Heiligsprechung und Geschichtsaufarbeitung

Das „Dilemma“ der Heiligsprechung im 21. Jahrhundert

Die neue Ikone des Heiligen Bekennenden Pfarrers Dumitru Stăniloae, der am 4. Oktober gefeiert wird Quelle: basilica.ro

Am 4. Februar 1925 beschließt die Heilige Synode die Gründung des Rumänischen Orthodoxen Patriarchats. „Die Würde des Patriarchen wird für die Rumänische Autokephale Orthodoxe Kirche in der Walachei eingeführt“ (Art. 1). Der Erzbischof und Metropolit der Ungrowalachei wird in seiner Eigenschaft als Primas von Rumänien in den Rang eines Patriarchen der Autokephalen Orthodoxen Kirche Rumäniens erhoben (Art. 2). Seine Hochseligkeit Dr. Miron Cristea, der derzeitige Erzbischof und Metropolit der Ungrowalachei, wird in seiner Eigenschaft als Primas von Rumänien zum Patriarchen der Rumänisch-Orthodoxen Kirche (Art. 3): Der Patriarch der Rumänisch-Orthodoxen Kirche genießt alle von den Heiligen Kanones und den Gesetzen des Landes anerkannten Rechte“ heißt es in dem Beschluss. Es wird aber noch bis zum 29. Oktober des gleichen Jahres dauern, bis König Ferdinand I. durch seine Unterschrift dieser Gründung auch die staatliche Anerkennung zusichert. Am 1. November des gleichen Jahres wird Miron Cristea als erster rumänischer Patriarch eingesetzt. Für viele rumänische Historiker ist die Gründung des Rumänischen Orthodoxen Patriarchats die letzte symbolische Geste, welche die Vereinigung der drei rumänischen Provinzen bestätigt. 

2025 steht also für die Rumänische Orthodoxe Kirche unter dem Zeichen des 100-jährigen Jubiläums des Bestehens des Patriarchats. Die Vorbereitungen für die Feierlichkeiten sind im Gange. In einem ersten Schritt wurde durch die Heilige Synode in der Sitzung vom 11. bis 12. Juli 2024 die Kanonisierung von 16 rumänischen Heiligen beschlossen. Diese Akte sorgte wiederum für so manche Debatte in der rumänischen Öffentlichkeit. Doch bevor auf diese eingegangen werden kann, müssen manche Begrifflichkeiten und Prozeduren kurz dargestellt werden. 

Was sind Heilige und wie werden sie zu solchen

Die Heiligkeit ist in orthodoxem Verständnis laut Dr. Dumitru Stăniloae, einem der wichtigsten Dogmatiker der orthodoxen Kirche, aber nicht nur, eine exklusives Attribut  Gottes. Sie muss als Summe aller göttlichen Eigenschaften verstanden werden. Die Heiligen sind, von dieser Perspektive her, diejenigen Menschen, die an dieser Heiligkeit teilhaben. „Der Heilige erlebt antizipatorisch im Rahmen des Möglichen die eschatologische Zukunft und das ewige Leben schon in der Zeit der Weltgeschichte“ schreibt Dr. Grigore Dinu Mo{ in seinem Beitrag „Heiligkeit und Heilige in der Tradition und Lehre der Orthodoxen Kirche – aktuelle Herausforderungen und mögliche Neuformulierungen“ (erschienen 2018 in dem zweisprachigen Band: „Heilige und Heiligenverehrung in Ost und West“, Hg. Gerhard Kardinal Müller u.a). „Durch ihr Ähnlichwerden mit Gott können die Heiligen nur zu starken, eifrigen und mutigen Charakteren werden, tiefgründig in der Reue, streng mit sich selbst, souverän in der körperlichen Selbstbeherrschung, gehorsam und standhaft, edelmütig, mit hohen Idealen, ehrlich und fest entschlossen, gerecht und verantwortungsvoll, unerschütterlich in ihrer Güte und Demut und entschiedene Gegner von Leichtsinn, seelischem Kleinmut und Kompromissen. In ihrem Feingefühl, ihrer Zartheit und ihrer Milde wird die überwältigende Kraft Gottes spürbar.“ heißt es in dem gleichen Beitrag.  

Eine wichtige Komponente für unser Thema ist die Prozedur der Heiligsprechung oder Kanonisierung. In dem schon zitierten Band stellt Dr. Irimie Marga in seinem Beitrag: „Die Kanonisierung von Heiligen in der Orthodoxen Kirche – Theologische Prinzipien und kanonische Verfahren“ in erster Linie einen notwendigen Dreischritt vor: „1. Die Initiative zur Erhebung von Helden des Glaubens in die Reihe der Heiligen hatte immer das Volk der Gläubigen inne. 2. Ein authentisches christliches Leben in der Vollgültigkeit des orthodoxen Glaubens war immer das grundlegende Kriterium der Anerkennung eines Heiligen. 3. Es müssen kanonische Verfahren durchgeführt werden, im Rahmen derer eine (lokale oder allgemeine) Synode die notwendige Zustimmung bzw. Genehmigung zu erteilen hatte, woraufhin die feierliche Proklamation in der Kirche erfolgt.“ Prozedural wird im Verfahren der Kanonisierung eine Prüfungskommission gegründet, die die ersten beiden Kriterien untersucht. Diese legt der Heiligen Synode einen Bericht vor. Die Synode beschließt die Heiligsprechung, die Erstellung der Heiligenvita, legt das liturgische Proprium fest, den Tag an dem der Heilige zelebriert wird, genehmigt die Ikone des Heiligen und erlässt das Synodaldokument dazu. 

Die Debatte

Auf der Liste der 16 kanonisierten Heiligen befinden sich auch Dr. Dumitru Stăniloae, Ilarion Felea und Ilie Lăcătușu. Auf die Heiligsprechung dieser drei hat das Elie-Wiesel-Institut in einer Pressemitteilung am 17. Juli 2024 reagiert. In dem Text spricht das Institut die eigene Verwunderung aus, dass die drei, trotz ihrer Verbindung in den 30er und 40er Jahren zu der rumänischen nationalsozialistischen Bewegung, nun als ethische Vorbilder für die rumänische orthodoxe Christenheit gelten sollen. „Wie Patriarch Daniel zu Recht feststellte, sind kanonisierte Heilige gerecht. Wir fragen uns daher, ob es mit der christlichen Ethik vereinbar ist, Personen zu den Heiligen zu zählen, die zu Lebzeiten durch Wort oder Tat die Werte des Faschismus geteilt haben?“ heißt es am Ende des Pressetextes. Die Reaktion des Patriarchats ließ nicht auf sich warten. Als erstes, für so manchen überraschendes Argument, wird in der Pressmitteilung der obersten orthodoxen Kirchenleitung vom gleichen Tag die durch die Charta der Menschenrechte gesicherte Glaubensfreiheit ins Feld geführt. In einem zweiten Schritt jedoch, wird das christliche Prinzip erläutert: „Wir stellen auch fest, dass einige Heilige, die in der orthodoxen Kirche verehrt werden, in bestimmten Momenten ihres Lebens Verhaltensweisen und Gesten an den Tag legten, die schwer zu verstehen sind oder sogar im Widerspruch zur christlichen Lehre stehen, aber die Kirche berücksichtigt die Veränderung im Leben des Sünders und vor allem die Art und Weise, wie er sein Leben beendet hat, ohne dass jedoch durch diese Haltung bestimmte Abweichungen, die diese Personen während ihres Lebens hatten, gefördert (geheiligt) werden.“. 

Eine gute Analyse und nachvollziehbare Lösungsansätze für das „Dilemma“ kann man einem online Gespräch zwischen den Theologen Paul Palencsar und Ionuț Mavrichi entnehmen. „Nicht alles, was ein Heiliger im Leben getan hat, ist voller Heiligkeit, nicht alles, was ein Heiliger im Leben geschrieben hat, ist unbedingt wahr“, betont Mavrichi. Zugleich gehen sie auf das wichtige Thema der Reue ein und stellen fest, dass in den drei von den Eli-Wiesel-Institut angeführten Fällen, keine öffentliche Stellungsnahme der anvisierten Personen zu ihrer eigenen Vergangenheit, konkret zu ihrer pronationalsozialistischen Haltung in ihrer Jugend, bekannt ist, was aber zugleich auch nicht bedeutet, dass es diese nicht gegeben hat, so z. B. dass diese vielleicht im Rahmen von Beichten usw. ausgedrückt wurde. Eine Herausforderung in der Heiligsprechung in unseren Tagen sehen die beiden auch in dem heutigen leichten Zugang zum Leben der zu kanonisierenden Personen. Wenn zum Beispiel die Vita des Heiligen Nikolaus erst mehrere Jahrhunderte nach seinem Leben schriftlich festgehalten wurde und dadurch aus der Perspektive seiner Heiligkeit niedergeschrieben wurde, liegen zu zeitgenössischen Heiligen alle Informationen zu ihrem Werdegang vor. Daher muss und soll die Analyse der Prüfungskommission viel akribischer durchgeführt werden. 

Orthodoxe Kirche und Aufarbeitung der Geschichte

Die Aufarbeitung der Geschichte Rumäniens im 20. Jahrhundert, überhaupt was die nationalsozialistische und die kommunistische Zeitspanne betrifft, ist ein sich in Gange befindender Prozess. Überhaupt in den letzten 24 Jahren wurde auf vielen Ebenen Entscheidendes geleistet und so manche historische Wahrheit ins rechte Licht gerückt. Leider muss festgestellt werden, dass in vielen Aspekten die Orthodoxe Kirche, aber nicht als einzige rumänische Kirche, diesen Prozess nicht nur nicht mitgetragen hat, sondern sogar zeitweilig blockiert hat. So unterlagen über mehrere Jahre die beim Nationalen Rat zum Studium des Securitate-Akten (CNSAS) vorhandenen Dokumente über die Kirche oder kirchliche Würdenträger dem Prinzip der Staatssicherheit und waren nicht öffentlich zugänglich. Trotzdem wurde bis heute im Bereich der Aufarbeitung viel geleistet. Was jedoch fehlt ist eine öffentliche Aneignung der eigenen Vergangenheit seitens der Kirche(n). Die Rumänische Orthodoxe Kirche könnte, als größte Kirche Rumäniens und eine der wichtigsten orthodoxen Kirchen weltweit, mit gutem Beispiel vorangehen. Hier sehen auch die beiden genannten Theologen, Palencsar und Mavrichi, einen Lösungsansatz zwischen der Notwendigkeit der Heiligsprechung, gegeben durch die Initiative des Christenvolkes, und der in manchen Punkten problematischen Vita der heiligzusprechenden Personen. Wenn die Kirche, meinen die beiden, zeitgleich mit dem Beschluss der Heiligsprechung, sich problematische Aspekte in ihrem geschichtlichen Werdegang öffentlich aneignen würde, würde das einen entscheidenden Schritt in Richtung ehrliche Aufarbeitung darstellen, manche „mythologisierende“ Geschichtswahrnehmung aus dem Feld räumen und so manche Debatte um die Vita einzelner Personen ehrlicher erscheinen lassen. Dieses würde den Prozess der Heiligsprechung unter keinen Umständen blockieren oder stören, sondern ihn unter Umständen viel verständlicher machen.