Seit einigen Jahren wird Straßenkunst in Rumänien immer beliebter. Bunte, oft aussagekräftige Wandmalereien sind in immer mehr Städten zu sehen. Sie verschönern Wände, die einst grau und öde waren und an denen man tagein, tagaus vorbeiging, ohne sie zu beachten. Die Arthur Verona-Straße in Bukarest ist das beste Beispiel dafür: Seit 2006 wird eine riesige Mauer auf dieser Straße im Rahmen der Open-Air-Kulturveranstaltung „Street Delivery“ Künstlern und Kollektiven überlassen, die sie verschönern. Jedes Jahr entsteht dort neue Malerei.
Das 2010 gemalte Fresco neben dem Hermannstädter „Radu Stanca“-Nationaltheater, „Ziarul Orizontal“ („Die horizontale Zeitung), wo Dan Perjovschi samt anderen Künstlern regelmäßig Schriftzüge und Zeichnungen zu aktuellen nationalen und internationalen politischen, kulturellen, oder sozialen Themen anbringt, ist auch längst eine Attraktion. Klausenburg/Cluj-Napoca, Temeswar/Timișoara, Jassy/Iași, aber auch kleinere Städte wie Bacău, Târgu Jiu oder Petroșani öffnen sich der Straßenkunst, sind bereit, durch Galerien unter freiem Himmel das Grau von den Straßen zu beseitigen. „Es ist fantastisch, was geschieht. Die Straßenkunst ist in den letzten Jahren stark aufgeblüht“ bemerkt Cristian Neagoe, einer der Gründer des langjährigen Festivals „Street Delivery“, das mittlerweile in mehreren rumänischen Städten stattfindet und dessen Ziel es ist, die Lebensqualität in denselben zu steigern.
Alte Gebäude erstrahlen in neuem Licht
Neagoe glaubt, dass die Stadt wie eine Leinwand sei, auf der die Gemeinschaft öffentliche, frei zugängliche Kunst bieten soll, an der sich jeder erfreuen kann. Dass Straßenkunst von den Bürgern nicht mehr als Vandalismus betrachtet wird, wie noch vor nicht allzu langer Zeit, sei auch der Offenheit der Lokalbehörden zu verdanken, die sie zulassen und unterstützten. „Wenn du Straßenkünstlern mehr Raum, Werkzeuge und Anlagen gibst, auf denen sie unter sicheren Umständen hochklettern können, werden sie sehr tolle und komplexe Sachen zeigen“ meint Neagoe.
Auch Kronstadt erfreut sich an immer mehr Visuellem. Das vor sechs Jahren ins Leben gerufene Festival für zeitgenössische bildende Kunst „Amural“ lässt seither die jahrhundertealten Türme, Basteien, sowie andere bedeutende Gebäude der Altstadt in neuem Licht erstrahlen. Neben Videomapping und 3D-Projektionen auf historischen Gebäuden, die nur während des Festivals zu sehen sind, beseelen Wandmalereien bestimmte Bauten des Stadtzentrums. Bereits mehrere Transformatorenstationen entlang der Graft-Promenade/Aleea După Ziduri wurden von Künstlern bemalt und sehen wie moderne Schmuckstücke inmitten der Natur aus. Bei einem Spaziergang auf dem Hang hinter dem Schwarzen Turm ist auf zwei Wänden einer Brücke das Werk des deutschen Graffiti-Künstlers Dome, alias Christian Krämer, zu entdecken, das er 2017 eigens für das Festival ausgefertigt hat.
Zahlreiche Kronstädter und unzählige Touristen haben sich schon mit der größten Wandmalerei aus der Altstadt fotografieren lassen, Selfies auf soziale Netzwerke gepostet. Alex Baciu und IRLOs Werk auf der Mauer des Franziskanischen Johannisklosters am Johannisplatz/Piața „Sfântul Ioan“ trägt dazu bei, dass der vor wenigen Jahren neu und geschmackvoll eingerichtete Platz sehr gut besucht ist. Kinder laufen Tauben hinterher, Liebespaare küssen sich, Menschen sitzen auf den Bänken; im Sommer eignet sich der Ort als Leseecke. „Als der Platz zur Fußgängerzone umgebaut wurde, bot sich ein geeigneter Moment, um das Kunstwerk zu gestalten und somit dem Platz eine neue Identität zu schenken“ sagt Dan Oprea, einer der Initiatoren dieser Aktion. An den Parkplatz, die beschmierten Wände und die fürchterlichen Gerüche, die es an dieser Stelle früher einmal gab, will sich niemand mehr erinnern.
Die Lebensqualität wird gesteigert
Nichtssagende Fassaden wurden auch außerhalb des Stadtzentrums belebt: Zu bewundert sind die tollen Zeichnungen auf der Außenwand des „Visssual“-Kulturzentrums auf der Fabricii-Straße, deren Aussehen Künstler periodisch verändern. Oder die neue Wandmalerei im Stadtviertel Ragadotal/Răcădău. Auch hier bringen Farbe und Kunst Leben in die urbane Landschaft. Die Wandmalerei in der mit buntem Thermoplastbelag gestalteten Fußgängerzone lädt seit diesem Sommer die Bewohner ein, mehr Zeit im Freien zu verbringen. Sie ist Teil eines Konzepts, das auch einen musikalischen Springbrunnen vorsieht, sowie ein Amphitheater und Grünflächen.
Mitte November wurde nun auch die Transformatorenstation, die sich auf der grünen Insel im Kreisverkehr auf der Mihai Viteazul-Straße befindet, belebt. Wanda Hutira und Maria Zurbagiu haben die erste 360 Grad-Wandmalerei Kronstadts fertiggestellt. Es heißt „Stop Joc“ und will zum Innehalten und Nachdenken über die rasante Entwickung der Technologie einladen. Das Projekt der beiden jungen Grafikerinnen wurde von einer professionellen Jury, bestehend aus Architekten, Brand-Managern, verschiedenen Experten, Vertretern von „Street Delivery“ und Bürgern der Stadt als Gewinner ausgewählt. Weitere 16 Künstlerteams hatten Vorschläge für den Wettbewerb „A New Now“ („Ein neues Jetzt“) des „Street Delivery“ eingesendet. Der Wettbewerb wurde mit Unterstützung des Dienstes „George by BCR“, der Kronstädter Stromgesellschaft und dem Kulturverein „Amural“ organisiert. Diese konkrete Initiative, die auch in Bukarest, Jassy und Konstanza durchgeführt wird, soll die kreative Gemeinschaft dazu auffordern, ihre Spuren im öffentlichen Raum zu hinterlassen. Straßenkunst soll neue Möglichkeiten und kostenlose Bildung bieten, sowie die Bürger erfreuen und überraschen. Durch die Einbeziehung derselben bezüglich der Gestaltung der Straßen der Stadt kann der Gemeinschaftssinn gestärkt und die Lebensqualität gesteigert werden.
In Kronstadt ist man offen für weitere Projekte für die Verschönerung des öffentlichen Raums.
Kulturvereine und Organisationen hoffen, dass die neue Stadtverwaltung sie in ihren Vorhaben unterstützen wird.