In Rumänien hält man nicht zusammen

Internationale Vergleichsstudie zur Lage des Gemeinsinns

Symbolgrafik: sxc.hu

Für den Nachbarn mit den Knieproblemen einkaufen gehen, den Kindern von den Nachbarn bei den Hausaufgaben helfen, in der Leih-Bücherei der Stadt aushelfen und sich dabei freuen, in so einem schönen und gerechten Land zu leben: Das trifft in Rumänien wohl leider auf die wenigsten Bürger zu. Um den Zusammenhalt der Nation scheint es schlecht bestellt, so belegt es eine umfangreich angelegte Vergleichsstudie zur Lage des Gemeinsinns in 34 Industriestaaten  (www.gesellschaftlicher-zusammenhalt.de).

„Radar gesellschaftlicher Zusammenhalt“ untersuchte 34 Länder

Am 16. Juli stellte die Bertelsmann Stiftung den „Radar gesellschaftlichen Zusammenhalts“ vor. Wissenschaftler der privaten Jacobs University Bremen haben dazu unter der Leitung von Klaus Boehnke und Jan Delhey Daten aus zwölf internationalen Umfragen, Erhebungen und anderen Datensätzen bezogen und dazu die Ergebnisse seit 1989  zusammengefasst und daraus ihren Index errechnet, der den gesellschaftlichen Zusammenhalt im internationalen Vergleich anzeigt. Untersucht wurden dabei die 27 Mitgliedstaaten der Europäischen Union sowie sieben weitere westliche Industrienationen (Australien, Kanada, Neuseeland, Norwegen, die Schweiz, die USA und Israel). Im Vergleich mit den anderen untersuchten Nationen belegt Rumänien den letzten Platz. Ebenfalls in der Schlussgruppe sind Griechenland, Bulgarien, Lettland und Litauen. Am besten schneiden die nordischen Länder ab. Dabei ist Dänemark Spitzenreiter, hier ist der gesellschaftliche Zusammenhalt am stärksten. Danach folgen die Einwanderungsländer Neuseeland, Australien, Kanada und die USA.

Diese Studie soll zur gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Debatte über den gesellschaftlichen Zusammenhalt, seine Ursachen und seine Folgen mit empirischen Grundlagen anregen und diese unterstützen. Gesellschaftlicher Zusammenhalt, definiert als die Qualität des gemeinschaftlichen Miteinanders, beinhaltet dabei drei Bereiche – soziale Beziehungen, Verbundenheit und Gemeinwohlorientierung – die sich jeweils aus drei messbaren Dimensionen zusammensetzen: soziale Netze, Vertrauen in Mitmenschen, Akzeptanz von Diversität, Identifikation, Vertrauen in Institutionen, Gerechtigkeitsempfinden, Solidarität und Hilfsbereitschaft, Anerkennung sozialer Regeln sowie gesellschaftliche Teilhabe.

Die Bremer Forscher bezwecken in ihrer Studie, die „Qualität des solidarischen Miteinanders in einem territorial abgegrenzten Gemeinwesen“ zu erfassen. Die Wissenschaftler wollen herausfinden, wie die Menschen mit Freunden oder anderen Menschen vernetzt sind, in welchem Maß sie ihren Mitmenschen vertrauen, wie bereitwillig sie unterschiedliche Menschen und deren Lebensstile in ihrem Umfeld akzeptieren. Eben diese Toleranz zählt für die Forscher zu den grundlegenden Faktoren, die eine moderne Gesellschaft zusammenhalten. „Moderne Gesellschaften beruhen nicht auf Solidarität, die aus Ähnlichkeit erwächst, sondern auf Solidarität, die auf Verschiedenheit und gegenseitiger Abhängigkeit fußt“, erklärt der Programmleiter der Bertelsmann Stiftung, Stephan Vopel.

Hohe Toleranz  für Randgruppen in Rumänien

Im Fall Rumänien herrscht eigentlich eine hohe Akzeptanz für gesellschaftliche Diversität, in den letzten Jahren ist ein positiver Trend zu verzeichnen. Hier erzielt Rumänien ein sehr positives Ergebnis und liegt im oberen Mittelfeld. Besser als etwa in Israel, Frankreich, Österreich oder Deutschland, wo man nur wenig Toleranz für Randgruppen übrig hat. Aber Akzeptanz allein reicht nicht für ein zufriedenes Miteinander. Um die sozialen Beziehungen in Rumänien ist es laut Studie schlecht bestellt. Man scheint seinen Mitmenschen im Allgemeinen nur wenig Vertrauen zu schenken, auch soziale Netze sind nur sehr schwach ausgeprägt.
Auch die Verbundenheit mit dem Land scheint in Rumänien kaum noch vorhanden. Nur noch wenige Rumänen identifizieren sich mit ihrer Nation, hier zeigen die Werte der Studie, dass Rumänien seit 2008 von der Mittelgruppe ins untere Mittelfeld gerutscht ist. Seit 1996 hat auch das Vertrauen in die Institutionen abgenommen, Rumänien zählt auch zur Schlussgruppe. Ebenfalls empfinden Rumäniens Einwohner ihre Gesellschaft als ungerecht, hierbei liegt Rumänien konstant hinten.
Negativ hat sich die Gemeinwohlorientierung verändert. Seit 2003 sind Rumäniens Werte von Solidarität und Hilfsbereitschaft von der Mittelgruppe in die Schlussgruppe gewandert. Auch bei der Anerkennung sozialer Regeln und der gesellschaftlichen Teilhabe bildet das Land das Schlusslicht im internationalen Vergleich.

Wohlstand begünstigt den gesellschaftlichen Zusammenhalt

Reichtum und eine gleichmäßige Verteilung des Einkommens scheinen den Zusammenhalt in Gesellschaften zu begünstigen. Wohlhabende Staaten liegen in der Studie klar vorne. Als Bedrohung für den sozialen Zusammenhalt können hingegen die Wirtschafts- und Finanzkrise, die Globalisierung, wachsende Ungleichheit, Einwanderung und eine wachsende kulturelle und ethnische Diversität zählen. Mit diesen Herausforderungen muss richtig umgegangen werden, um den sozialen Zusammenhalt nicht zu schwächen, sondern zu stärken.

Die Bewohner, die in Ländern wohnen, wo auch der Gemeinsinn stark ausgeprägt ist, bewerten ihr Lebensgefühl als sehr positiv. Deshalb schlussfolgern die Bremer Wissenschaftler: „Zusammenhalt ist Glück“. Mit einer Generallösung für die Politik, wie man den Zusammenhalt in den verschiedenen Ländern verstärkt und so das Miteinander verbessert, kann aber auch die Studie der Bertelsmann Stiftung nicht aufwarten. Die Forscher schlagen jedoch vor, an den einzelnen Schwachpunkten der Länder zu arbeiten. Wobei Rumänien dabei eine ganze Bandbreite an Ansatzmöglichkeiten hat. Aber für ein gutes Miteinander kann auch jeder Einzelne etwas beitragen, um die Gesellschaft, in der wir leben, ein bisschen besser zu machen. Auf einen Beschluss von oben zu warten, damit sich das soziale Miteinander verbessert, ist hier wohl der falsche Weg.