Farbe bekennen und Grenzen überwinden

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Jahreslosung: „Ich glaube; hilf meinem Unglauben!“ Mk.9,24 

Liebe Schwestern und Brüder!

Das Jahr 2019, das unter dem Aufruf der Jahreslosung „Suche Frieden und jage ihm nach“ stand, ging etwas versöhnlicher zu Ende als es begann. Europa ist von den rechts- wie linksradikalen Mächten um es und in ihm zwar hin- und hergerissen worden, aber die ausgeglichenen versöhnenden Kräfte haben obsiegt. Nach den Wahlen im Mai und im November und dem inzwischen stattgefundenen Wechsel der Regierung ist auch in unserem Land etwas Frieden, Normalität und Realität eingekehrt. Dafür dürfen wir Gott Dank sagen und uns über die wieder aufgewachte Zivilgesellschaft freuen.

Die Jahreslosung, die uns im Neuen Jahr 2020 begleiten wird, führt uns nun einen Schritt weiter. Sie beginnt bei der Realität und zeigt uns Wege auf, wie zukünftig Grenzen zu überwinden sind. Vor allem spricht sie realistisch aus, wie es um uns Menschen steht: Mal sind wir erfüllt vom Glauben und voll des Eifers für Gottes Sache und seine Weisungen. Sein tröstendes Wort saugen wir auf. Sein heilbringendes Kommen zu Weihnachten im Kind in der Krippe erfreut uns Herz und Sinne. Die Gemeinschaft mit ihm im Abendmahl stärkt unseren Glauben und unsere Gemeinschaft untereinander. Seine Güte und Liebe lässt er uns durch die Anerkennung und Wertschätzung der Familie, Freunde und Gemeinde erfahren. Über Ereignisse und Begegnungen führt und lenkt er unseren persönlichen Weg, in der Geborgenheit und dem Aufbruch einer Gemeinschaft, zu Ihm hin.

Mal sind wir selbst es, die den Weg des Glaubens verlassen und selbst nicht fähig sind, die Kräfte, die Gott schenkt, zu nutzen. Der Stress-Alltag, der Konsum-Genuss, der Zeit-Geist, die Medien-Abhängigkeit, die Sozialisierungs-Flucht, das Ego-Zentrum, das Selbst-Bedauern bekommen Übergewicht und ersticken jeden guten Ansatz in uns. Wir kommen alleine aus diesen Teufelskreisen nicht heraus.
Der Vater eines epileptischen Knaben, der seinen Sohn zu Jesus bringt, ist vom Glauben und dem Unglauben gleichermaßen gezeichnet. Und dennoch überwindet er sich selbst, mit all seinen Zweifeln, mit der Bitte um Hilfe gegen den Unglauben. Sein Ausruf ist gleichsam ein Schrei nach Überwindung von Grenzen, hin zum heilsamen Glauben, zur festen Hoffnung, zu neuem Leben und einer menschlich geborgenen wie gottorientierten Gemeinschaft.

Gott lädt uns am Anfang eines neuen Jahres ein in seine Gemeinschaft, seine grenzübergreifende Kirche der Geschwister im Glauben. In der Gemeinschaft und im Gebet möchte er uns der Kraft des Glaubens vergewissern und zum Farbebekennen, zum Bekennen des Glaubens in unserem Alltag und Umfeld befähigen. Desgleichen streckt er die Arme nach uns aus und erwartet uns, dass wir zu ihm kommen und ihn bitten, wie einen liebenden Vater, uns die Angst und Zweifel zu nehmen und die Kraft zu schenken, uns zu überwinden, um Hilfe zu bitten, wo wir sie brauchen. Uns nicht als Starke auszugeben, wo wir schwach sind. Erst wo wir ehrlich mit uns selbst sind, können uns die Menschen um uns helfen. Wir werden uns wundern, wie viele und gerne das für uns tun würden. Erst da wird Raum frei für das Wirken Gottes. Mit ihm an der Seite können wir Grenzen überwinden, die früher unüberwindbar waren.

Darauf will auch die Evangelische Kirche A.B. in Rumänien (EKR) mit ihrem Jahresmotto für 2020 „Grenzen überwinden“ besonders hinweisen. Es ist uns zum einen als Kirche wichtig, die in den letzten Jahren und aktuell stattfindenden Veränderungen in der Kirche und Gesellschaft wahrzunehmen. Zum anderen wollen wir uns der Herausforderung stellen, um Gottes und der Menschen willen, Grenzen zu überwinden.
Da sind zunächst die geografischen bzw. geschichtlichen Grenzen, die vor 100 Jahren regional und vor 30 Jahren politisch überwunden wurden und uns vor neue Herausforderungen stellten.

Mit einem ökumenischen und vielen gemeindlichen Gedenkgottesdiensten werden im Januar 2020 die 75 Jahre seit der Deportation u. a. zentral in Reschitza thematisiert und verarbeitet.

Das „Gehen oder Bleiben“, das unsere deutsche Minderheit und besonders die evangelische Gemeinschaft vor und nach der Wende zerrissen hat, ist der verstärkten partnerschaftlichen Zusammenarbeit und der Annahme der Zweitmitgliedschaft in der Heimatkirche heute gewichen.
Die EKR hat sich nach der Wende über die Grenzen in Europa vernetzt und pflegt unzählige Partnerschaften und Freundschaften, verbunden mit Wertschätzung und Solidarität, im deutschsprachigen Raum wie in Osteuropa. Beispielhaft dafür steht unsere europäische Vernetzungsaktion für 2018-2021 „Gesichter-Grenzen-Geschwister“.
Sprachlich gehen wir mit der Zweisprachigkeit auf die rumänische Mehrheit zu.

Dank solidarischen Handelns und nachhaltigen Blicks wurden Gemeindegrenzen überwunden und sind ein Drittel der Kleinstgemeinden mit eigenständigen Gemeinden zu überlebensfähigen regionalen Gemeindeverbänden auf dem guten Weg zusammenzuwachsen.
Von einer vormals geschlossenen Gemeindearbeit beschreiten wir zusehends mit der offenen Kinder- und Jugendarbeit neue Wege.
Aus einer Kirche, die „für sich“ da war, gehen wir den Weg zu einer „Kirche auch für andere“, durch die Diakonie, Bildungsarbeit, öffentlichkeitswirksame Stellungnahmen zur Ökumene, Politik und Umwelt im Land.

Mit der Brückenfunktion in der hiesigen Ökumene und durch das neugegründete Zentrum für Evangelische Theologie Ost (ZETO), in der Verbundenheit mit der Gemeinschaft der Evangelischen Kirchen in Europa (GEKE) überbrücken wir weitere Grenzen zu einer „Kirche mit anderen“.
Durch die Öffnung unseres Kulturerbes über nationale und konfessionelle Grenzen hinaus schaffen wir Möglichkeiten zur Partizipation an der Erhaltung von Kirchenburgen, durch Besuche, Mitarbeit und Verantwortungsübernahme. Mit Großprojekten für zunächst 18 und nun 16 Kirchenburgen, finanziert größtenteils aus europäischen Fonds, überschreiten wir früher nicht gekannte Dimensionen. Unsere „Stiftung Kirchenburgen“ weitet unseren Horizont auf strategische Maßnahmen zum Erhalt und zur Nutzung der Kirchenburgenlandschaft Siebenbürgen.

Das „Farbebekennen“ und „Grenzen überwinden“ ist eine stete Aufgabe und Herausforderung im persönlichen wie im gemeindlichen, kirchlichen und gesellschaftlichen Raum. In jedem Bereich unseres Lebens warten Grenzen darauf, überwunden zu werden. Sie sind eine geschenkte Chance, über uns hinauszuwachsen. Wie damals der Vater des kranken Jungen. Jesus hat ihn erhört und seinen Sohn geheilt. Das bietet er auch uns an.

Für alle in Raum und Zeit überwundenen Grenzen dürfen wir Gott danken. Er hat uns mit der Kraft des Glaubens ausgestattet und die nötige Hoffnung und den Mut geschenkt. Er lässt uns erkennen, dass Grenzen da sind, in uns, zwischen uns Menschen und zwischen uns und ihm, gerade um überwunden zu werden. Unser Heiland hat uns den Weg zur Überwindung dieser Grenzen von der Krippe bis zum Kreuz und darüber hinaus angezeigt. Wir dürfen ihm auf diesem Weg im Jahr 2020 getrost folgen.

Dabei gilt es, die uns charakterisierenden und wertvollsten Werte – Gottvertrauen üben, Gemeinschaft pflegen und Verantwortung wahrnehmen – im Abbauen und Überwinden von Grenzen wie im Auf- und Ausbauen von grenz-überschreitender Gemeinschaft neu in Worte zu fassen, in Taten zu setzen und mit Leben zu füllen.
Für das „Farbebekennen“ und „Grenzen überwinden“ gebe uns Gott seinen reichen Segen in den kommenden Tagen dieses Jahres. Dies, und nicht mehr und nicht weniger, wünsche ich uns allen.