Kartoffeln ernten, lächeln, reden

Ein Tag mit dem Zivildienstleistenden Ulrich Schleicher bei alten Sachsen und Landlern

Ulrich Schleicher hilft beim Kartoffelernten im Garten von Johann Karmen.

Ein Tratsch ist stets willkommen, hier mit Maria Alzner.
Fotos: die Verfasserin

„Viel Spaß, beim Kartoffeln rausholen. Ich geh jetzt“, ruft Ulrich Schleicher seinem Schützling zu. Schleicher ist seit September 2010 Zivildienstleistender bei der evangelischen Kirche in Hermannstadt/Sibiu und macht gerade seinen Besuch bei Johann Karmen in Neppendorf/Turnişor. Er ist zuständig für bedürftige alte Sachsen und Landler in Neppendorf und Großau/Cristian. Organisiert wird dieser Zivildienst von der Oberösterreichischen Landlerhilfe. Eigentlich hatte sich Schleicher für Arbeit mit Kindern in Großpold/Apoldu de Sus beworben. Jetzt findet er es aber „besser so“, lautet seine Bilanz am Ende des einjährigen Einsatzes.

Kartoffeln ernten

Ulrich Schleichers Tag hat heute um 9 Uhr im Stadtpfarramt in Hermannstadt/Sibiu begonnen. Dort hat er einen Antrag für „Essen auf Rädern“ eingereicht. Schnell ging es weiter in das Pfarramt in Neppendorf: Spendengelder abholen und verteilen. Der 23-Jährige begleitet zwei Gruppen von Bedürftigen in seinem Zivildienst. Es gibt finanziell Bedürftige und andere, „die sind einfach alleine“, konstatiert der junge Mann. Neben kleinen Diensten gehe es oft nur darum, das Bedürfnis nach Kommunikation zu befriedigen: „Die brauchen einfach manchmal jemanden, mit dem sie sprechen können“.

Um 10.30 Uhr trifft Schleicher bei Karmen ein. Der 82-jährige Mann führt ihn in den Garten. Er betreut seine Wirtschaft allein. Momentan laufen Sanierungsarbeiten im Hof, „viel Arbeit, viel Arbeit“, winkt Karmen ab. Seit einem Sturz muss der Senior mit Krücke laufen. Seit dem Unfall hat Johann Karmen zusätzlich eine Tageshilfe. „Das kann ich nicht machen. Ich kann ihm Medizin holen oder einkaufen, aber ich kann nicht den ganzen Tag hier sein“, erläutert Schleicher, während er mit Karmen in den Garten geht. Heute werden Kartoffeln geerntet, hat Karmen entschieden. Der Senior weiß, wie die Kartoffeln zu behandeln sind. Diese müssten raus, jene seien noch nicht so weit, teilt er mit. Schleicher harkt und sammelt ein. Karmen geht derweil in den Schatten. „Ja, gehen Sie mal rein und geben Ruhe“, weist ihn Schleicher an. Karmen gibt an, schon seit sechs Uhr im Garten zu stehen.

Die großen und die kleinen Kartoffeln sortiert Ulrich Schleicher in unterschiedliche Eimer. „Das ist eine meiner Lieblingsarbeiten. Da schafft man was“, erklärt er. „Natürlich ist es schön, mit den Leuten zu reden. Man lernt einiges: Alte Bauernregeln, viel über die Geschichte und Gesellschaft Siebenbürgens und Rumäniens“, sagt der junge Mann und harkt weiter. „Aber ab und an ist es auch gut, wenn der Körper gefordert wird“. Die Mittagshitze brütet, Schleicher harkt und sammelt immer noch. Die Eimer werden voller. „Manche reden gerne über Erlebtes, müssen richtig reden. Ich habe schon einige Lebensgeschichten gehört. Die Zeit im Kommunismus, Deportation, oder einfach das Alltagsleben früher. Andere reden wiederum überhaupt nicht“, sinniert er. „Es gibt viele Perspektiven auf die Geschichte und viele Wege, damit umzugehen“, hat der Zivildienstleistende erfahren. Etwas Schweiß und eine Menge Kartoffeln später, gesellt sich Schleicher mit vollen Eimern zu Karmen in den Hof.

Dort wartet eine Flasche selbstgemachten Wein auf ihn. Ein Geschenk des Neppendorfers. Der Aufforderung, doch gleich etwas vom Wein zu probieren, kommt Schleicher nicht nach: „Sie wissen doch, dass ich während der Arbeit nichts trinke, Herr Karmen“, belehrt er ihn lächelnd. „Das verstehen die Leute dann nicht. Man muss sich immer wieder erklären“, meint Schleicher und grinst. Mit dem Wein im Gepäck geht es weiter. „Anfangs fiel es mir schwer, etwas anzunehmen. Ich bekomme ja Geld für die Arbeit, die Leute brauchen mir nichts geben. Dann habe ich verstanden, dass es wichtig für sie ist, mir etwas als Ausgleich schenken zu können“, erzählt Schleicher.

Ein Lächeln

„Ich dachte schon, du kommst nicht mehr“, sagt Elisabeth Gromer zur Begrüßung. „Doch, doch, ich komme schon noch, Frau Gromer“, sagt Schleicher. „Das ist wie ein Spiel. Sie sagt ihren Satz, dann sage ich meinen Satz. Das ist nicht böse gemeint“, erörtert er dieses Begrüßungsritual. Cora, der Hofhund, hechelt Schleicher freudig entgegen. Elisabeth Gromer führt ihren Helfer in die kühle Küche. „Es ist zu heiß heute. Ist dir nicht heiß?“, will sie wissen. Sie trägt einen schützenden Sonnenhut. „Der Hund ist auch ganz aufgeregt heute. Was läuft er denn immer hin und her?“, braust die Neppendorferin etwas auf. „Aber ohne Hofhund ist es auch nicht gut“, konstatiert sie ergeben und hebt die Hände, „was soll man machen?“.

Es folgt ein Plausch. Man tauscht sich aus über Beerdigungen, Ausflüge, weitere Neuheiten in der Gemeinde und über die Familie Gromer. Schleicher weiß so einiges. Frau Gromer dient dabei das oft zitierte „Um Gottes Willen“ dankbar als Antwort auf alle Arten von Schleichers Geschichten. Ulrich Schleicher weiß, dass es noch etwas Holz zu sägen gibt, in der Garage. „Haben Sie eine Arbeit für mich, Frau Gromer?“, erkundigt er sich nach einer Weile. „Wie lange kannst du bleiben?“, interessiert sich die Frau. „Machen Sie sich darüber keine Sorgen“, erklärt er und steht schon auf: „Dann schauen wir mal, dass wir mit dem Holz anfangen“.

Die beiden wirken beim Feuerholzmachen wie ein eingespieltes Team. Schleicher an der Säge, Gromer hebt den Holzbock. „Das ist schön trocken“, freut sie sich über den Zuwachs an Holz für die kalten Tage. Nach getaner Arbeit und weiterem Plausch über dies und jenes, fragt Elisabeth Gromer ein letztes Mal seufzend: „Was kann man machen?“, Schleicher erwidert dieses Mal: „Lächeln, Frau Gromer! Das sage ich Ihnen immer wieder, für mich reicht ein Lächeln!“ Diese Aufforderung zeigt Wirkung und es gibt tatsächlich ein Lächeln von Elisabeth Gromer. Ob auch dieser Dialog eine Art Ritual ist, bleibt unklar. 

„Das mag ich an Frau Gromer. Sie hat manchmal ihre Fluch- und Schimpfanfälle. Ich finde es aber gut, dass sie das rauslässt. Viele in ihrem Alter machen das nicht mehr“, reflektiert Schleicher nach Verlassen des Hofes. „Jeder braucht etwas anderes von mir. Jeder Fall ist komplett unterschiedlich, wie immer in der Sozialarbeit“, meint der junge Mann. „Ich habe auf jeden Fall gelernt, dass es egal ist, wie die Leute drauf sind. Meine Arbeit im Rahmen des Zivildienstes ist, den alten Menschen zu helfen, nicht mehr. Ich habe gelernt, mich abzugrenzen und motiviert zu bleiben für meine  Aufgaben“, resümiert er, „es ist aber schwer in Worte zu fassen, was man von der Zeit hier mitnimmt“.

Kleiner Hof, kleiner Hund

Nach einem 30 minütigen Marsch ist Schleicher bei Maria Alzner angekommen. Unterwegs trifft er den Cousin von Elisabeth Gromer. „Eigentlich wollte ich die Tage bei ihm reinschauen, nun ergibt sich ein Gespräch“, stellt Schleicher fest. Nach kurzem Schwatz und gegenseitigem Austausch nach dem Befinden wird der Weg zu Frau Alzner fortgesetzt. Inzwischen ist es 13.30 Uhr. Der Hof ist klein, ebenso der Hofhund. Dennoch großes Gebell und Zähnefletschen: Schleicher besänftigt ihn, man kennt sich.

Weinreben ranken sich über den schlauchartigen Hof, mittendrin ein kleines Tischchen. Hier setzen sich Schleicher und die ältere Dame in den Schatten. „Das ist aber ein schönes Foto, Frau Alzner“, befindet Schleicher, der aus dem Personalausweis die Nummer in den Bestätigungsbogen der Kirche einträgt. Alzner bekommt 100 Lei Spendengeld von der Saxonia Stiftung und muss nun die Übergabe bestätigen. „Und jetzt, bin ich nicht mehr schön?“, hakt Alzner nach und kichert. „Sicher. Alles hat seine Schönheit“, antwortet Schleicher. Die Seniorin lächelt. „Geh und hol mir bitte ein paar Zigaretten“, drängt sie und gibt Schleicher ein paar Lei-Scheine. Das Laufen fällt der fast 69-Jährigen schwer. Sie benutzt eine Gehhilfe.

Eine Zigarette später beginnt der Plausch. Schleicher erzählt über seine Zukunft nach dem Zivildienst, Alzner spricht über ihre Familie, ihre beiden Söhne. Von ihrer Seite fallen öfters Sätze wie „Es ist schwer“ oder „Was soll ich machen“. „Er kann so schön reden, der Ulrich. Er ist sehr unterhaltsam. Wir tratschen gut“, denkt Alzner laut. „Uli ist ein guter Junge, wirklich ein guter Junge“, betont sie und gerät ein bisschen ins Schwärmen. „Was mir dieser Junge gemacht hat, das hat noch nie jemand für mich gemacht. Er hat mir eine Gehhilfe besorgt, einen Fernseher und Bücher. Wenn ich jetzt mal nichts zu tun habe, kann ich lesen. Da mache ich was für meine Muttersprache“, erläutert sie. „Aber auch die anderen vor ihm waren immer sehr nett“, fügt sie nach einer kurzen Pause hinzu. Ulrich sei aber doch besonders.

Nach einer Dreiviertelstunde Plausch und der Abwicklung der Spendenübergabe bricht Schleicher auf. Er müsse jetzt „was zwischen die Zähne bekommen“. Auf dem Weg zum Mittagessen erzählt er: „Ich habe mich sehr mit Frau Alzner beschäftigt am Anfang meines Zivildiensts. Es ist nicht alles einfach bei ihr, aber es ist schon viel besser geworden“. Nach einer Mittagspause besucht der Zivildienstleistende noch zwei weitere ältere Neppendorfer. Auch hier übergibt er Spendengelder und redet. In drei Wochen geht es für ihn zurück. Nach Deutschland, in eine andere Welt...