Heute im Angebot: EU-Pässe zum halben Preis

Auf dem neuen Markt für Staatsbürgerschaften notiert

Symbolfoto: freeimages.com

Einen EU-weiten diplomatischen Aufschrei gab es damals, als Rumäniens ehemaliger Präsident Traian Băsescu seine Vorliebe für die Republik Moldau entdeckte, besser gesagt, für deren rumänischsprachige Staatsbürger, und von heute auf morgen den Menschen zwischen Pruth und Dnjestr die Aussicht auf einen rumänischen Pass eröffnete. Eine Untersuchungskommission der Europäischen Union wurde eingesetzt, die die lasche Praxis der rumänischen Konsularbehörden bei der Vergabe von Visa oder Aufenthaltstiteln untersuchen sollte. Was Rumänien tut, lautete die Rechtfertigung aus dem Bukarester Außenministerium, sei doch nichts anderes als das, was Budapest im gesamten Karpatenbecken bereits vorgemacht habe. 400.000 Siebenbürger, darunter auch zahlreiche Rumänen, sollen bislang die ungarische Staatsbürgerschaft erhalten haben. Nachzuweisen ist bloß, dass mindestens ein Vorfahre auf dem Gebiet des ungarischen Teils der Doppelmonarchie Österreich-Ungarn geboren wurde und dass man sich auf Ungarisch mit dem zuständigen Beamten unterhalten kann. Beides können auch Siebenbürger oder Banater, da auch ihre Vorfahren unter ungarischer Herrschaft geboren waren. So wurde kurz vor dem Zerfall Kakaniens auch die schwäbische Großmutter mit dem ungarischen Vornamen Erzsébet und nicht Elisabeth ins Geburtsregister eingetragen. Das galt natürlich auch für die Rumänen, so wurde mithilfe der Feder des ungarischen Standesbeamten von anno 1910 aus dem rumänischen Urgroßvater namens Ioan ein waschechter Magyare namens János. Es scheint, dass bereits vor dem Ersten Weltkrieg den ungarischen Beamten längst bekannt war, dass Identität lediglich ein soziales Konstrukt ist. Oder eine Frage der Schreibweise.

Die rumänische Öffentlichkeit akzeptierte die Praxis der Bukarester Behörden gegenüber den moldauischen Bürgern, man sah darin eine Art geschichtliche Wiedergutmachung. Genauso wie man das Handeln auch in Budapest verstand. Und dann passierte plötzlich das Undenkbare: Ein junges Popsternchen aus Chişinău und zugleich frischgebackene rumänische Staatsbürgerin verkündete Folgendes via Internet: „Der rumänische Pass ist für mich nur ein Visum, und keine Staatsbürgerschaft. Lediglich eine Möglichkeit, mobil sein zu können. Ich bin Moldauerin.“ Köstlich war die Verwunderung der Dame samt Ehegatte, die etwas verdutzt der Presse mitteilten, sie hätten ja nicht vorhersehen können, dass die Visumspflicht auch für die Republik Moldau aufgehoben werden würde. Dies ist tatsächlich passiert, denn seit dem 28. April 2014 können auch moldauische Staatsangehörige visumfrei in die EU einreisen. Es ist so, als wäre die EU nun äußerst großzügig, jedoch nur nachdem sie alle ehemaligen Ostblockstaaten so lang wie es nur ging mit Visumspflicht, Einreise- und Niederlassungsverboten bestraft hatte. Noch Dezember 2015 gab es in Jassy lange Warteschlangen von Moldauern, die sich einbürgern wollten. Manche übernachteten in Autos, Listen wurden angefertigt, einige wurden handgreiflich. Die interviewten Kandidaten gaben gelassen an, dass sie mit dem Leben in der Republik Moldau nicht zufrieden seien, das Geld wäre knapp, die Aussichten fast null. Deswegen würden sie den rumänischen Pass beantragen, um in Paris (!) eine Arbeitsstelle finden zu können.

Und wie steht es mit der Einbürgerung in Deutschland? Schließlich ist Deutschland nicht der Balkan, und viele nationale Minderheiten gab es bis nach dem Zweiten Weltkrieg nicht. Die selbst erzählte Geschichte eines eingebürgerten Flüchtlings aus Ex-Jugoslawien kann uns viel verraten. So erzählt Krsto auf „Jetzt.de“, dem Online-Jugendmagazin der „Süddeutschen Zeitung“, wie und weshalb er, als ex-bosnischer Flüchtling, den deutschen Pass beantragt hat. Und so wird im Artikel minutiös dargestellt, wie er mit einer sehr germanischen Ausrüstung zur Einbürgerungsfeier erschienen ist: weiße Socken und Birkenstocksandalen, Trachtenjacke und weißes Handtuch, um seinen Stuhl damit zu besetzen. Der Text ist noch mit einem Foto geschmückt, in dem Krsto – eine Maß Bier haltend und mit abgenutztem Bayernhut auf dem Kopf – den Lesern spitzbübisch zulächelt. Na gut, man kann uns ja auch der Humorlosigkeit bezichtigen. Vielleicht verstehen wir einfach den Witz nicht. Vielleicht sind wir zu alt, es ist ja schließlich auch ein Jugendmagazin. Äußerst interessant fanden wir jedoch die Gründe, die den lieben Krsto dazu bewegt haben, den deutschen Pass zu beantragen. So gibt er bekannt: „Aber ich werde ja nicht Deutscher, weil ich die Nationalhymne liebe, sondern weil der deutsche Pass einer der besten der Welt ist. Man kann mit ihm in 172 Länder der Welt reisen, ohne sich vorher um ein Visum kümmern zu müssen. Nur mit einem Pass aus Schweden, Finnland und dem Vereinigten Königreich geht noch mehr. Mit meinem bosnischen Pass konnte ich lediglich in 91 Staaten einfach einreisen, meine kosovarischen Freunde dürfen ohne Aufwand sogar nur 38 Länder besuchen.“

Dass es ein Pass-Ranking gibt, war den Autoren bis vor Kurzem unbekannt. Nie im Leben wäre man auf die Idee gekommen, sich einen Pass zuzulegen, bloß weil der besagte Pass theoretisch erlaubt, in mehrere Länder visumfrei einreisen zu können. Ein Pass ist schließlich kein Flugticket, das man einfach nur benutzt, um ins Flugzeug einzusteigen. Und da sind wir beim merkantilen Aspekt angekommen: Pass und Staatsangehörigkeit scheinen heutzutage in überwältigendem Maße aus rein praktischen, ökonomischen Gründen beantragt zu werden. Man stellt den Antrag, man sagt, was erwartet wird, auch wenn man überhaupt nicht daran glaubt, der Antrag geht seinen Weg, und man kommt ans Ziel. Hauptsache EU und Reisefreiheit in der Tasche, alles andere spielt überhaupt keine Rolle. Das ist das Rezept des heute „mobilen“ EU-Bürgers. Man ist heute im skrupellosen Eigennutz europaweit vereint. Um einen wichtigen Aspekt zu klären: Wir sind keine Gegner der doppelten Staatsbürgerschaft. Ganz im Gegenteil, wir befürworten das Recht darauf ausdrücklich: Jeder in der Republik Moldau lebende Rumäne, der sich als solcher bezeichnet, soll das Recht haben, die rumänische Staatsbürgerschaft zu beantragen und auch zu erhalten. Was aber jedenfalls wünschenswert ist, wäre eine nicht rein ökonomische Haltung gegenüber der angeforderten Staatsbürgerschaft. Nicht (nur) das Ranking des Passes sollte der Hauptentscheidungsgrund sein, nicht die Reisefreiheit, die mit dem Pass kommt, nicht nur das Materielle und die eigene Bequemlichkeit, sondern auch eine bestimmte kulturelle Affinität, eine geistige Verwandtschaft, womöglich ein Gefühl von Zugehörigkeit, welches eben nicht nur auf das Eigenwohl abzielt.

Im antiken Griechenland, das ja von jedem Politiker heutzutage als die Wiege der europäischen Kultur gepriesen wird, waren Staatsbürgerschaft und die damit einhergehenden Rechte und Pflichten noch nicht ganz unwichtig. In der athenischen Demokratie galten Eigennutz und Egozentrismus als verpönt und wurden als Eigenschaften der Idioten betrachtet; Idioten waren nämlich für die alten Griechen die Idiotes, also Menschen, die sich nur um ihre Privatangelegenheiten kümmerten und nichts zum Wohle der Polis beitrugen. Staatsbürger wurden hingegen durch Bildung geformt. Im alten Athen wurden Idioten geboren, Staatsbürger jedoch ausgebildet. Vielleicht war das die bessere Zivilisation.