Karriere im Großkonzern oder Freiberufler

Was kostet die berufliche Freiheit – und was die berufliche Sicherheit?

Freiberufler Răzvan B.: „Es ist eine bürokratische Hölle für mich. Ich habe Kunst studiert und nicht Wirtschaft.” Aber: „Unabhängig vom Ergebnis steht mein Name drunter. Ich hab es gemacht – und nicht Firma X oder Firma Y.” | Symbolbild: Per Lööv

Im Home Office fragt Raluca T. niemand danach, wann sie mit der Arbeit anfängt und wann sie damit aufhört. Die Zahl der Sitzungen haben sich aber gehäuft. „Ständig finden Meetings über Zoom statt. Ich glaube, es ist eine Form von Kontrolle.” | Symbolbild: Peter Olexa

Ist finanzielle Sicherheit es wert, dass man dafür auf bestimmte Freiheiten verzichtet? Oder schlägt man lieber den eigenen Weg ein und nimmt das Risiko in Kauf, beruflich zu scheitern? Diese Frage beschäftigt zunehmend junge Menschen, die inzwischen mehr vom Leben wollen, als bloß Geld oder eine 30- bis 40-jährige Karriere in einem Unternehmen. 

Răzvan B. (30) hat Kunst studiert und arbeitet als Grafiker für jeden, der ihn anheuert. Sein letzter Kunde: eine kleine Firma in Spanien. Er sollte für sie ein neues Logo und einen Produktkatalog erstellen. Über Linked-In entstand der Kontakt mit dem spanischen Start-Up. Zwei Wochen lang arbeitete er mit der Firma zusammen, tauschte sich regelmäßig mit einer jungen Frau aus, die angeblich die Marketingspezialistin des Unternehmens sei, und dann Funkstille. „Ich hatte noch zwei Vorschläge eingereicht”, erklärt Răzvan. „Sie per WhatsApp an sie geschickt. Zurück kam eine kurze Antwort und dann hörte ich nichts mehr von ihnen.” 

In dieser Lage war Răzvan oft, besonders in den ersten Jahren nach seinem Abschluss. „Manchmal ist die Arbeit mit ausländischen Unternehmen ein Risiko, besonders, wenn man selbstständig ist.” 

Für ihn ist es dann nicht nur vergeudete Zeit, sondern auch ein finanzieller Verlust. Hätte er nicht weitere zuverlässige Kunden, die ihn pünktlich bezahlen und ihn fair behandeln, könnte er kaum über die Runden kommen. 

Raluca T. (28) kennt diese Probleme nicht. Sie arbeitet inzwischen seit drei Jahren für einen deutschen Großkonzern. Unbezahlte Rechnungen kennt sie nicht. Finanziell geht es ihr gut. Das einzige, was ihr früher fehlte, war Zeit. Vor der Pandemie arbeitete Raluca von 9 Uhr bis 18 Uhr. „Hinzu kommen die Fahrstunden. Ich war selten vor 19 Uhr Zuhause”, erklärt sie. Seit dem Frühjahr 2020 hat sich die Situation drastisch geändert. „Ich bin jetzt seit über einem Jahr im Homeoffice.” 

Anfangs war es für sie besser: flexiblere Arbeitszeiten, nicht mehr Frühaufstehen, keine stressigen Fahrten ins Büro. Inzwischen aber arbeitet Raluca mehr als früher. „Oft erwische ich mich dabei, dass ich noch am späten Abend oder sogar in der Nacht Kollegen auf E-Mails antworte.” 

Lange Nächte kennt auch Răzvan nur zu gut. An manchen Projekten arbeitete er 16 bis 18 Stunden am Tag. „Es hat aber auch etwas mit der Art und Weise zu tun, wie kreative Menschen arbeiten”, scherzt er. Meistens sind es die letzten Tage vor dem Abgabetermin, in denen er Überstunden einlegt. Jedoch steigen mit der wachsenden Anzahl an Aufträgen auch die Zahl der Abgabetermine. „Dann legt man fast schon täglich Überstunden ein.” 

Überstunden wurden von Raluca selten verlangt. „Ich hatte vielleicht zwei größere Projekte. Wenn, dann war es eine freiwillige Entscheidung.” Im Homeoffice fragt sie niemand danach, wann sie mit der Arbeit anfängt und wann sie damit aufhört. Die Zahl der Sitzungen haben sich aber gehäuft. „Ständig finden Meetings über Zoom statt. Inzwischen habe ich den Eindruck, dass man sich über alles austauscht”, sagt Raluca. „Ich glaube, es ist eine Form von Kontrolle. Man möchte sichergehen, dass man als Angestellter nicht vergisst, dass man bei der Arbeit ist und Pflichten hat, selbst wenn das Büro inzwischen die gemütliche Couch im eigenen Wohnzimmer ist und im Hintergrund Netflix läuft.” 

Finanziell sicher

Raluca hat Marketing studiert und arbeitet für die internen Kommunikationsplattformen eines Unternehmens mit weltweit fast 30.000 Mitarbeitern. „Ich fühle mich irgendwie sicher”,erklärt sie. „Ich mache mir um meinen Job keine Sorgen.” Eine Personalabteilung schultert die Anforderungen, die der Staat an Raluca stellt. Răzvan, der als „Persoană Fizică Autorizată“ (PFA), also als eine Art Einzelunternehmen eingetragen ist, muss sich selber um die Buchführung kümmern. Neben seiner Arbeit muss Răzvan darauf achten, dass er die notwendigen Steuern zahlt. „Es ist eine bürokratische Hölle für mich”, meint er. „Ich habe Kunst studiert und nicht Wirtschaft.” Er dachte oft darüber nach, einen Wirtschaftsberater anzuheuern. Sein Einkommen schwankt. „Ich habe Monate, in denen ich sehr gut verdiene, weil viele Aufträge reinkommen oder weil die Kunden verlässlich sind. Es gibt aber auch schlechte Monate, in denen ich zum Beispiel für jemanden arbeite und die Person dann nicht zahlt.” Dann ist er auf die Hilfe von Freunden oder der Familie angewiesen. Eine Situation, die er mit 30 nicht mehr hinnehmen möchte. „Kunden finden, bezahlt werden, kann oft schwierig sein und ist die unangenehme Seite meines Berufes”, so Răzvan. Ralucas Job könnte und würde er aber nicht machen. „Acht, neun Stunden in einem Büro sitzen und immer das Gleiche machen? Das klingt nicht sehr spannend. Jedes neue Projekt ist eine neue Herausforderung. Ich kann was Neues machen und am Ende des Tages sagen ‚Das hab ich gemacht’. Ich glaube, dass ich in einer großen Firma einfach untergehen würde. Ich wäre nur einer von vielen.” 

Raluca sieht es nicht so dramatisch: „Wir sind ein Team. Meine Meinung zählt auch und ist am Ende Teil des Endergebnisses.” Sie träumt aber davon, später ihre eigene Marketing-Agentur zu besitzen. „Die wirklich großen Entscheidungen werden dann aber in Deutschland getroffen. Es gibt externe Agenturen sowie eine Marketing-Abteilung dort, wo die Besten arbeiten und ihre Meinung hat dann, finde ich, mehr Gewicht. Ich kann aber hier Erfahrungen sammeln und später diese Erfahrungen für mich selber nutzen.” 

Freiheit mit Risiken

Sie möchte auch Kinder haben und weiß noch nicht, wie sich das mit ihrem Job vereinbaren lässt. Viele ihre Kollegen hätten es während der Pandemie ein schwer  gehabt, ein Gleichgewicht zwischen Familie und Beruf zu finden. „Andererseits möchten die wenigsten  zurück ins Büro.” 

Auch die Unternehmen selbst stellen sich inzwischen die Frage, ob eine Rückkehr zu alten Gewohnheiten noch Sinn macht. Viele ziehen eine Hybrid-Lösung in Erwägung: Zwei oder drei Tage Zuhause und den Rest der Arbeitstage im Büro, wobei man seinen Schreibtisch mit anderen Kollegen teilt. Für eine Firma eine nicht unerhebliche Sparmaßnahme. 

„Mir fehlt ein bisschen das Büroleben”, gesteht Raluca. „Man tauscht sich noch mit Kollegen aus. Man wechselt ein bisschen die Luft.” 

Răzvan hat schon immer von Zuhause aus gearbeitet. „Meine Kunden interessiert das Endergebnis. Sie erwarten nicht von mir, einen Anzug zu tragen, pünktlich im Büro zu sein oder zu einer bestimmten Uhrzeit zu essen. Wenn ich die Nacht durcharbeite, ist es meine Entscheidung. Ich könnte genauso gut meine Arbeitsweise umdenken und mit ein wenig Disziplin schlaflose Nächte vermeiden. Entscheidend aber für mich ist: Ich bestimme, wie ich arbeite und wann.” 

Dafür nimmt er auch die Risiken in Kauf, wie zum Beispiel unseriöse Kunden oder eine finanziell unsichere Zukunft. 

„Grafikdesigner klingt immer so cool”,sagt Răzvan. “Und das ist das Problem: Es wollen immer mehr Grafikdesigner werden. Und obwohl das Internet mir hilft, Kunden weltweit zu finden, entwertet es auch meine Arbeit. Online-Börsen wie ‚Fiverr‘ oder ‚99Designs‘ drücken den Preis meiner Arbeit stark nach unten. Wieso würde mir jemand für ein Logo 500 Euro zahlen, wenn er auf Fiverr jemanden finden kann, der es für 50 Euro oder sogar 10 Euro macht? Qualität spielt dann eine zweitrangige Rolle, weil viele Menschen sowieso den ästhetischen oder künstlerischen Wert nicht verstehen. Viele begreifen auch nicht, dass zum Beispiel auch 500 Euro noch ein Schnäppchen sein kann, wenn man bedenkt, dass Designer von Rang 20.000 Dollar für ein Logo verlangen. Es ist sehr subjektiv und meistens erwarten Kunden, die knauserig sind, den höchsten Anspruch.” 

Quo vadis Arbeitnehmer?

Die Frage „Was ist wichtiger: Freiheit oder Sicherheit?” stellen sich zunehmend junge Menschen, besonders in westlichen Ländern. Dort wird seit Jahren von einer Reform gesprochen. In Dänemark und Island wurden diverse Projekte durchgeführt: Die wöchentliche Arbeitszeit auf die Hälfte reduziert, ein staatliches Mindesteinkommen festgelegt. Es herrscht auch in manchen Ländern Fachkräftemangel vor. Dadurch können Arbeitnehmer härter mit Unternehmen verhandeln. 

In den größeren rumänischen Städten wie Temeswar/Timișoara, Klausenburg/Cluj-Napoca und Bukarest wechseln viele Personen mit Hochschulabschluss alle zwei bis drei Jahre den Arbeitsplatz. Es findet eine konstante Migration statt: große ausländische Unternehmen konkurrieren untereinander um die spärlichen Fachkräfte, deren Gehälter in Rumänien noch weit unter denen ihrer westlichen Kollegen liegen. Ein Wechsel zu einer anderen Firma ist für viele Arbeitnehmer oft die einzige Möglichkeit, ihr Gehalt neu zu verhandeln. 

Auch für Raluca ist es der dritte Arbeitsplatz seit ihrem Studienabschluss. „Ich glaube, dass Unternehmen durchaus wollen, dass man ‚loyal’ ist. Aber viele meiner Kollegen machen den Job nur des Geldes wegen. Internationale Konzerne zahlen einfach besser und sie garantieren Sicherheit.” 

Răzvan versteht den Reiz. „In einer idealen Welt müsste ich mir auch nur um meine Arbeit Sorgen machen. Nicht ständig zum Finanzamt laufen oder hinter Kunden her. Aber, wie gesagt, liegt es an mir. Ich kann es besser oder schlechter machen. Und unabhängig vom Ergebnis steht mein Name drunter. Ich hab es gemacht - und nicht Firma X oder Firma Y.”