Gemeinsam Herausforderungen begegnen

Jahrestreffen der EU-Minderheitenzeitungen 2024 in Harghita

Gruppenfoto vor dem Gedenkhaus des Schriftstellers Tamasi Aron

Den MIDAS-Preis 2024 erhielt Ágnes Péter von „Hargita Nepe“, den Otto-von-Habsburg Preis Marius Cosmeanu Fotos: George Dumitriu

Seit 2001 treffen sich die inzwischen 28 Mitglieder der Europäischen Vereinigung der Minderheiten-Tageszeitungen (MIDAS) jährlich, die heuer vom 9. bis 12. Mai  in Szeklerburg/Miercurea Ciuc/Csík-szereda tagten, auf Einladung der ungarischen Tageszeitung „Hargita Népe“ (Leute von Hargita). Neben Meinungsaustausch und Diskussionen über spezifische Probleme von  Minderheitenmedien werden dabei auch stets zwei Preise an Journalisten verliehen, die sich besonders für Minderheiten engagieren: der MIDAS-Preis richtet sich an Mitarbeiter von Minderheitenmedien, der Otto-von-Habsburg-Preis an Journalisten der Mainstream-Presse. 

Highlights des diesjährigen MIDAS-Treffens war eine Konferenz zum Thema „Minderheiten in Europa – Situationen, Herausforderungen, Lösungen“ in der Präfektur des Kreises Harghita. Präfekt Csaba Borboly und Attila Korodi, Bürgermeister von Szeklerburg, hießen die Teilnehmer willkommen. Loránt Vincze, Europarlamentarier und Präsident der Föderalistischen Union Europäischer Nationalitäten (FUEN), gab eine allgemeine Übersicht über die Situation der Minderheiten in Europa und den Stand der  Minority SafePack Initiative. Hintergrund letzterer sind die im EU-Beitrittsprozess geregelten „Kopenhagener Kriterien“ zum Minderheitenschutz, auf deren Basis neue Mitgliedstaaten fortschrittliche Modelle des Minderheitenschutzes rechtlich festlegen müssen. Doch danach sind die weiteren Entwicklungen in den einzelnen Ländern sehr unterschiedlich. Diese Lücke wollten die Initiatoren mit der Verankerung von Minderheitenrechten im Unionsrecht schließen. Aller-dings wies die Europäische Kommission (EK) 2021 alle neun Punkte der Initiative zurück. Die bestehenden Programme seien  ausreichend, weitere Rechtsakte seien nicht nötig, hieß es. Das Bürgerkomitee der Initiative klagte daraufhin gegen diese Entscheidung. Doch auch der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) gab der EK im November 2022 Recht. Anfang 2023 haben das Bürgerkomitee und das Präsidium der FUEN dann beschlossen, in Berufung zu gehen; mit einer Entscheidung wird Ende nächsten Jahres gerechnet, so Vincze. Die Minderheiten sehen die Notwendigkeit der Maßnahme durchaus unterschiedlich. Eine treibende Kraft hinter dem Minority SafePack ist die ungarische Minderheit in und außerhalb Rumäniens.

Ungarn in Rumänien zunehmend unzufrieden

Der Parlamentarier Gábor Hajdu (UDMR) betonte die Herausforderungen der anstehenden Wahlen und ungarische Empfindlichkeiten in Bezug auf die rumänische Politik. Um 1,1 Millionen ethnische Ungarn in Rumänien entsprechend vertreten zu können, also die 5-Prozent-Hürde für den Sprung ins Parlament zu schaffen, müsse man 90 Prozent ihrer Stimmen einholen. Andernfalls habe jede Minderheit ungeachtet ihrer Größe nur „einen Abgeordneten von 450, und die haben oft unterschiedliche Ansichten“, erklärt Hajdu. 

„Besorgniserregende Muster“ sehe er im Hinblick auf „erneute Assimilationsversuche“ der rumänischen Regierung „erstmals wieder seit der Revolution“. Die Kirchen und Besitztümer der ungarischen Minderheit würden nur in „unproportionalem Maße“ rückerstattet, was einer „zweiten Enteignung“ gleichkäme. Nur ethnische Ungarn seien bisher für Morde im Rahmen der Revolution verurteilt worden. Die von Rumänien geplante Verwaltungsreform habe „keine Vision“ für die Kreise mit ungarischer Mehrheitsbevölkerung und und missachte historische Beziehungen. Die „kleinen Fortschritte“, die man in der Anwendung der Minderheitenrechte seit der Revolution allgemein verzeichnet habe, seien spätestens seit dem Austritt des UDMR aus der Regierungskoalition vor zwei Jahren deutlich rückläufig. Die ungarische Minderheit fühle sich als „Fremdkörper im eigenen Land“, als Beispiel wurde der jüngste Mobbing-Fall eines ungarischen Schulkindes im Sportcamp bedient. Eine angeblich tolerierte „Ungarn raus!“-Stimmung sei deutlich zu spüren – welch Skandal aber, hieße es „Juden raus!“ aus dem rumänischen Parlament, so Hajdu...

Hätten wir heute einen rumänischen Redner über Minderheiten gehabt, hätte dieser sicher eine ganz andere Perzeption vermittelt, kommentiert  Sergiu Constantin vom Institut der Minderheitenrechte der Eurac Research in Bozen Hajdus Rede in seinem späteren Vortrag. 

Die Relativität der Perspektiven von Mehrheit und Minderheit illustriert auch die Präsentation von Orsolya Sarány, Doktorandin an der Universität Debrecen und Journalistin bei „Hargita Népe“, die die unterschiedliche „Konstruktion der Realität“ in ungarischen und rumänischen Medien am Konflikt um den Soldatenfriedhof im Uz-Tal beleuchtet hat. Nach einem Vergleich von rund 400 Presseberichten konnte sie ein Muster erkennen: Die Medien beider Sprachen nutzen zwar dieselben Informationsbausteine, doch mit minimalen Unterschieden in der Schwerpunktsetzung. So entstünden dennoch parallele Realitäten, in denen jede Seite die „eigenen“ Leute als Opfer und die „anderen“ als Bedrohung sah, und die eigenen Proteste als „friedlich“, „Hooligans“ sind stets die anderen...

Hilfreich oder problematisch: Beziehung Minderheit- Mutterstaat

In seinem Vortrag „Sind europäische Standards und Mechanismen zum Minderheitenschutz im aktuellen geopolitischen Kontext noch relevant?“ beleuchtete Sergiu Constantin auch das Verhältnis zwischen Minderheiten und Mutterstaaten. Ein Mutterstaat schützt seine Minderheit im Ausland im Idealfall in Kooperation mit dem anderen Staat. Ein nationalistischer Mutterstaat hingegen legt überproportional großen Schwerpunkt auf die Unterstützung der eigenen Minderheit im Ausland und versucht, diese unter Nutzung nationaler Symbolik stark an sich zu binden. Am „schlimmsten“ aber sei ein geopolitischer Mutterstaat: Dieser missbrauche seine Minderheiten in anderen Staaten, um dort Einfluss oder Druck auszuüben bzw. seine geopolitischen Interessen durchzusetzen. So kann das Verhältnis zwischen Mutterstaat und Minderheit der letzteren auch durchaus schaden.

Auf die Frage, ob EU-weit mehr Standards zum Schutz von Minderheiten eingeführt werden müssten oder die bestehenden ausreichen, seien Minderheiten unterschiedlicher Ansicht, erklärte Constantin. Manche Minderheiten würden aber auch „politisch mobilisiert“… 

Neu sei ein gemeinsamer trilateraler Ansatz zum Minderheitenschutz, wie ihn Schweden, Finnland und Norwegen zum Schutz der Samen unterzeichnet hätten, eine Minderheit, die in allen drei Staaten (und in Russland) lebt.

Minderheiten und Medien

Über die Gewohnheiten junger Konsumenten von ungarischen Medien in Rumänien referierte Éva Rácz, Lektorin an der Babe{-Bolyai Universität. Studenten würden durchaus gedruckte Zeitungen lesen, so das Ergebnis ihrer Umfrage, doch nur im Haus der Großeltern, die diese abonnierten, während Eltern und Jugendliche selbst nicht mehr abonnieren. 
Thematisch sei die Jugend vor allem an Unterhaltung interessiert, Politik stehe an letzter Stelle.

Das bevorzugte Medium sei TikTok, die früher bevorzugten YouTube-Filme würden inzwi-schen als zu lang abgelehnt. 

Doch gaben 50 Prozent der Journalismus-Studenten an, später in ihrem Beruf arbeiten zu wollen – „und dann werden sie sicher nicht TikTok-Filme, sondern die klassischen Medienformate produzieren…“, sinniert Rácz.

NewsGuard warnt vor KI und „Content farms“ 

Von einer Großoffensive gegen Fake News seitens NewsGuard als Dienstleister für verschiedene Kategorien an Medienkonsumenten berichtet Sara Badilini. Großes Augenmerk wird dabei nicht nur auf „debunking“ (Richtigstellen von bereits verbreiteten Fake News, meist mit geringer Wirkung), sondern auch auf „Prebunking“ - Prävention – gelegt. So bietet NewsGuard komplexe Ratings zwischen 1 und 100 für über 10.000 Nachrichtenseiten, die 95 Prozent des Inhalts in neun Ländern ausmachen, zugänglich sind diese über die NewsGuard Browser-Extension. Ein „Nutrition Label“ spezifiziert die Stärken und Schwächen jedes Mediums,  Hauptkriterien sind Glaubwürdigkeit und Transparenz.  Neun Aspekte fließen in das Rating ein: 1. Vermeiden von irreführender Information, 2. verantwortungsvolles Sammeln und Präsentieren, 3. effektive Fehlerkorrektur, 4. Unterscheiden zwischen Meinung und Fakten, 5. Vermeiden von irreführenden Titeln, 6. Transparenz über Betreiber und Finanzierung, 7. Kennzeichnen von gesponserten Artikeln (Anzeigen), 8. Kontaktmöglichkeit zum Herausgeber, 9. biografische Informationen zu den Autoren. Außerdem werden Fehlinformationen – etwa über kommerzielle Produkte oder ethnische Minderheiten – von der Plattform aufgeklärt und KI-generierte Inhalte aufgespürt. 

Künstliche Intelligenz stelle eine  zunehmende Herausforderung dar, betont Badilini. Ein Problem seien dabei nicht nur KI-generierte Audio-, Video- oder Bildmaterialien, sondern auch die Diskreditierung eines Materials als solches, um es gezielt aus dem Verkehr zu ziehen, aber auch „Content farms“, die massiv Informationen produzieren und verbreiten. Noch können sie anhand von Fehlern erkannt werden, doch ihre Algorithmen werden besser. Auch hinsichtlich Finanzierung stehen sie mit seriösen Medien im Wettbewerb. Weil programmierte Werbung auf Basis der Zugriffe und Shares bezahlt, ist Geldverdienen oft der eigentliche Zweck der „Content farms“, die ohne jegliche menschliche Kontrolle Material verbreiten - und plagiieren! Mainstream-, aber vor allem auch Minderheitenmedien geraten ins Hintertreffen. Letztere werden oft anhand „problematischer“ Schlüsselwörter oft von vorn herein blockiert und von dieser Art der Finanzierung ausgeschlossen. 

Journalisten im Einsatz für Minderheiten

Den MIDAS-Preis 2024 erhielt Ágnes Péter von „Hargita Nepe”. Sie befasst sich seit Langem mit Minderheitenfragen. Ein Glanzlicht ihrer Arbeit war ein Interview mit dem preisgekrönten Klausenburger Fotografen Péter Korniss, der in einer Langzeitstudie zwischen 1967 und 2002 den sozialen Wandel eines abgelegenen ungarischen Dorfes in Westsiebenbürgen dokumentierte.

Mit dem Otto-von-Habsburg-Preis 2024 wurde Marius Cosmeanu ausgezeichnet. Der rumänische Journalist sei „ein echter Freund der ungarischen Minderheit“, so Bence Balázs, Chefredakteur der Klausenburger Tageszeitung „Szábadsag” (Freiheit) in seiner Laudatio. Er hat für namhafte rumänische Zeitungen über die Probleme der ungarischen Minderheit berichtet und sich in zahlreichen Projekten für Minderheitenrechte, auch für Roma, eingesetzt. 

Das offizielle Prgramm klang mit einem entspannten Ausflugstag aus: Besuch des Mini-Transilvania-Parks bei Oderhellen/Odorheiu Secuiesc mit Modellen baulichen Kulturerbes aus dem ganzen Land, des Gedenkhauses von Schriftsteller Tamasi Aron in Lupeni und des Szekler-Grenzschützer-Museums in Frumoasa. Palinca-Probe, gemeinsames Baumstriezelrösten, Gruppenfotos und anregende Gespräche – so manches verspätete Interview wandert noch in den Kasten. Abschied dann bis zum nächsten Jahr: in der Grenz- und europäischen Kulturhauptstadt 2025, Nova Gorica.