Freude, stark gedämpft

Vor den US-Wahlen schrieb Stan B. Greenberg (75 Jahre, Demokrat): „Wenn Trump (...) am Wahltag abblitzt, werde ich mich, wie Millionen andere Amerikanerinnen und Amerikaner, von einem verstörenden Kapitel unserer Geschichte befreit fühlen. Dennoch ist mir bewusst, dass nach der Wahl die republikanische Partei noch mehr in Aufruhr geraten wird, wenn es um Abtreibung, um einen angeblichen Staat im Staat (...) geht (...). Die Reformer im demokratischen und im republikanischen Lager haben Recht, wenn sie der Zeit nach Trump mit Zuversicht entgegenblicken, aber sie müssen entschlossen ihre Ziele im Blick behalten und gut gerüstet sein für die Schwierigkeiten, die in der rauen politischen Landschaft, die Trump hinterlässt, auf sie warten.“

Greenberg, der über seine Firma GQR Parteien zur Öffentlichkeitsarbeit und internen Kommunikation berät und unter anderem für Ehud Barak, Bill Clinton, John Kerry, Al Gore, Tony Blair oder Gerhard Schröder gearbeitet hat, bezieht sich hier auf die neue Geschlossenheit und die blinde Gefolgsbereitschaft der Trumpanhänger – bis in die höchsten Kreise von Justiz und Kongress (den „Trumpismus“), wohl auch auf die Zerrissenheit der Demokraten, Liberaler wie Gemäßigt-Konservativer. Er meint aber, dass die Probleme der Republikaner nach der für Trump verlorengegangenen Wahl viel größer seien und diese weiter nach rechts treiben würden, in Richtung Radikalisierung.

Einstweilen haben wir aber, nach vieltägiger Stimmauszählung, eine paradoxe Lage: Alle wichtigen Staatschefs gratulieren Joseph Biden zu seiner Wahl zum 46. Präsidenten der USA – mal ausgenommen der Russe Putin, und der Chinese Xi, die wohl noch auf ihren autokratisch veranlagten Kollegen Trump setzen –, während dieser seine letztendlich klare Niederlage nicht zugibt und auf eine von Gerichten erzwungene Trotzallem-Wende hofft. Die Chancen dazu: bei Null. Der notorische Regelbrecher Donald Unberechenbar ist offensichtlich bereit, es mit Hilfe seines zu allem fähigen Anwalts Rudy Giuliani für seine persönlichen Ambitionen auf eine dritte Verfassungskrise in der Geschichte der USA (nach 1857 und 1937) ankommen zu lassen. Und wieder geht es um eine Kraftprobe der Rechten – die einen Monat vor den Wahlen noch den Obersten Gerichtshof kaperten, durch Trumps Aufstellung der (und mit republikanischem Druck eingesetzten) ultrarechten Richterin Amy Coney Barrett – mit der öffentlichen Meinung.

Dies stellt eine schwer überwindbare Hürde für Gesetzesrücknahmen oder -novellierungen dar, die zur Korrektur der Trump-Übergriffe nötig wären. Eine Hürde, die Biden nehmen muss, nachdem Trump aus dem Weißen Haus hinausgefegt sein wird. Wenn er denn seine Wahlversprechen halten möchte und nicht als der farbloseste aller US-Präsidenten dastehen will. Die zweite Hürde ist die Tatsache, dass es den Demokraten (noch) nicht gelungen ist, in beiden Kammern die Mehrheit zu erringen. Am 5. Januar kommt es zu einer Stichwahl, endet diese mit einem Patt, entscheidet Vizepräsidentin Kamala Harris, wer in den Senat einzieht. Erst dann dürfte die jetzige Stimmengleichheit gekippt werden... Das alles könnte es Biden schwierig bis fast unmöglich machen, in dieser Amtszeit (eine zweite hat er nicht...) Korrekturen an Trumps Politik vorzunehmen, da die Aussichten, das Oberste Gericht um vier demokratengenehme Richter aufzustocken, rein theoretisch sind.

Die „blaue Welle“ bei den Wahlen blieb aus. Der Trumpismus hat die Staaten tief gespalten. Regelverletzung wurde zur Selbstverständlichkeit, Lügen bekamen Hochkonjunktur. Eine Verfassungskrise ist möglich. „Es gab bei diesen Wahlen nicht genug Amerikanerinnen und Amerikaner, die sagten: Das Maß ist voll!“ – so Führungskultur-Experte Dov Seidman, zitiert von Thomas L. Friedman.