„Jeder Tod ist ein Tor“

Performative Installation über Verlust und Trauerbewältigung

„Jeder Tod ist ein Tor“– acht Performances in Temeswar, vom 31. August bis 5. September

Mit den Objekten aus dem Haus ihrer Mutter hat Rucsandra Pop Collagen gestaltet, die Teil der Installation geworden sind. | Fotos: fragile-society.org

Die Teilnehmer werden eingeladen, mit den Objekten im Raum das Bild von sich selbst zu gestalten, so wie sie sich in der Zukunft sehen. Hier das Bild einer Frau aus Kronstadt.

Ein langer Tisch mit schwarzem Samt darauf steht leer. Auf dem Tisch befindet sich ein Schüsselchen mit gesalzenen Erdnüssen, eines mit Äpfeln und ein Teller mit Kuchenstücken. Auch ein rundes Tablett mit Muster steht dort, darauf eine eckige Schnapsflasche und eine mit Cognac, dazu kleine Gläser. Auf einem großen Bildschirm im gleichen Raum spielt ein Video, das zeigt, wie jemand in einem Haus Kaffeetässchen, altes Geschirr, gehäkelte Untersetzer, Schwarzweiß-Fotos in Kartons räumt. An den Tisch mit schwarzem Samt setzen sich Menschen. Manche trinken einen Schluck Schnaps, andere schauen zum Bildschirm, die meisten aber schweigen. Jemand setzt die Sonnenbrille auf, auf dem Gesicht glänzen Tränen. Hier wird gerade der Rahmen geschaffen, der an einen Leichenschmaus denken lässt.

Die Kronstädter Künstlerin und Anthropologin Rucsandra Pop hat zum Thema Tod und Verarbeitung des Verlustes und der Trauer eine Installation geschaffen, an der man in Bukarest und Kronstadt/Brașov teilnehmen konnte. Ab Samstag, dem 31. August, sind nun auch die Temeswarer eingeladen, im Faber-Kulturzentrum in der Uferstraße Peneș Curcanul 4 – 5 gemeinsam und unter Begleitung einer Psychologin über diese schweren Themen nachzudenken und mit Sanftmut, Verständnis und Empathie für die überwältigenden Emotionen zu sprechen. „Jeder Tod ist ein Tor“ (Originaltitel: Orice moarte e o poartă), lädt die Teilnehmer dazu ein, den Tod als Teil unserer Existenz zu akzeptieren und in ihm den Sinn des Lebens zu suchen. Bis Donnerstag, dem 5. September, gibt es acht Performances, an denen man kostenlos teilnehmen kann.

Ein sicherer Rahmen

Covid-19 hat Rucsandra Pop mehrere Menschen geraubt, darunter auch die Mutter. Den Trauerprozess musste sie hauptsächlich al-leine bewältigen, Verwandte und Freunde durften während der Pandemie nur online bei der Totenwache, der Bestattung und dem Leichenschmaus dabei sein. Die schmerzvolle Erfahrung hat sie mitgenommen und zu diesem Projekt bewogen. Die Wahl-Bukaresterin hat mittels der Kunst einen sicheren Raum geschaffen, wo Leute zusammenkommen, an ihre Verstorbenen denken und über die eigenen Gefühle und Bedürfnisse im Bezug auf den Abschied sprechen. Das Sprechen sei essentiell und sehr hilfreich. „Wenn man versteht, dass man nicht alleine ist vor einem persönlichen Drama, empfindet man Trost.“

Neue Zeiten, neue Rituale

Auch will Pop durch ihre künstlerische Arbeit versuchen, die Abschieds- und Trauerrituale, die sich in den letzten Jahren teils stark geändert haben, den Zeiten anzupassen und ausgehend von den traditionellen oder religiösen Ritualen und Bräuchen diese eventuell neu zu erfinden. Jeder kann für sich bestimmen, was einem gut tut, was seelische Hilfe bringt. „Die bewusste Verarbeitung des Schmerzes und des Verlustes spielen eine essentielle Rolle im Heilungsprozess”, erklärt die Anthropologin.

Erinnerung an der Wäscheleine

Bei den acht Installationen in Temeswar finden Interessenten einen sicheren Raum, in dem verschiedene Situationen geschaffen werden, die beispielsweise an Trennungsrituale erinnern. Menschen sitzen am langen Tisch mit dem schwarzen Samt und lesen Gedichte zeitgenössischer Poeten über den Abschied. Im geschaffenen Kontext werden Erinnerungen wach – vielleicht werden sie von einem Wort ausgelöst, vom Geruch einer erloschenen Kerze, von einem Geräusch oder vom Anblick einer Fotografie, einer Collage, einer Textur. In dieser Installation werden alle Sinne angesprochen. 

Auch die an Leinen wie zum Trocknen aufgehängten alten Kleidungsstücke können einen berühren. Die meisten haben Pops Vorfahren gehört. Zwischen den Hosen, Röcken und Blusen befindet sich die Künstlerin, die ein schwarzes Sakko ihres Großvaters trägt. Sie liest langsam vor, betont jedes Wort: „Komm essen, es wird kalt, Feldblumen, Eclair mit Schokoglasur, Kürbis, passiv-aggressive Einstellung, Gewalt, Stolz, endlose Predigten über wer-weiß-was, das Notenheft wird überprüft, Demut, du sollst dich schämen, du sollst dich schämen, du sollst dich schämen… der Geruch der Fa-Seife“. Manche, die das Alter von 40 überschritten haben, finden sich beim Anhören einiger dieser Worte wieder. Sonderbare Töne lassen die hervorgehobenen Erinnerungen stärker wirken. „An einem Abend sind die Anwesenden ihren Emotionen nachgegangen und haben geweint. Wir haben mitgeweint und es war befreiend“, erklärt Pop. 

All diese Gegenstände, wie auch kleine Porzellantassen, alte Füller, Perlen oder chinesische Spitze, die Teil der Installation sind, helfen Pop, die Leere, die der Verlust hinterlassen hat, zu füllen. Diese Objekte, die im Haus ihrer Mutter standen und die sie wegräumen musste, archivieren die Erinnerung der Trennung, „eine private und dennoch universelle Emotion“.

Kollektives Projekt

Viele der Worte, Sätze und Objekte in der Installation kommen auch von den Teilnehmern. Sie wurden eingeladen, mitzuwirken, weil „Jeder Tod ist ein Tor” als kollektives und lebendiges Projekt gedacht ist. Ein Projekt, in dem man sich als Gemeinschaft unterstützt. „In Bukarest hat die Gemeinschaft einen Teil des Projekts finanziert, in Kronstadt haben wir die Coliv˛ bei Freunden zu Hause vorbereitet und Bekannte haben Blumentöpfe für eine Performance gespendet. Es geht um das Zusammensein!“, erklärt sie.

Rucsandra Pop und Iuliana Dumitru, Anthropologin und Kuratorin der Installation, wünschen sich, dass Künstler, Anthropologen oder Psychologen in verschiedenen Gemeinden des Landes das Projekt aufnehmen, es lokal anpassen und durchführen. „Wir leisten eine Art Gemeinschaftsarbeit und finden es nützlich, dass diese auch in anderen Ortschaften übernommen wird”. Sie selbst wollen nicht in Gemeinden gehen, die sie nicht kennen, zumal der Tod eine universelle, gleichzeitig aber sehr intime Erfahrung ist und die Rituale und Bräuche sich in jeder Gemeinde voneinander unterscheiden. Daher sollte jede Gemeinde für sich selbst entscheiden, was auf lokaler Ebene die Leute anspricht. Die Performances, die sie bislang durchgeführt haben waren an die Stadt angepasst. Von der Wortwahl, der Tätigkeiten, die durchgeführt werden bis hin zum Essen, das serviert wurde. 

Der Tod ist nichts Erschreckendes

„In der Familie und Gesellschaft spricht man nicht über den Tod. Dabei ist es eine wichtige Diskussion auf persönlicher, gemeinschaftlicher wie auch sozialer Ebene. Es sei „sehr wichtig, dass es nicht als erschreckend angesehen wird“, unterstreicht Rucsandra Pop. Nicht das Verdrängen, sondern das Teilen der Angstgefühle und des Schmerzes führen zu Trost und Heilung der Wunden, die der Abschied verursacht. Sie selbst denkt täglich an den Tod, an den eigenen und an den der anderen, und versucht, ihn zu akzeptieren. „Man braucht keine Angst vor dem Tod zu haben, es ist etwas, das seit Millionen Jahren passiert”. 

Die Installation gilt auch als Einladung, das Leben mehr zu genießen und sich an jedem Augenblick zu erfreuen. „Ich habe den Tod mit eigenen Augen gesehen, bin aber am Leben geblieben. Seit ich ´wieder lebe´, sehe ich das Leben mit anderen Augen, bin sehr dankbar für all das Schöne im Leben”, gesteht eine Frau in Kronstadt, die bei einer der Performances anwesend war. „Jeder Tod ist ein Tor. Traust du dich, es zu öffnen?“ fragt Pop.

Die Performances in Temeswar finden am Samstag, dem 31. August und Sonntag, dem 1. September, um 17 und 19 Uhr statt, jene von Montag, dem 2. September bis Donnerstag, dem 5. September sind für 19 Uhr geplant. Die Teilnahme ist kostenlos, erfordert allerdings eine Einschreibung auf der Internetseite des Veranstalters, fragile-society.org oder auf der Facebookseite „Orice moarte e o poartă: Cutia de rezonanță // TM”.