„Ich versuche, die Dorfpfarrer in der Geschichte zu rehabilitieren“

Dr. András Bándi – Forscher und Kirchenhistoriker

Dr. András Bándi | Foto: Roger Pârvu

Auf dem 32. Sachsentreffen in Meschen hat Dr. András Bándi einen Vortrag über Stephan Ludwig Roth gehalten. | Foto: George Dumitriu

In Hermannstadt/Sibiu am Ende der Fleischergasse/Str. Mitropoliei bei Nr. 30 befindet sich das „Friedrich Teutsch“-Begegnungs- und Kulturzentrum. An sonnigen Tagen laufen im Hof Kinder unterschiedlichsten Alters herum. An den Tischen genießen die Kunden des Erasmus-Buchcafes ein Getränk, ein Buch, eine Zeitung oder ein Gespräch mit Bekannten. Betritt man das Gebäude und lässt man die Buchhandlung linker Hand liegen, befindet man sich zwei Türen und einen kurzen Flur später im Zentralarchiv der Evangelischen Kirche A.B. in Rumänien. Die Chancen sind hoch, dass man an einem der Arbeitsplätze Dr. András Bándi antrifft, vertieft in ein Dokument. Der Nachwuchs-Kirchenhistoriker hat sich in den letzten Jahren als Experte für die Entwicklungsgeschichte der siebenbürgisch-sächsischen Dörfer etabliert. 

Vom Französisch-Unterricht zur Theologie

Der 1980 in einer ungarischsprachigen, reformierten Familie geborene András hatte seine erste Begegnung mit der deutschen Sprache als Zweitklässer an der ungarischen Abteilung des „Octavian Goga“-Lyzeums in Hermannstadt. „Man hatte uns gesagt, dass wir als Zweitsprache Französich haben werden. Ich hatte ganz stolz auf mein neues Heft ‚Français‘ geschrieben. Ich hatte es nachgeschlagen, um es auch richtig zu schreiben. Als dann die Stunde stattfinden sollte, kam eine Lehrerin in Klasse und sagte: „Guten Tag“. So begann mein Deutschunterricht. Später sollte ich erfahren, dass niemand bei ‚den Ungarn‘ Französisch unterrichten wollte.“ Dieser für einen Neun- oder Zehnjährigen nicht so wichtige Wendepunkt sollte seinen zukünftigen Werdegang entscheidend bestimmen.

Deutsch sprach ihm zu und am Ende der zwölften Klasse war er einer der vier Klassenkollegen, die die Sprache auf muttersprachlichem Niveau beherrschten. 

Die kirchlich-religiöse Anbindung war in der Familie Bándi eine Selbstverständlichkeit. Beispielhaft dafür kann ein Besuch gelten, den er als Elfjähriger mit seiner Familie bei einer Verwandten, die Ende der 1950er Jahre ausgewandert war, in Ungarn unternahm. „Sie wohnten in einer nach stalinistischem Konzept gebauten Wohnblocksiedlung. Keine Kirche. Wir konnten das nicht verstehen. Wie wurden die Leute ohne Pfarrer beerdigt, fragte ich mich“, erzählt der Theologe. Die Entscheidung, Theologie zu studieren, kam ganz natürlich. So fuhr er nach dem Abschluss des Lyzeums im Jahr 1999 nach Klausenburg/Cluj-Napoca, wo die Aufnahmeprüfungen zum reformierten Theologiestudium eine Woche dauerten. Die erhaltene Note sollte aber für eine Zulassung nicht reichen. So griff András zu Plan B: Seine Deutschlehrerin hatte ihn schon während des Lyzeums darauf hingewiesen, dass seine Sprachkenntnisse ihm problemlos das Studium der evangelischen Theologie auf Deutsch in Hermannstadt möglich machen würden. Also meldete er sich, mit einer Sonderempfehlung des reformierten Bischofs aus Klausenburg, als Gaststudent in seiner Heimatstadt zum Studium an. Die Atmosphäre im Bischofspalais (damals auch Sitz der theologischen Ausbildung), die Professoren, die Kommilitonen, sagten ihm zu. Als ihn am Ende des Studienjahres der damalige Dekan Dr. Hans Klein fragte, ob er nicht in Erwägung ziehen würde, zur evangelischen Kirche überzutreten und sich als regulärer Student einzuschreiben, musste er nicht lange überlegen und nahm das Angebot an. 

Seinen theologischen Werdegang sollte auch ein zweisemestriger Studienaufenthalt in Bern entscheidend mitprägen. „Erstens lernte ich dort eine Multi-Kulti-Gesellschaft kennen, die es so bei uns nicht gab und noch nicht wirklich gibt. Ich lernte auch einen „professionelleren“ Uni-Betrieb kennen. Wir waren ja sehr klein als Ausbildungseinrichtung. Ich wohnte beim bekannten Neutestamentler Ulrich Lutz und in Gesprächen mit ihm bin ich dann in die Tiefen der Theologie eingestiegen“, erinnert sich András. „Natürlich hab ich auch das gesamte Touristenprogramm der Amerikaner durchgezogen und besuchte neben Genf auch Interlaken, St. Moritz usw.“, erzählt er in seiner humorvollen und selbstironischen Art. Das Wichtigste, was er aber aus der Schweiz mitnahm, war der Toleranzgedanke, der ihn bis heute begleitet. 

Vom der Kanzel zum Katheder

Auf das Studium folgte das Vikariat in Neppendorf/Turnișor und danach 2007 die Ordination zum Pfarrer für neun Gemeinden im unteren Harbachtal. Doch hier kollidierten die eigenen Erwartungen und Vorstellungen mit den Wirklichkeiten des Pfarralltags in einer Diasporal-Gemeindesituation. „Ich hatte noch das Dorf meines Großvaters vor Augen, welches ich in den 80er Jahren erlebt hatte. Eine funktionierende, bewusste, feste Gemeinde. Ein klassisches ungarisch und rumänisch gemischtes Dorf. Dieses Bild konnte ich dann in Alzen/Alțâna nicht wiederfinden. Da war auch die Anbindung zur Stadt schon sehr präsent. Dazu kam noch, dass ich reformiert sozialisiert war, also kam ich aus einer Kirche, die damals noch als Volkskirche betrachtet werden konnte. Die Diasporasituation vor Ort war mir eigentlich unbekannt und machte meine Anpassung auch nicht einfacher.“ In der Zwischenzeit „hofierte“ man ihm, wie er es selber bezeichnet, ins Teutsch-Haus zu wechseln, wo er schon im Rahmen eines Halbzeitvertrages tätig war. Die ersten Kontakte aber mit dem Archiv der Evangelischen Kirche A.B.  in Rumänien hatte es schon während der Studienzeit gegeben, als er für mehrere Monate vier Stunden pro Woche samstags Bücher in den Registerkatalog eingetragen hatte. So kam es, dass er nach zwei Jahren, 2009, von den Gemeinden Abschied nahm und seine Forschertätigkeit begann. Der Wechsel fiel ihm teilweise leichter als erwartet. „Liegt wahrscheinlich auch daran, dass ich nie so ein starkes Entsendungsbewusstsein gespürt habe. Also, dass ich unbedingt auf die Kanzel muss“, versucht er es sich auch selber zu erklären. „Pfarramt und Theologie. Ich habe irgendwie immer mehr ein stärkeres Interesse für die Theologie als für das Pfarramt empfunden.“ 

Die schon während seiner Schulzeit entflammte Liebe zur Geschichte konnte er hier nun ausleben. Um sich aber fachmännisch entfalten zu können, besuchte er zwei Fortbildungen in Marburg und schloss einen Masterstudiengang im Bereich Wissenschaftliche Dokumentation in Klausenburg ab. András gefiel sein neuer Tätigkeitsbereich und er gibt selber zu, dass die Arbeit im Archiv den Forscher in ihm zum Vorschein gebracht hat. Es war auch eine Zeit der Entwicklung auf persönlicher Ebene. Er lernte seine Frau kennen und er heiratete. 

Dann kam eine weitere Überraschung. „Es war an einem Montag“ erzählt er, man würde es von einem Historiker auch nicht erwarten, dass er einen wichtigen Wochentag vergisst. Er bekam einen Anruf seitens eines Professors seiner Alma Mater in Klausenburg, der ihm einen Platz für ein Doktoratsstudium anbot. András musste nicht überlegen, um zuzusagen: „Einen derartigen Anruf bekommt man nicht zwei Mal im Leben.“ Er promovierte über die Lesestoffe und Lesegepflogenheiten bei den Siebenbürger-Sachsen im 18. Jahrhundert. Sein Promotionsstudium erlaubte ihm, noch tiefer in die Welt der Pfarrer und der Beamten einzusteigen. Die Pfarrerwelt – genauer gesagt, die der eher ignorierten Dorfpfarrer – beschäftigt ihn bis heute. „Es ist ein Versuch, sie irgendwie zu rehabilitieren. Das wirkliche Leben spielte sich dort auf dem Dorf ab und nicht unbedingt zwischen den Mauern der Städte mit ihrem Bürgertum.“  So kann András heute fast aus dem Stegreif sagen, wie viel der Zehnte über die Jahrhunderte in so manchem abgelegenen Dorf war oder wie viele „Indianerhühner“ (Truthähne) bei einer Pfarreinsetzung im Harbachtal aufgetischt wurden.

Seine Forschungsarbeit, seine Vorträge und seine Veröffentlichungen lenkten auch den Blick der Leitung des Evangelischen Theologischen Institutes auf ihn, so dass er 2021 zum Dozenten für Kirchengeschichte berufen wurde. Fragt man ihn, wie er sich selber durch seine Studentenaugen als Professor bewerten würde, lächelt er und erinnert sich, dass für ihn in seiner Studienzeit die Akademiker „irgendwie komische Leute, die in ihrer eigenen Welt lebten“ waren. „Und jetzt bin ich in meiner eigenen Welt. Aber ich werde bezahlt, um zu lesen, was auch wiederum ganz toll ist. Würde mein junges Ich mich als Professor erleben, würde es wahrscheinlich loslachen“. Dass Dr. András Bándi sein Beruf als Professor trotzdem liegt, können die meisten seiner Studenten sicherlich bestätigen. Trotzdem bleibt seine große Liebe der Archivarbeit, dem direkten Kontakt mit den Quellen aus der und über die Geschichte, gewidmet. Seine Beziehung zu den archivarischen Quellen und Funde beschreibt er, natürlich  mit der bekannten Selbstironie, durch eine Parallele zu „Herr der Ringe“. „Ich bin wie Gollum mit seinem Ring, wenn ich ein Dokument in der Hand habe und auf etwas Unerwartetes stoße, könnte ich fast wie Gollum ´my precious´ sagen und es liebkosen.“  

Seine ruhige Art, seine etwas getragene Redeweise und sein Humor bedienen jedes Klischee, welches es über Siebenbürgen gibt. Und András Bándi ist seelisch durch und durch mit Siebenbürgen und Hermannstadt verbunden. Er versteht sich als Hermannstädter und Adoptiv-Sachse. „Für die Ungarn bin ich ja ein ‚Verräter‘, weil ich ja übergetreten bin. Für die Rumänen bin ich nicht wirklich definierbar. Aber in Hermannstadt, wo es nicht unüblich ist, dass sich zwei gebürtige Rumänen auf der Straße auf Deutsch unterhalten, fühl ich mich wie der Fisch im Wasser.“ Diese Verbundenheit zur deutschsprachigen siebenbürgischen Kultur kann man auch seiner Familie entnehmen. Hier geht es auch multikonfessionell zu. Der Ehemann ungarisch-reformiert von seinen Wurzeln her, die Gattin rumänisch-orthodox und die Kinder… die Kinder sind evangelisch und sprechen Deutsch. „So haben wir wahrscheinlich einen ungarisch-rumänischen Konflikt auf Familienebene vermieden“ erklärt er und fährt in gleicher Weise fort: „Meiner Frau habe ich erklärt: schau mal wie wenige die Evangelischen geworden sind. Komm, wir stärken ihre Reihen und machen die Kinder evangelisch.“ Den wertvollsten Beitrag zur Stärkung und Entwicklung der deutschsprachigen Gemeinde und Kultur in Siebenbürgen leistet Dr. András Bándi aber weiterhin als Forscher, Kirchenhistoriker und Professor.