Hassrede, Trolle, Fake News und andere Demokratie-Attacken

Ein Workshop für Journalisten über die Herausforderungen der Medienwelt von heute – Teil 2

Teil 1

Wie Fake News bekämpfen? 

„Der einfachste Rat, nicht in die Fake-News-Falle zu tappen ist, sich  nicht auf Sozialen Medien zu informieren, sondern im seriösen Journalismus Zeitungen, Radio, TV“,  rät Oprea. „Seriöser Journalismus  wurde in Dutzenden Jahren aufgebaut und es war ein Fehler,  dass wir uns in die sozialen Netzwerke begeben haben. Man sollte  sich davon distanzieren.“

Doch sind die fatalen Folgen noch rückgängig zu machen?

2018 haben laut Eurostat 5% der  Rumänen erklärt, den Nachrichten auf Sozialen Medien und Messenger-Diensten „total zu vertrauen“, 34% tendierten dazu, zu „vertrauen". Zur Zuständigkeit der Bekämpfung von Fake News meinten 41% der Befragten, es wäre die  Aufgabe der Journalisten, 34% des Managements von Presse und Rundfunk, 27% der Bürger, 20% der Betreiber der sozialen Netze. Laut Experten gibt es vier Ebenen der Bekämpfung: 1. legislativ, 2.  algorithmisch, 3. psychologisch-edukativ und 4. korrektiv. 

Bei der Identifizierung von Fake  News sollte neben der Verifizierung des Inhalts auch die Authentizität der Webseite, des Autors,  des Kontos auf Sozialen Medien,  des Bild- oder Videomaterials geprüft werden. Original-Webseiten  einer Organisation, Bank, Firma etc. erkennt man an „sauberen Links“ (ohne Ziffern oder Sonderzeichen) und Transparenz (seriöse  Seiten verraten Besitzer, Kontaktdaten, etc.). Zum Verifizieren von  Foto- und Videomaterial – z. B. wann das Material zum ersten Mal  und in welchem Kontext veröffentlicht wurde, ob Elemente hinzugefügt oder entfernt wurden  und sogar, ob zwei Gesichter zur gleichen Person gehören – gibt es verschiedene Instrumente. Bei  der Verifizierung von SocialMedia-Content helfen Botometer (botometer.osome.iu.edu), Bot  Sentinel (botsentinel.com), Twitonomy (twitonomy.com/auth.php), Followerwonk (followerwonk.com) etc.

Für den Faktencheck gibt es  zahlreiche internationale, europäische und auf Rumänien ausgerichtete Plattformen (siehe unten). Doch  bevor man sich selbst an die Sisyphusarbeit macht, ist es sinnvoll,  unter den bereits aufgedeckten Fake News zu suchen, etwa mit der Fake News Suchmaschine von  Google (toolbox.google.com/factcheck/explorer), rät Oprea. 

EU-Bemühungen gegen Hassrede

Im jüngsten Kommunique der EU-Kommission heißt es: Es gibt keinen Platz für Hassrede; die Werte in den Trataten der EU sind „weder theoretisch noch optional“, sondern „essenzielle Bedingungen für unsere demokratischen und pluralistischen Gemeinschaften“.  Dennoch ist Hassrede im Rechtsrahmen der EU nicht juristisch  definiert, erklärt Sara Vasile von  der Uni Paris 1 Pantheon Sorbonne. Um diesen Mangel zu kompensieren, gibt es mehrere Gesetzestexte, die das Konzept der Hassrede behandeln, basierend auf Inhalt, Form, Effekt oder Konsequenzen, die dem Recht auf freie  Meinungsäußerung gegenübergestellt werden etwa 2008/913/JAI zur Bekämpfung bestimmter Formen und Ausdrucksweisen von Rassismus und Xenophobie durch  das Strafrecht. Dort wird Hassrede wie folgt definiert: Öffentliche  Anstiftung zu Gewalt oder Hass  gegen eine Gruppe oder ein Mitglied einer Gruppe, die sich definiert aufgrund von Elementen wie  Rasse, Hautfarbe, Religion, nationale oder ethnische Herkunft oder  Zugehörigkeit. Diese Definition  erscheint evident nicht vollständig, bemerkt Vasile. Es handelt  sich um einen minimalen Rahmen  des Rechtsschutzes, wobei die Staaten die Möglichkeit haben, diesen  Schutz durch internes Recht zu erweitern.

Der Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) prüft im Falle von Hassrede: Liegt ein Verstoß gegen die europäische Menschenrechtskonvention vor? Liegen rechtliche Einschränkungen der freien Meinungsäußerung vor? Außerdem stützt man sich auf das Gesetz zum Verbot von Folter, inhumaner oder zerstörerischer Strafen oder Behandlungen.

Hassrede stellt eine schwere  Einschränkung der Menschenrechte dar, betont Sara Vasile. 

Im eingangs zitierten Kommunique heißt es weiter: Wenn gegen  bestimmte Gruppen Druck ausgeübt werde, sei der Zusammenhalt  der EU in Gefahr. Und: Die Komplexität des Phänomens, die Diversität der Ziele und Opfer, die sensiblen Konnotationen von Hass im  ethnischen, religiösen, sozialen,  historischen Kontext, die Herausforderungen durch grenzübergreifenden Charakter und Anonymität des Internets und die breite  Verteilungsmöglichkeit verlangen  eine holistische Herangehensweise im Kampf gegen Hassrede auf  nationalem und europäischem Niveau, woran aktuell gearbeitet wird. Die Unterstützung durch Journalisten, betont Vasile, sei hierbei essenziell!

Holocaust nie wieder?

„Unser Bild, dass Massenmord weit weg in exotischen Ländern passiert, ist falsch“, sagt Dr. Gabriela Ghindea vom Auschwitz Institut für die Verhinderung von Völkermord und Massengräueltaten. Ein Genozid schleicht sich langsam an, wie man aus Studien und nicht zuletzt aus dem Zweiten Weltkrieg  weiß. Vorhersehbar, in wohldefinierten Stufen: 1. soziale Exklusion, 2. Angriffe auf Bürger- und  Menschenrechte, 3. wirtschaftliche  Enteignung, 4. staatlich geförderte Gewalt, 5. Ausweisung oder forcierte Relokation in Massen, 6. Internierung in Konzentrationslager, 7. Massenvernichtung. Eine andere Klassifizierung von Genocid Watch mit 9 Stufen bis zur Vernichtung fügt noch eine zehnte an: Negierung des Ausmaßes. 

Das internationale Auschwitz Institut ist die einzige NGO, die  direkt mit Regierungen zusammenarbeitet, um die Risikofaktoren für Genozid und Massengräueltaten zu minimieren, erklärt Ghindea. Seit der Gründung 2006 wurden in 92 Ländern edukative Programme mit über 10.000 Teilnehmern durchgeführt und ein Netzwerk an Unterstützern und Experten aufgebaut. Trotzdem sagt sie, sie fühle sich „wie in einem lecken Boot, und zum Schöpfen haben wir nur einen Löffel...“ 

Nach obiger Stufentheorie hat  der Holocaust schon 1933 begonnen mit der Machtergreifung der Nazis. Erschreckend „aktuell“  klingt Hitlers Credo: Die Diskussion in der Gesellschaft müsse durch  Angst und Leidenschaft ersetzt werden. Bald wurde Gewalt akzeptabel in der Öffentlichkeit. Die Einweisung in Lager erfolgte in 3  Stufen: Sammeln im Konzentrationslager, dann Arbeitslager, dann Vernichtungslager. 

Wie konnte es ohne Aufbegehren aus dem Volk so weit kommen? Auf den Fotos der Menschenmengen, die Hitler zujubeln, sind Familien, Kinder, „Menschen wie du und ich“ alles erklärte Judenfeinde? „Für einen Genozid muss nicht die ganze Bevölkerung überzeugt werden“, erklärt Ghindea. „Es genügt eine kritische Masse.“ Und: Demokratische Regression geht schleichend, wie sie am Beispiel eines Frosches, der gekocht  werden soll, illustriert: „Wirft man ihn ins heiße Wasser, erkennt er die Gefahr und springt heraus. Setzt man ihn in kaltes Wasser und erhöht die Temperatur ganz langsam, bleibt er drin, bis er gar ist...“ 

Die vielleicht erschreckendste Erkenntnis aus dem Holocaust: Die Täter waren keine Psychopathen! Psychologische Analysen ergaben: Naziführer hatten einen hohen IQ, waren (bis auf eine Ausnahme) psychisch und klinisch gesund, Durchschnittsmenschen mit relativ banalem Leben, keineswegs von vorn herein Monster. Das Dilemma, das sich daraus ergibt: In extremen Krisen könnte jeder von uns zum Aggressor werden. 

Und wo stehen wir heute? Heute gibt es wieder Zeichen für Antisemitismus: Negationismus, verschiedene Formen der Holocaustleugnung oder -distorsionierung, politische Instrumentalisierung. Hinzu kommt der polarisierende Krieg im Gazastreifen, der neuen Judenhass schürt.

Einer 2023 durchgeführten Avangarde-Umfrage zufolge glauben nur 11% der Rumänen, dass Juden in Rumänien Opfer des Holocausts waren; davon sehen 31% Antonescu als Verantwortlichen für die Vernichtung der Juden und der Roma, 54% geben Deutschland die Schuld. Nur 1%  der Befragten verbindet den Holocaust auch mit der Verfolgung und Vernichtung von Roma. Und 20% aller Befragten betrachten Juden heute als „Bedrohung“ oder „Problem“...

Grotesker Angriff auf die Pressefreiheit

Über die Erfahrung, wie schnell die journalistische Freiheit enden kann, berichtet Journalist Cătălin Tolontan. Auf dem Schirm gibt er für alle sichtbar in Google ein: „Bulgarian Gambling Association“. Ein Fenster öffnet sich, das die Namen der Mitglieder, Anbieter von Sportwetten, durchlaufen. „Das wurde uns im Januar dieses Jahres gezeigt, auf einem Treffen der Schweizer Ringier-Gruppe“, der  die rumänischen Zeitungen Libertatea und Gazeta Sporturilor angehören. Es handele sich um eine NGO und gleichzeitig um die größte Sportseite Bulgariens, an der  Ringier die Mehrheit innehält. Eine Lobby-Organisation für Sportwetten, gegründet von einem PresseTrust, der von seinen Medien nun verlangt, eine Position zugunsten der Wettbüros einzunehmen. „Man erzählte uns, dass sie in Rumänien dasselbe machen wollen.“ 

Einige seiner Kollegen hätten sofort verstanden, worum es geht, erinnert sich Tolontan: „Sie haben  ihre Telefone gezückt, um zu dokumentieren, was da passiert. Denn du kannst nicht als Journalist unabhängig sein und gleichzeitig eine Industrie fördern. Wir haben das von der ersten Sekunde an  abgelehnt.“ Als Folge der Weigerung wurde „fast die gesamte Leitung" der Gazeta Sporturilor und  Libertatea beurlaubt, fasst Tolontan den bekannten Skandal zusammen. „Freier Journalismus funktioniert so nicht. Presse muss unabhängig sein.“ Freilich schalten Zeitungen auch Werbung, doch habe  hierzu bisher eine eiserne Regel gegolten: Die Anzeigenabteilung  mischt sich nicht in die Berichterstattung ein und umgekehrt. „So funktioniert die kommerzielle Presse überall im Westen.“ Wie weit dies in Zukunft noch gelte, sei fraglich, denn ähnliche Vorstöße habe  es auch in Portugal gegeben, weitere Länder könnten folgen... 

Wichtige Lebenslektionen habe er aus dem Fall gelernt. Erstens: „Du hast als Journalist keine Alternative. Wir sagten der Leitung:  Stopp, das ist Druck. Das ist, wie  wenn ein Wasserlieferant instruiert wird, Gift beizumischen. Denn  inkorrekte Nachrichten sind Gift  für die Presse.“ Zweitens: die Bedeutung von starken Gewerkschaften. In Portugal hätten Journalisten, die sich ebenfalls verweigert haben, dank Gewerkschaften  hohe Abfindungen erhalten und Prozesse vor Gericht gewonnen. 

„Wir sind nicht der Mülleimer Europas“ 

Die Diskussion unter den Kursteilnehmern nimmt Fahrt auf: Sollte der Druck eines Schweizer Pressetrusts auf rumänische Medien nicht auch außer Landes als Riesenskandal durch die Medien gehen? Vor allem vor dem Hintergrund wiederholter Kritik des Westens an der Pressefreiheit in Rumänien... Ist das Fördern der Wettindustrie im Ausland, in der Schweiz selbst verboten, durch einen Schweizer Konzern nicht  zumindest moralisch anzuprangern? Entrüstung ruft die lapidare  Reaktion von Ringier auf den Vorwurf der Einmischung hervor: die  sei ja gar nicht geschehen, weil kein einziger Artikel geändert wurde. „Weil wir Widerstand geleistet  haben“, protestierten die rumänischen Journalisten. „Wir sind ein  EU-Land, nicht der Mülleimer Europas!", erbost sich Tolontan. „Aber irgendwann wird das hochkochen und jemand wird Stopp  sagen. Europa hat kein Doppelmaß“, sagt er überzeugt. Dass  ausgerechnet in Rumänien zwei Zeitungsredaktionen Widerstand geleistet haben, sei übrigens ein unerwarteter Schock für Ringier gewesen. „Sie werden damit nicht lange durchkommen. Sie werden das zumindest mit ihrem Image bezahlen.“ In Portugal seien viel  größere Zeitungen betroffen gewesen. Jemand im Ausland werde das untersuchen... und dann feststellen, in Rumänien ist Ähnliches passiert. „Sie werden nicht akzeptieren, dass jemand die Presse kauft.“ 

Die Liste der Herausforderungen der Medienwelt in Netz und  Äther wächst. Viele der hier genannten Daten und Zahlen sind  bereits veraltet. Journalisten hinken hinterher, von außen attackiert, sich selbst hinterfragend, im Kampf gegen subversive antidemokratische Kräfte. Ist es ein  Kampf gegen Windmühlen? Oder sind wir immer noch die vierte  Macht im Staat? Journalisten müssen unabhängig und neutral sein,  ja. Mit einer einzigen Ausnahme: im Einsatz für die unter Angriff stehende Demokratie. 


Internationale Fact Checking Plattformen

  • EUvsDisInfo.eu: Die East StratCom Task Force der EU berichtet wöchentlich in 15 Sprachen über Desinformation, die seitens Kremlnaher Presse in EU- und Westbalkanstaaten gezielt lanciert wird.
  • The European Fact-Checking Standards Network (EFCSN), 2022 gegründet, ist ein unabhängiger Zusammenschluss von Faktencheck-Plattformen von 16 Faktencheck-Organisationen und 23 Analyseinstituten (Stand: September 2023); Rumänien ist mit Factual.ro vertreten.
  • The International Fact Checking Network (IFCN) des Poynter Institutes in Florida, 2015 gegründet, mit 118 Organisationen (Nov. 2023), betreibt seit 2018 die Seiten PolitiFact.com und PunditFact.com


In rumänischer Sprache / zu Rumänien

  • Factual.ro der NGO „Funky Citizens“ (Mitglied IFCN) seit 2014
  • Verificat.AFP.com von AFP, 2016 lanciert in Frankreich, inzwischen in 80 Ländern
  • Veridica.ro, 2020 von der Internationalen Allianz der rumänischen Journalisten (Rumänien und Moldau) gegründet
  • Seit 2020 gibt es den Newsletter Misreport (newsletter.misreport.ro), der regelmäßig über enttarnte Fake News informiert.