Im Jahr der Bibel: 3. Zum rechten Umgang mit der Heiligen Schrift

Die Bibel ist das Heiligste, was wir von Gott in einer für alle Menschen begreifbaren und überprüfbaren Weise haben; alle Sakramente und Heiligtümer, die es in der Kirche gibt – Menschen, Gegenstände, Handlungen, Orte und Zeiten –,  gründen und wachsen auf den Weisungen der Bibel oder lassen sich darauf zurückführen. In den lebendigen und lebensspendenden Worten der Bibel ist Gott bei den Menschen und deshalb ist es für das Glaubensleben eines jeden Christen ausschlaggebend, welchen Stellenwert die Kirchenleitung der Schrift beimisst, denn letzten Endes werden davon Natur und Charakter der Gemeinschaft der Heiligen bestimmt.

Von Anfang an hat Gott die Schrift den Priestern wie auch den Königen und Anführern des Volkes zur Lektüre und Befolgung anbefohlen. Jesus weist seine Gesprächspartner immer wieder an die Schrift: Was liest du in der Schrift? Was sagt die Schrift? Sucht in den Schriften! usw. Der Apostel Paulus gibt Timotheus den Rat, das Evangelium treuen Menschen anzuvertrauen, die fähig seien, auch andere zu lehren, und von sich selbst sagt er, er würde als Diener Jesu Christi unter den Heiden das Evangelium Gottes priesterlich ausrichten. Priester sein aber bedeutet, Ehrfurcht vor dem Heiligen haben und etwas priesterlich verwalten, heißt, es unverändert beibehalten und unverfälscht weitergeben.

Sind alle Lehrer? Können alle auslegen? Mit Sicherheit nicht! Aber zu Priestern des Wortes, im Sinne von Tätern und Haushaltern, können alle werden, die Gott fürchten und lieben, die nach der ewigen Seligkeit trachten. Der heilige Paulus ist uns in dieser Hinsicht ein gutes Vorbild, denn er war sowohl mit der hebräischen Fassung des Alten Testamentes vertraut als auch mit der griechischen Übersetzung, der Septuaginta.

Er kannte bestimmt auch die Abweichungen, die durch Übertragung in die andere Sprache aufgetreten waren, doch er hat sich keinen Augenblick damit aufgehalten, unterschiedliche Formulierungen zu meditieren oder abzuwägen, sondern war ganz darauf aus, das Vernommene in die Praxis umzusetzen.
Leuchtende Vorbilder priesterlichen Waltens sind neben den vielen Heiligen, die in die Nachfolge Christi getreten sind, auch die langen Reihen von Kopisten, die unermüdlich und mit großer Sorgfalt die heiligen Texte immer wieder abgeschrieben haben, sodass sie unverfälscht bis zu uns gelangt sind.

Die Tatsache, dass sie aus großer Ehrfurcht manchmal auch Fehler getreu abgeschrieben und weitergegeben haben, hat dem Evangelium Christi, wenn überhaupt, dann bestimmt nur einen Bruchteil von dem Schaden zugefügt, der ihm heute durch sachlich begründete Textkorrekturen und -säuberungen sowie immer getreuere, gerechtere und verständlichere Übersetzungen entsteht.

Weil Gottes Gedanken nicht unsere Gedanken sind und seine Wege nicht unsere Wege, darum dürfen wir unsere Vernunft auch nicht zur Richtschnur für die Beurteilung der Heiligen Schrift machen in dem Sinne, dass alles darin vom theologischen Schreibtisch aus verständlich, schlüssig und erklärbar zu sein habe. Wer Gottes Gedanken nachdenken will und auf seinen Wegen wandeln will, der muss sich selbst verleugnen, muss seine ganze Gelehrsamkeit vergessen, muss von allem Eigenen lassen, muss von neuem Schüler werden und neue Schätze sammeln. Wer das nicht tut, wird in der Bibel immer nur Menschenworte und nie Gottes Worte finden, wie er auch nie Christus, des lebendigen Gottes Sohn, begegnen wird sondern immer nur dem Sohn des Zimmermanns.

Zum Abschluss sei noch einmal gesagt: Die Bibel ist Gottes geheimnisvolle Gegenwart bei den Menschen: Er offenbart sich darin als Person, als Herr, als Retter und Erlöser. Wer täglichen Umgang mit ihr pflegt, der wird sie lieben, dem wird sie zu Gottes Kraft und Gottes Weisheit, zum väterlich strengen Ratgeber und zur mütterlich weisen Freundin zugleich. Von dem, was wir nur verschwommen ahnen, redet die Bibel klar und deutlich, unsere Zweifel wandelt sie in feste Zuversicht und unsere tastenden Bewegungen in sichere Tritte.