„Ich hoffe, dass die USL reif genug ist,eine Verfassungsreform im guten Sinne durchzuführen“

ADZ-Gespräch mit Ovidiu Ganţ, Parlamentsabgeordneter des Demokratischen Forums der Deutschen in Rumänien

Foto: Zoltán Pázmány

2013 wird für Rumänien ein Jahr wesentlicher Gesetzesänderungen. Die Koalitionsregierung strebt sowohl eine radikale Verfassungsnovelle als auch eine Verwaltungsreform an. ADZ-Redakteurin Lilo Millitz-Stoica sprach mit dem DFDR-Abgeordneten Ovidiu Ganţ über die Fülle der geplanten Novellierungen, die Prioritäten seiner neuen Amtszeit und auch über die Qualität der derzeitigen rumänischen politischen Klasse.

Herr Abgeordneter Ganţ, durch die jüngst verabschiedeten Änderungen der Parlamentssatzungen haben sich Rumäniens Volksvertreter eine verstärkte Immunität gegönnt, die inzwischen vom Europarat unter die Lupe genommen wird. Wie stehen Sie dazu?

Ich stimme dieser Aussage nicht zu – das ist ein Konstrukt, das in der Öffentlichkeit entstanden ist, wobei sich niemand die Mühe gemacht hat, den verabschiedeten Text auch durchzulesen. Letztlich geht es nur um Immunität vor Verhaftung und Hausdurchsuchung – was völlig verfassungsmäßig ist.

Entsprechend kann nicht von einer erweiterten Immunität gesprochen werden. Natürlich muss die Staatsanwaltschaft  begründen, weshalb sie eine Verhaftung oder Hausdurchsuchung verlangt, allerdings will das Parlament nicht darüber urteilen, sondern lediglich über die Gründe einer derartigen Maßnahme informiert werden.

Ich möchte darauf hinweisen, dass es in der Geschichte Europas sehr traurige Ereignisse gegeben hat, die auf mangelnder Immunität der Parlamentsabgeordneten basierten – Hitler etwa hat sein Ermächtigungsgesetz des Reichskanzlers infolge der Verhaftung der sozialdemokratischen und kommunistischen Abgeordneten des Reichstages durchsetzen können.

Sinn der Immunität ist, Volksvertreter vor der Möglichkeit zu schützen, dass eine schwache Exekutive mit einer prekären oder gar inexistenten Mehrheit etwa im Fall einer bevorstehenden wichtigen Abstimmung auf die Idee kommt, etliche Abgeordnete für 24 Stunden festzuhalten, um dann am nächsten Tag zu sagen „ihr seid frei – tut uns leid, es hat sich um eine Verwechslung gehandelt“.

Das Beispiel ist natürlich eine Extremdarstellung, damit sich die Leserschaft im Klaren ist, weshalb es Immunität vor Verhaftung oder Hausdurchsuchung geben muss. Auch gilt die Immunität der Parlamentsabgeordneten Rumäniens nicht für Straftaten, die in flagranti festgestellt werden.

Der Generalsekretär des Europarates und frühere norwegische Ministerpräsident Thorbjörn Jagland hat allerdings darauf verwiesen, dass in einer Demokratie politische Immunität in erster Linie für die freie Meinungsäußerung der Abgeordneten und nicht für ihren Schutz bei Verdacht auf eventuelle Delikte zu gelten hat ...

Ich empfehle dem Herrn, die rumänische Verfassung zu lesen. Und auch die vorgenommenen Satzungsänderungen. So lange man über die Fakten nicht genau Bescheid weiß, ist es meiner Meinung nach falsch, Stellungnahmen abzugeben – selbst wenn es sich um den Europarat oder andere internationale Institutionen handelt.

Im rumänischen Parlament sitzen derzeit 20 Abgeordnete und Senatoren mit Justizproblemen – etliche davon stehen bereits unter Strafanklage, andere sind sogar schon verurteilt worden. Meinen Sie, dass derlei Volksvertreter objektiv bei der Erarbeitung von  Antikorruptionsregelungen oder Gesetzen zur Stärkung der Korruptionsbekämpfungsbehörden sein können?

Natürlich sind sie es nicht und sie hätten auch nichts in der Legislative verloren – doch hat die Wählerschaft leider anders entschieden.

Nur darf das Wahlvolk im Nachhinein dann auch nicht klagen, dass solche Politiker am Werk sind. Andererseits müssen sie das Parlament immerhin im Fall eines rechtskräftigen Urteils unverzüglich verlassen. Jedoch sollte auch die Justiz in diesen Fällen schneller und effektiver arbeiten – es darf nicht Jahre dauern, bis sie zum Schluss kommt, dass der eine oder andere Abgeordnete Korruptions- oder sonstige Delikte begangen hat.

Und auch die Parteien sind selbstverständlich an dieser Lage schuld, weil sie solche Leute überhaupt aufstellen.

Vor der Abstimmung über die umstrittenen Satzungsänderungen hat die Opposition bestehend aus Liberaldemokraten, Ungarnverband und Dan Diaconescus „Partei des Volkes“ beanstandet, von der Mehrheit bezüglich dieser Novellierungsvorschläge erst gar nicht konsultiert worden zu sein. Wie steht’s mit Ihnen – wurden Sie und die Fraktion der Minderheiten hierzu konsultiert?

Diese Situation stellt eigentlich nichts Neues dar – die PDL/PSD-Mehrheit von 2009 hat auch niemanden konsultiert. Auch die Nachfolgemehrheit hat sich damit schwer getan und sollte deshalb lieber etwas leiser treten. In Rumänien handelt jede Mehrheit stets in der „Take it or leave it“-Manier („Basta“-Manier). Natürlich ist diese Vorgehensweise grundsätzlich falsch, aber sie ist, wie ich schon sagte, leider nichts Neues – besonders im Fall einer massiven Mehrheit. Die Minderheitenfraktion ist selbstverständlich permanent bemüht, ihre eigenen Vorschläge einzubringen – mal mit mehr, mal eben auch mit weniger Erfolg.

Die Mitte-Links-Koalition will nach Angaben von Premier Ponta noch in diesem Jahr eine Verfassungsnovelle durchziehen – angestrebt wird dabei u. a. die Änderung der aktuellen Staatsform einer semipräsidentiellen Republik in eine parlamentarische Demokratie. Sind Rumäniens Volksvertreter Ihrer Meinung nach reif genug für eine derartige Verantwortung?

Sie sind auf jeden Fall viel reifer als die Präsidenten, die wir bis dato hatten. Auch ich bin der Meinung, dass wir eine parlamentarische Demokratie brauchen, jedoch bevorzuge ich nicht das von der USL angestrebte Modell, sondern jenes der Bundesrepublik Deutschland, wo der Bundeskanzler vom Bundestag und der Bundespräsident von einer Bundesversammlung gewählt werden. Bei uns wird indes überlegt, den Staatspräsidenten weiterhin direkt vom Volk wählen zu lassen, seine Kompetenzen jedoch zu beschneiden.

In der rumänischen Geschichte gibt es zahlreiche Fälle von Personaldiktatur – beginnend mit Carol II. über Antonescu bis hin zu Ceauşescu. Aus historischen Gründen hängt die rumänische Wählerschaft immer noch an der Idee des „tătuc“ – des „Väterchens“ bzw. starken Mannes, der uns sagt, wo es lang geht, einschließlich in Nachwendezeiten. Dabei hat sich immer wieder erwiesen, wie schlecht die jeweiligen Präsidenten daran taten, sich massiv in die Belange der Exekutive und auch der Justiz einzumischen.

Meine Meinung lautet daher: Je weniger Macht eine Person besitzt, desto besser. Der Großteil all dessen, was in diesem Land schief lief, verdanken wir Exekutive und/oder Präsidentschaft, nicht dem Parlament. Ein starkes Parlament kann nur zu einer stabilen, gestärkten Demokratie führen.
Die Frage der künftigen Staatsform ist zudem noch nicht endgültig geklärt – ein Referendum zur Frage Monarchie oder Republik gab es ja schließlich nie.

 Ich hoffe sehr, dass die USL reif genug ist, eine Verfassungsreform im guten Sinne durchzuführen, bin allerdings skeptisch in Bezug auf die Fähigkeit der rumänischen politischen Klasse, das Kriegsbeil endlich zu begraben, um die Novelle sachlich anzugehen.

Der Standpunkt der Minderheitenfraktion hierzu steht fest – wir sprechen uns für eine parlamentarische Republik und ein Zweikammerparlament aus. Aus unserer Sicht gehören Kompetenzen von Abgeordnetenkammer und Senat künftig getrennt, wobei das Oberhaus zu einer Kammer der Regionen werden soll, wo letztere ihre Interessen artikulieren können.

Ein weiterer Kernpunkt im Programm der Regierung ist die Verwaltungsreform. Welchen der bisher ins Gespräch gebrachten Vorschläge bevorzugt das DFDR? Oder beabsichtigen Sie, eigene Vorschläge einzubringen?

Im Landesvorstand haben wir dazu noch kein detailliertes Gespräch geführt, es wird vermutlich schon bald anstehen. Meiner Meinung nach ist jedoch weniger wichtig, wie viele Regionen es letztlich gibt, welches deren Hauptstädte wären und wer Gouverneur werden soll. Das finde ich derzeit am lächerlichsten – noch stehen die künftigen Regionen gar nicht fest, doch wird bereits über die Besetzung der Gouverneursposten debattiert – einschließlich in den Medien.

Hingegen fehlen jegliche Debatten über Kompetenzen und Ressourcen dieser Regionen – die Regierung hätte ja schließlich auf eine Reihe von Kompetenzen zugunsten letzterer zu verzichten. Zudem gilt es zu klären, was aus den Landeskreisen wird bzw. wie konsequent und tief das Subsidiaritätsprinzip in der Verwaltung eingeführt werden soll, damit die Entscheidung näher an den Bürger gebracht wird.

Eine weitere Kernfrage, die man sich stellen muss, ist, inwiefern diese Regionen tragbar sind. Soll es so bleiben wie bisher, wo, salopp formuliert, das Banat und Siebenbürgen Geld produzieren und die Zentralregierung in Bukarest dann entscheidet, dieses Geld an den Osten und Süden des Landes zu verteilen?! Deshalb muss überlegt und wohl auch gesetzlich festgelegt werden, wie diese Solidaritätsfinanzierung künftig funktionieren soll. Aus dem Haushaltsentwurf 2013 geht eindeutig hervor, dass die Kreise in der Moldau das meiste Geld erhalten, während den Kreisen Hermannstadt und Temesch sehr wenig zugesprochen wurde – obwohl ihr Beitrag zum Bruttoinlandsprodukt wesentlich höher ist. Solche Disparitäten sind schlecht für das Land.

Auch müsste in Betracht gezogen werden, dass Rumänien derzeit schon viel zu viele Verwaltungseinheiten hat. Wir haben jede Menge winziger Gemeinden, die über ihre eigenen Verwaltungsstrukturen verfügen – diese gehören folglich zusammengelegt. Allerdings stellt sich die Frage, ob die Behörden auch den Mut zu einer derartigen Entscheidung haben werden, da dadurch viele Bürgermeisterposten verloren gehen würden.

Die Presse befürchtet, dass durch die Verwaltungsreform bzw. die neuen Regionen letztlich nur eine weitere Verwaltungsstruktur zu den bereits bestehenden hinzukommt – was dem Land wenig bringen würde.

Das ist richtig. Weder Ministerpräsident noch Verwaltungsminister haben die Öffentlichkeit bisher über ihre Pläne aufgeklärt – ich gehe davon aus, dass es derzeit noch kein Konzept gibt. Es gibt auch keine Studie hierzu und es gab auch keine, als Präsident Băsescu den Vorschlag erstmals unterbreitete.
Eine Verwaltungsreform macht nur dann Sinn, wenn die Bevölkerung auch etwas davon hat. So lange die Menschen nur eine zusätzliche Verwaltungsstruktur zu finanzieren hätten, die genauso schlecht, verantwortungslos und korrupt wie die restlichen funktioniert, würde das nicht nur nichts bringen, sondern auch zusätzliche Schwierigkeiten bereiten.

Trotz der bisherigen Bestrebungen des DFDR und anderer Minderheitenvertretungen gibt es hierzulande immer noch kein Minderheitenschutzgesetz. Wieso eigentlich? Zudem – was würde es der deutschen Minderheit konkret bringen?

Wenig bis nichts – um mit dem zweiten Teil Ihrer Frage zu beginnen. Letztlich erwarten wir uns davon nur ein sehr schlankes Rahmengesetz, in dem das Konzept definiert wird und eventuell auch die historischen Minderheiten aufgezählt werden – als klare Trennung von den restlichen ethnischen Minderheiten, Gastarbeitern usw.

Hinzu käme vielleicht eine neue, dem Parlament und nicht der Regierung unterstehende Minderheitenagentur. Ansonsten sind die speziellen Gesetze Rumäniens bezüglich Bildung, Verwaltung, Justiz u. a. ja bereits so formuliert worden, dass sie klare Vorschriften in Bezug auf die Minderheiten enthalten.

Der springende Punkt ist eigentlich, dass die ungarische Minderheit – die hierzulande bekanntlich die zahlreichste ist – auf der sogenannten kulturellen Autonomie beharrt und dementsprechend mit der Position der rumänischen Politiker durch die Bank kollidiert. Das DFDR war hingegen nie der Ansicht, dass eine auf ethnischer Basis begründete Autonomie die Lösung unserer Probleme darstellen würde.

Und zu guter Letzt – welches sind die Prioritäten Ihrer neuen  Amtszeit?

Meine Aufgaben sind klar und seit über einem Jahrzehnt formuliert. Die Prioritäten des Forums visieren nach wie vor Bildung, deutsche Muttersprache und Kultur, Rückerstattung von Kircheneigentum sowie unsere Finanzierung vom Staatshaushalt. Diesbezüglich hat unsere Fraktion bereits mit dem Regierungschef über eine fünfprozentige Erhöhung der Geldmittel verhandelt – damit wäre unsere diesjährige Finanzierung zumindest an die Inflation angepasst, mehr wollte die Minderheitenfraktion angesichts der aktuellen Haushaltslage nicht verlangen. Wir sind zuversichtlich, dass dieser Finanzierungsvorschlag vom Parlament gebilligt wird. 

Darüber hinaus sind die bilateralen Beziehungen zur Bundesrepublik Deutschland für uns prioritär – zu deren Förderung der Abgeordnete der deutschen Minderheit natürlich beizutragen hat. Selbstverständlich können wir die rumänischen Politiker dabei nicht ersetzen, aber vielleicht dafür sorgen, dass die Kommunikation besser funktioniert – gegenwärtig meine ich nämlich, dass diesbezüglich großer Bedarf besteht.