sie eröffnete ihre Rede mit einem treffenden Motto: „Mit dem Erlernen einer Fremdsprache lernt man eine neue Welt kennen“. Als Hauptziele der Europäischen Union für die nahe Zukunft nannte sie Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Diesem Doppelziel ordnet sich auch das Bestreben der EU um die Verbesserung der Gleichberechtigung und Qualität im Bereich Bildung und Weiterbildung unter, um die digitale Ausbildung und Erziehung zur Nachhaltigkeit. Daher investierte die Europäische Union 2021 3,6 Milliarden von den gesamten im Europäischen Wiederaufbau- und Resilienzplan (PNRR) vorgesehenen 800 Milliarden Euro in die Ausrüstung von 1175 Smart Labs für die digitale Ausbildung.

Aufgrund der 2021 von dem Europarat, EU-Parlament und der EU-Kommission organisierten Reihe Bürgerdebatten, die es Menschen aus ganz Europa ermöglicht haben, ihre Ideen auszutauschen und die gemeinsame Zukunft mitzugestalten, wurden 49 Empfehlungen formuliert. Davon hat die Mehrsprachigkeit als  Verbindungs- und Integrationsmittel Vorrang und soll von einem jungen Alter an gefördert werden.

Die erste Diskussionsrunde des Rundgesprächs wurde dem Thema „Widerspiegelung der Bedeutung des mehrsprachigen Lernens in der rumänischen Bildungspolitik“ gewidmet. Simona Miculescu, Botschafterin für die Ständige Vertretung Rumäniens bei der UNESCO in Paris, erläuterte zunächst die Rolle der UNESCO im Bereich Bildung, darin bestehend, dass die Organisation die internationale Mühe um das Erreichen der von der UNO unter „Agenda 2030“ formulierten Ziele nachhaltiger Entwicklung im Bereich Bildung koordiniert. „Zugang zur hochwertigen Bildung für alle“ lautet Ziel Nummer vier auf der Agenda 2030. Dazu bietet UNESCO einen Rahmen für den zwischenstaatlichen Dialog, behält ständig das Annehmen neuer Gesetze jedes einzelnen Staates im Auge zur sofortigen Entdeckung sowohl möglicher Schwachstellen, als auch der Beispiele guten Verfahrens, sowie um Staaten beim Verabschieden der besten Maßnahmen im Bereich Bildung zu unterstützen.

Als zweiter Sprecher dieser Diskussionsrunde betonte der Informatiker armenischer Herkunft, Varujan Pambuccian, Abgeordneter und Vorsitzender der politischen Fraktion nationaler Minderheiten, die Bedeutung der Interaktion im Rahmen des Unterrichts. Er nannte zwei Probleme des Bildungswesens: Den Mangel an Interaktion im Fremdsprachenunterricht und das Vorurteil, dass das digitale oder virtuelle Lernen in der rumänischen Gesellschaft nicht als eigentliches Lernen betrachtet wird.

Als Lösungen schlug er leistungsstarke digitale Geräte und mehr Interaktion beim Lernvorgang, sowohl zwischen den Lehrkräften und Lernenden, als auch unter Schülern und das Bilden von Lerngemeinschaften, wobei die Lehrkräfte ihre Schüler im Lernprozess begleiten und unterstützen, vor. Als Beispiel für Interaktion erwähnte Pambuccian das System zum digitalen Lernen, in das die armenische Gemeinschaft in Rumänien massiv investiert hat, welches dessen Nutzern eine komplette Interaktion auf Video-, Audio- und Schreibniveau ermöglicht.

Ebenfalls seit einigen Jahren verfügen auch die jungen Angehörigen der griechischen Minderheit in Rumänien über leistungsstarke digitale Geräte für den Online-Unterricht, erfuhren die Anwesenden von der Vertreterin der Griechischen Union in Rumänien Bildungskoordinatorin Sonia Enache. So war es für alle 20 Sprachgemeinschaften möglich, den Griechischunterricht innerhalb von nur zwei Tagen seit Beginn der Pandemie im digitalen Format wiederaufzunehmen. Ihre Gemeinschaft legt laut Sonia Enache viel Wert auf die  ständige Fortbildung und hält die Mehrsprachigkeit für mehr als eine Notwendigkeit in der Gegenwart und für die Hauptinvestitionsrichtung in die Zukunft der Kinder.

An die früher von Varujan Pambaccian erwähnte Idee der Lerngemeinschaften und des multimodalen und -medialen Lernens knüpfte auch der nächste Sprecher, Prof. Dr. Markó Bálint, Prorektor der Babe{-Bolyai Universität (UBB) in Klausenburg/Cluj-Napoca an. Eine frühe mehrsprachige Erfahrung durch ausländische Filme und den Fremdsprachenunterricht in der Schule setzen die Studierenden an der Universität durch Fremdsprachenkurse zur Berufsentwicklung, die Teilnahme an Veranstaltungen der örtlichen Fremdsprachenzentren, bis hin zu Erasmus-Stipendien und akademischen Austauschen fort.

Das Ziel des Eutopia-Bündnisses, zu dessen Mitgliedern auch die UBB zählt, sei Prof. Dr. Markó Bálint zufolge das Bilden kollektiver Lerngemeinschaften. Dies ermögliche Studierenden wie Dozenten, Kontakt zu internationalen akademischen Gemeinschaften aufzunehmen, mit ausländischen Kollegen online zusammenzuarbeiten und so auch Sprachfähigkeiten heranzubilden.
Nach Meinung des Leiters des Forschungsinstitut für Fragen der nationalen Minderheiten in Klausenburg (ISPMN), István Horváth  ist das multimediale und multimodale Lernen die beste Weise, sich eine Fremdsprache anzueignen. Das von ihm geleitete Zentrum entwickelt und testet erfolgreich seit mehreren Jahren verschiedene Lernmethoden, inklusive digitale. Durch Filme, Slide-Shows, die Einführung von Begriffen und Definitionen in ihren ursprünglichen Fremdsprachen wird die Mehrsprachigkeit gefördert, versicherte István Horváth.

Radu Székely, Berater des Ende September noch amtierenden Bildungsministers Sorin Cîmpeanu, teilte dem Publikum einiges aus seiner 20-jährigen Erfahrung als Lehrkraft im finnischen Bildungswesen mit. In einem solchen stark digitalisierten Bildungswesen wird zur Gestaltung eines interaktiven Unterrichts auch künstliche Intelligenz eingesetzt, wobei diese ein Instrument zur Unterstützung und nicht als Ersatz der Lehrkraft ist. Der Berater stellt sich wie die beiden vorigen Sprecher für ein multimodales und -mediales Unterrichten der Fremdsprachen ein, wobei sowohl klassische Schulbücher, als auch online Fremdsprachen-Apps, ausländische Filme, Zeitungen und Zeitschriften im Lernprozess nach der Methode der Sprachvertiefung verwendet werden sollen. Laut Radu Székely habe der Übergang von einem traditionellen zu einem stark digitalisierten Bildungswesen in Finnland etwa zehn Jahre gedauert.

Die nächste Sprecherin, Monika Hay, Direktorin des „Samuel von Brukenthal“-Kollegs in Hermannstadt, sensibilisierte zunächst das Publikum für die gefährdeten Minderheitensprachen Tatarisch und Jiddisch in Rumänien und nannte die coronabedingte Digitalisierung des Lernprozesses fast von einem Tag auf den anderen als Herausforderung für die von ihr geleitete  Schule. Ihr zufolge wurde hierzulande die Digitalisierung des Schulwesens zwar binnen zwei Wochen umgesetzt, aber anfangs erwiesen sich die digitalen Fähigkeiten vieler Lehrkräfte als mangelhaft, weswegen manche von ihnen wiederum die Lernenden nicht wirklich bei der Anwendung der Online-Lernressourcen oder bei der Auswahl der Informationsquellen betreuen konnten.
Mit digital besser ausgebildeten Lehrkräften und Schülern könnte die pädagogische Methode „flipped classroom“, wobei Schüler zu Hause Materialien aus Online-Ressourcen lesen und danach gemeinsam mit dem Lehrer beim Unterricht besprechen, auch hier erfolgreich ab und zu angewendet werden, schlug die Schuldirektorin abschließend vor.

Zu den Herausforderungen der Lehrkräfte in Bezug auf den Übergang zu einem digitalisierten Lernprozess hat sich während der zweiten Diskussionsrunde auch Prof. Axinia Crasovschi von der Fakultät für Fremdsprachen an der Universität Bukarest und rumänische Vorsitzende des Internationalen Verbandes der Russisch-Professoren geäußert. Vielen Lehrkräften habe dies fast einen Kulturschock verursacht, auch, weil sie einer neuen Art der Betrugsversuche der Studierenden ausgesetzt waren, erzählte Prof. Crasovschi auch aus eigener Erfahrung. Um dem vorzubeugen, den Unterricht gut zu gestalten und die Technologie zum Erlernen von Fremdsprachen erfolgreich zu nutzen, sollen die Beteiligten am Lernprozess – sowohl Studierende als auch Lehrkräfte – wie gleichwertige Partner handeln, zusammenarbeiten und ständig miteinander interagieren, riet die Professorin den Anwesenden.

Ebenfalls aus dem Hochschulwesen stammt Dr. Valeria Negovan, Professorin an der Fakultät für Psychologie und Erziehungswissenschaft, Universität Bukarest, die den Unterschied zwischen dem Fremdsprachenunterricht und dem Unterrichten verschiedener Fächer in einer Fremdsprache hervorhob. In beiden Situationen kann die traditionelle akademische Unterrichtsmethode oder jene durch das völlige Eintauchen in die neue Sprache und Kultur, welche viele Online-Sprachapps bieten, angewandt werden. Dabei besteht die Gefahr, dass Studierende im ersten Fall nur ein technisches Sprachniveau erreichen, die grammatische Struktur der Sprache gut kennen, allerdings ohne damit kreativ umgehen oder sie fließend sprechen zu können, im zweiten Fall kann die überwältigende Menge an Unbekanntem einer neuen Sprache hemmend auf Studierende wirken. Als Lösung schlug er ein von einer Lehrkraft begleitetes Eintauchen in die fremde Sprache und Kultur vor, wobei digitale Geräte eingesetzt werden können.     

Ein neues Konzept führte Vlad Gl˛veanu ein, Professor an der Fakultät für Psychologie, Universität Dublin in der Republik Irland, nämlich die Förderung der Kreativität der Lernenden mithilfe von digitalen Instrumenten und virtueller Realität, welche ihnen ermöglichen, ihre Perspektive ständig zu wechseln und sich neu in Bezug auf verschiedene Situationen zu positionieren. Mehrere Studien haben erwiesen, dass zwei- oder mehrsprachige Menschen größeres kreatives Potential als Personen, die eine einzige Sprache sprechen, besitzen. So ist es von dem Gesichtspunkt von Prof. Gl˛veanu äußerst wichtig, die Neugier und Begeisterung der Schüler bezüglich der Fremdsprachen von klein auf, auch durch den Einsatz von neuen Technologien, zu fördern.
Andreea Puiu, Grundschullehrerin und Forscherin der Pädagogik der Freude, führte die Diskussion weiter von der Kreativität in den Bereich der psychischen Gesundheit und hob die Bedeutung der Freude an einer Tätigkeit im Allgemeinen und vor allem im Bildungsvorgang hervor. Schüler, die den Unterricht mitgestalten dürfen und deren persönliches Inte-resse angesprochen wird, begeistern sich demzufolge für den Unterricht, auch für Fremdsprachen.