Insel der Nächstenliebe und Nachhaltigkeit

Im Diakoniehof Schellenberg gehen ökologischer Gartenbau und Lebenshilfe Hand in Hand

Verkaufsstand im Forumshaus | Fotos: George Dumitriu

Idyllisch: Kirche, Pfarrhaus, Blumengarten...

Die Schafe sorgen für Dünger im Bio-Garten

Annemarie Fazakas erzählt.

Die Quitten warten schon darauf, geerntet zu werden.

Freundlich helle schlichte Räume – und kein Fernseher

Inmitten der Stände des Wohltätigkeitsbasars im Hermannstädter Forumshaus sprang die kleine „grüne Insel“ sofort ins Auge: zwischen den Handarbeiten der älteren Damen, Spielzeug und Second-Hand-Klamotten thronten auf einem der Tische Körbe mit frischem Grünzeug, leuchtend gelben Kürbissen, roten Rüben und Stapel aus liebevoll etikettierten Gläschen und Fläschchen. Hagebutten-, Quitten- und Holundermarmelade, Mirabellen-, Birnen- und Traubenschnaps - alles „bio“ und aus Eigenproduktion, schwärmt Iuliana Ghirastău und erzählt sogleich begeistert von dem Projekt in Schellenberg/Șelimbar. „Und das sind zwei unserer Schützlinge“, stellt sie einen Jungen und dessen Mutter vor, die mit ihr am Verkaufsstand stehen. Und auf einmal wird mir wieder einmal bewusst: Nicht wir finden die Themen, sondern die Themen finden uns... Und dieses hier will – nein, muss – unbedingt erzählt werden! Weil es einem in Zeiten wie diesen einen wohligen Schauer der Wärme über den Rücken jagt – und Hoffnung macht. 

Diakoniehof Schellenberg, so nennt sich das Projekt. Und gleich wieder ein Zufall: Auf dem Großen Ring läuft mir fünf Minuten später Stadtpfarrer Kilian Dörr über den Weg. Beide sind wir eigentlich in anderer „Mission“ unterwegs, doch Zeit für ein Gespräch muss sein. Immerhin ist der Diakoniehof ein Projekt seiner Evangelischen Kirchgemeinde. Eigentlich gibt es zwei getrennte Projekte, hebt er an, eins im Pfarrhaus Hammersdorf/Gușterița für Umwelt und Bildung und eins in Schellenberg für Sozialtätigkeiten, doch fließen sie an letzterem Ort dank dem günstigem Umstand, dass sich auch die Sozialarbeiterinnen für ökologischen Gartenbau begeistern, zusammen. So wird der Garten zur Therapie und Lebenshilfe-Insel für sozial Gestrandete aus der Gemeinde, die im Komplex aus Pfarrhaus und Kirche in sieben betreuten Wohneinheiten Unterschlupf finden und bei der Arbeitssuche, Behördengängen oder Arztbesuchen unterstützt werden, um bald wieder auf die Füße zu fallen. „Im Schnitt bleiben unsere Schützlinge zwei Jahre“, erzählt der Pfarrer. In dieser Zeit arbeiten sie in Haus und Garten mit, lernen, wie man sät, pflanzt oder Tiere pflegt „und dass man sich mit seiner Hände Arbeit ein Frühstück oder die Kartoffeln auf den Tisch bringen kann“. Aber auch, dass man dafür früh aufstehen und einen geregelten Alltag führen muss. Häufig sind es Roma-Frauen, Minderjährige mit Kindern oder Opfer von häuslicher Gewalt, die das Angebot wahrnehmen. Aber auch andere Schicksale führen auf den Diakoniehof. „Einmal hatten wir eine krebskranke Schauspielerin“, illustriert Kilian Dörr. „Die starb nicht und musste raus aus dem Hospiz. Bei uns hat sie dann noch ein Jahr gelebt“. Ein anderes Mal waren es zwei sächsische Alkoholiker, die ihr Hab und Gut versoffen hatten. Seit 2009 wurden hier 70 bis 80 Schützlinge betreut, erzählt später vor Ort Sozialarbeiterin Annemarie Fazakas, eine der elf Voll- oder Teilzeitkräfte des Hauses.

Projekte mit vielen Synergieeffekten

Hauptanliegen des Sozialprojektes „Betreutes Wohnen“ sind Aufklärung der Schützlinge über ihre Rechte, Vermittlung von Hilfsangeboten, Abbau von Ängsten vor staatlichen Institutionen, Erwerb von Kompetenzen und Bewältigungsstrategien, Entwicklung von realistischen Vorstellungen zur Wiederintegration sowie das Einüben eines geregelten Tagesablaufs, „was für viele nicht selbstverständlich ist“, ergänzt Dörr. Manchmal ist Begleitung zu Behörden oder bei Arztgängen nötig: „Da machen wir dann die Rassismuserfahrung, dass Roma manchmal sonst nicht behandelt werden – und das ist schon hart!“

Dann gibt es ein Tageszentrum „Offenes Haus“ das von rund 30 Kindern aus schwierigen Verhältnissen besucht wird. Sie erhalten dort ein warmes Mittagessen, können duschen, Wäsche waschen, unter Betreuung Hausaufgaben machen, spielen, basteln, malen und an Gemeinschaftsaktivitäten teilnehmen.

Das Projekt „Essen auf Rädern“ beliefert 30 bis 40 alte oder kranke Menschen in ganz Hermannstadt aus der Kantine des Landeskirchenkonsistoriums. „Mit Elektroautos, die an Solar-stationen aufgeladen werden, alles ökologisch“, schwärmt der Pfarrer.

Auch der Garten wird seit 2009 ökologisch bewirtschaftet. Für den Dünger sorgen die Schafe. Gegossen wird mit Regenwasser, das in 30 Kubikmeter großen Tanks unterirdisch gesammelt wird. Das selbstgezogene Bio-Obst und -Gemüse dürfen die Bewohner auch verwenden, der Überschuss wird in der Gemeinde verkauft. „Es gibt Whatsapp-Gruppen zum Bestellen“, erklärt Kilian Dörr. Selbst einen Blumengarten gibt es im Diakoniehof: für den Altar der Hermannstädter Stadtpfarrkirche. „Denn wir wollen keine gezüchteten Blumen aus Holland oder Afrika“, motiviert der Pfarrer. Statt dessen gibt es bunte Gestecke aus Sonnenblumen oder Zinnien – was eben gerade Saison hat.

Die Infrastruktur des Diakoniehofs soll möglichst umfassend genutzt werden, die Aktivitäten sich synergetisch ergänzen. Im Zentrum steht das großzügige, 2016 mithilfe von Johannitern aus der Schweiz renovierte Pfarrhaus mit Unterkünften, Wirtschafts- und Gemeinschaftsräumen. In der evangelischen Kirche aus dem 13. Jahrhundert bieten Freiwillige für Touristen Führungen an, im derzeit ungenutzten mittelalterlichen Kirchhof soll ein kleines Touristencafe entstehen. Zur Straße hinaus verfügt der Bio-Hof über einen Laden für den Verkauf. Außerdem soll ein Seminarzentrum entstehen, in dem sich Vereine oder Unternehmen zum Teambuilding treffen können. „Dass das geht, haben wir auch schon ausprobiert“, verweist Dörr auf den Tagungsraum für 20 Leute und eine Infrastruktur, wo man auch kochen, essen und verschiedenen Aktivitäten nachgehen kann. „Einmal hatten wir einen runden Tisch, wo wir aus Vereinen und Stadtverwaltung alle eingeladen haben, die mit Roma arbeiten“, erzählt er. Ein anderes Mal hatten sich die Pfarrer zum Austausch getroffen. 

Auch Bildung und Volontariat sind wichtige Themen am Diakoniehof. Dörrs Ehefrau Elfriede, ebenfalls Pfarrerin, hat ein Konzept für die alternativen Schülerbildungsprojekte „săptămână altfel“ und „ săptămână verde“, entwickelt, bei denen Gruppen verschiedenen Aktivitäten im Garten nachgehen und dabei lernen. „Die eine macht vielleicht Kompost und zählt Regenwürmer, die andere sammelt Schnecken ein, veranstaltet Schneckenrennen oder jätet den Garten…“. Freiwillige Helfer hierfür finden sich in der Gemeinde, unter den eigenen Schützlingen oder aus Deutschland und der Schweiz. 

Nistkästchen, Insektenhotel und jede Menge Pläne

Auf der Rückfahrt von unserem eigentlichen Dienstgeschäft in Hermannstadt halten wir in Schellenberg. Iuliana Ghirastău führt begeistert durch Haus und Garten. Der Hausmeister zeigt die Ställe, Scheunen und Gerätschaften zum Zweige Hächseln und Mähen. Ansonsten ist hier Handarbeit angesagt: Steine klauben, jäten, pflanzen, ernten. Mit den eigenen Schützlingen, den Kindern des offenen Hauses und ihren Eltern oder Freiwilligen, die sich dann auch zum Mosten aus den hauseigenen Trauben, zum Kürbisse Schnitzen für das Martinsfest oder zum weihnachtlichen Lebkuchen Backen treffen. Auch Ehemalige schauen immer wieder gern vorbei, schwärmt Iuliana, die auf dem Weg durch den Garten mal hier, mal dort auf Kuriositäten zeigt: Nistkästchen für Wildvögel, ein Schrank, der zum Insektenhotel ausgebaut werden soll, Solarzellen auf dem Scheunendach, „wir sind fast unabhängig von Strom“, der Kräutergarten, der Salbei, Melisse, Kamille für köstliche Tees liefert… Und plaudert aus dem Nähkästchen: Von der Eselin, die sich mit den Schafen nicht vertrug und leider weggegeben werden musste. Von den Enten, angeschafft zum Vernichten der Schnecken. Von den Hausregeln: die Kinder müssen um 22 Uhr ins Bett, kein nächtlicher Ausgang ohne Abmeldung, keine unangemeldeten Besuche (auch zum Schutz), kein Fernseher. Dafür Katzen, Hühner, Truthähne, Schafe, Wiesen zum Herumtollen. Geborgenheit und kontrolliertes Abenteuer. Ein Kind, gerade von der Schule gekommen, springt freudig in ihre Arme. Die junge Frau, die mit ihr am Stand im Forumshaus verkaufte, macht sich mit dem Besen zu schaffen. Es gibt Erfolgsgeschichten, weiß Iuliana zu berichten. Menschen, die Arbeit finden oder die Schule abschließen – und immer wieder auch als Volontäre  noch mitmachen. 

Und es gibt jede Menge Pläne: Die Scheune soll renoviert werden, „damit wir da auch selber kochen können, in Bio-Qualität, für das Projekt Essen auf Rädern“, verrät Pfarrer Dörr. Ein großer Tagungsraum soll dort entstehen und mit Partnern aus dem Ausland will manaußerdem Werkstätten für Behinderte einrichten. 

Die Insel, die die am Leben Gestrandeten auffängt, ist auch eine Insel der Hoffnung. Und ein Kontinent an Nächstenliebe!