Ich und die Rolling Stones

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Die Rolling Stones gibt es nun schon seit sage und schreibe 50 Jahren. Chapeau! Aber wozu sich nun in falscher Bescheidenheit üben: Mich gibt es sogar noch länger, und zwar feierte ich in diesem Jahr meinen 62. Das soll jetzt aber freilich nicht heißen, dass ich zu den Konzerten der Methusalem-Musiker altersbedingt am Stock gehe. Ganz im Gegenteil, ich bringe es noch locker fertig, Bäume auszureißen, bzw. auf Bäume zu klettern, wie Keith Richards, der in meinem Alter auf den Fidschi-Inseln auf eine Palme kletterte und auf den Kopf fiel. Respekt! Was uns nicht umbringt, bringt uns zum Weitersingen!

Als die Stones 1962 ihre Band gründeten, lebte ich als Teenie in Rumänien, und beim 1965 auf den Markt gebrachten Song „(I Can’t Get No) Satisfaction“ trällerte ich mit Jagger den Text zustimmend mit. Nicht bloß er, sondern auch ich konnte im Alltag null Befriedigung finden, wenn auch aus ganz anderen Gründen. Einer davon war, dass die Stones im damaligen Rumänien als fleisch- bzw. musikgewordene westliche Dekadenz verpönt waren. Im real existierenden Sozialismus gab es keinen Platz für solch fortschrittfeindliche Töne, man musste links-zwo-drei-vier im Marschtempo und pausenlos zum sonnigen Gipfel des Kommunismus marschieren.

Die von diesem sozialistisch-alpinistischen Unterfangen ablenkende Stones-Musik erlebte man lediglich im Rundfunk, doch leider nicht im rumänischen, sondern bei Radio Free Europe. Das war der feindliche Propagandasender aus München, und ihn zu hören war strengstens verboten, was die tolle Auswirkung hatte, dass meine Freunde und ich, wann immer wir ein wenig Zeit hatten, ihn begierig einschalteten. Bei geschlossenen Türen und Fenstern natürlich, damit die Securitate nicht mithörte.

Bei unseren Schüler-Partys im Halbdunkel der Keller-Waschküche, weit entfernt von den Augen und Ohren der Eltern, feierten wir damals des Öfteren mit der brandneuen Stones-Single „Have you seen your Mother, Baby, Standing in the Shadow“, eingeschmuggelt von meiner Tante aus Nürnberg. Und als Stones-Mitglied Brian Jones 1969 starb, stand ich kurz vor dem Abitur, und mein Cousin und Mitschüler Nelu und ich trugen eine Woche lang Trauerflor an der Schuluniformjacke. Auf die mitfühlende Frage des Schuldirektors, was denn Schlimmes passiert sei, logen wir zwar, dass unsere Oma das Zeitliche gesegnet habe, aber unsere Trauer war absolut echt. Und so bekamen wir einen unterrichtsfreien Tag für die Beerdigung, den wir freilich dazu nutzten, um uns versteckt im Stadtpark über die Stones zu unterhalten.

Zu unserer großen Freude stellten diese phänomenalen Bad Boys die Welt auf den Kopf. Die Farbe des Kommunismus war rot, wie auch die Flagge des sowjetischen Bruderstaates und des fünfzackigen Sternes im rumänischen Nationalwappen, es gab laut Staatspropaganda nichts Schöneres als das Knallrote auf der Welt, und was sang da plötzlich dieser Nichtsnutz von Mick Jagger? Paint it black! „No colours anymore I want them to turn black.“ („Keine Farben mehr – ich möchte alles in Schwarz umwandeln.“) Ein derart krasser Pessimismus war im Sozialismus jedoch strengstens untersagt, der Mensch hatte sich über sein Schicksal unablässig zu freuen, was den Song natürlich doppelt so gut machte.

Im Gegensatz zu meiner Stones-Liebe bewunderten meine Eltern eher die klassische Musik, vor allem, weil sie ganz einfache Leute waren und überhaupt nichts davon verstanden. Und so schickten sie mich nach der Schule zum Klavierunterricht, damit wenigstens ich Bach und Beethoven näher kam, was ich für völlig falsch hielt. Denn erstens hatte das Klavier unzumutbar viele Tasten, nicht nur weiße, sondern sogar auch noch schwarze. Wie sollte ich sie alle gleichzeitig bedienen lernen? Und zweitens spielten Jagger und Keith Richards Gitarre. Und drittens ließ sich eine Gitarre, falls man eines Tages die Nase voll davon haben sollte, effektvoll zerschlagen oder verbrennen, wie der psychedelische Rocker Jimi Hendrix bei seinen Auftritten bewiesen hatte. Also ließ ich den Klavierunterricht nach kürzester Zeit sausen und lernte stattdessen Luftgitarre zu spielen, ein Musikinstrument, mit dem ich übrigens auch heute noch gelegentlich auftrete. Aber es ist immer gut, zwei Eisen im Feuer zu haben, also lernte ich damals gleichzeitig auch noch Schlagzeug zu spielen, nach dem Vorbild des Stones-Drummers Charlie Watts. Aber da im sozialistischen Handel weder Schlagzeuge noch Trommelstöcke zu bekommen waren, ersetzte ich das Schlagzeug durch die Schulbankplatte und die Stöcke durch meine Hände. Und ich ließ mich vom hartnäckigen Üben nie abbringen, auch dann nicht, wenn man mich aus dem Unterricht warf. Dann übte ich auf dem Flur weiter.

Ach, die Jugend! Und wie ist es heute? Tja, heute hat sich alles verändert. Ich lebe seit vielen Jahren in Düsseldorf, in einem vierstöckigen Haus, und wenn ich ab und zu mal mangels Schulbank Schlagzeug auf dem Heizkörper spiele, beschwert sich sofort der Nachbar von unten, wegen Lärmbelästigung. Kein Wunder, der Mann ist noch ziemlich jung und hat von den Rolling Stones keinen blassen Schimmer.