Ausgerechnet Baku, die Hauptstadt Aserbaidschans – „ausgerechnet“ also diese Region in Nähe des Kaspischen Meeres – war dieses Jahr Austragungsort des 29. Weltklima-Gipfels, bei dem es ja vor allem um die Eindämmung fossiler Energieträger ging. Aserbaidschan wird von Kritikern zuweilen als „Petrokratie“ bezeichnet – wegen seiner führenden Rolle als Öl- und Gaslieferant. Ob das der ideale Ort ist, um über die Eindämmung des weltweiten Öl- und Gasverbrauches zu reden? Zweifel sind angebracht.
Doch man muss gar nicht bis nach Aserbaidschan blicken, um zu sehen, welchen geringen Stellenwert Themen wie Umweltschutz und Klimawandel in der Politik osteuropäischer Länder zuweilen haben. Vertreterinnen und Vertreter von Umwelt-Parteien lassen sich selbst in südosteuropäischen EU-Staaten wie Ungarn und Rumänien kaum finden, Belege für mancherlei Umweltsünden dagegen sehr wohl. Für diesen Beitrag wurde ein Treffen des Vereins „Funkforum“ mit südosteuropäischen Medienvertretern und Politikern genutzt, um nachzufragen: Wie halten es die beteiligten Länder mit dem Klima- und Umweltschutz im politischen Geschäft?
Mit der Perspektive schwacher Chancen, fündig zu werden, begeben wir uns auf die Suche nach einer „Öko-Partei“, vergleichbar mit den Grünen in Deutschland – zum Beispiel in Rumänien… „Unter einem Prozent haben die Grünen bei den Kommunalwahlen im Juni dieses Jahres in Rumänien eingefahren, und für die Parlamentswahlen oder gar für die Präsidentschaftswahlen dieses rumänischen Wahlherbstes fehlen sie gänzlich im öffentlichen Bewusstsein. Ihre Themen werden von den anderen, präsenteren Parteien, verwässert, umgebogen, verharmlost.“
Und in Ungarn: „Wir haben gar keine richtige Öko-Partei“, antwortet der Journalist Johann Schuth aus Budapest. Dazu eine Stimme aus Serbien: „Ich glaube, bei uns gibt es sie, die Öko-Partei, aber die spielt hier bei uns in Serbien überhaupt keine Rolle.“ So Zsolt Papista aus Neusatz/NoviSad in der Vojvodina.
Die beiden ersten Antworten kommen aus südosteuropäischen EU-Mitgliedsländern, die Stimme aus der Voj-vodina von einem Land, das seit zwölf Jahren EU-Beitrittskandidat ist. Aber alle drei südosteuropäischen Länder haben eines gemeinsam: Fragen betreffs Umwelt- und Klimaschutz spielen im politischen Alltagsgeschäft – im Vergleich zu westeuropäischen Ländern – eine eher untergeordnete Rolle.
Ungarn, so Johann Schuth, Redakteur der in Budapest erscheinenden „Neuen Zeitung“, spielt die Umweltproblematik herunter: „Es gibt bei uns kein Umweltministerium. Vor 13 Jahren, als die Fidesz an die Macht kam, da wurden acht Superministerien geschaffen. Aber Umwelt war nicht darunter.“ Fidesz ist die Partei des ungarischen EU-Schrecks und Langzeitherrschers Viktor Orbán. „Umwelt spielt eigentlich keine besondere Rolle.“
Zwar gebe es auf regionaler Ebene durchaus Umweltbehörden. „Diese Umweltbehörden, die noch existieren, unterstehen dann noch dem Regierungskommissar, also haben sie eigentlich keine eigenen Befugnisse.“ „Die Luft in den Städten ist wahnsinnig schlecht. Gerade kam die Nachricht raus, in wie vielen Städten die Luft einerseits schlecht, andererseits schon gefährlich ist.“ Ergänzt die Rundfunkjournalisten Christine Arnold aus der ungarischen Stadt Pécs.
ADZ-Redakteur Werner Kremm ist einer, der schon zur Ceau{escu-Zeit Umweltthemen aufgegriffen hat. Er hat kürzlich einen bissigen Kommentar zu einem (im Wortsinn) „brennenden Umweltthema“ geschrieben. Da geht es um den EU-Beschluss aus dem Jahr 2021, die Schadstoffgrenzwerte für europäische Kohlekraftwerke drastisch zu senken, was für ein Drittel der europäischen Kohlekraftwerke das „Aus“ bedeutet. Rumänien hat den Beschluss erst einmal als Lippenbekenntnis mitgetragen…, „um dann Nachverhandlungen zu fordern und zu sagen, Rumänien könne die anstehende Einstellung der Kohlekraftwerke – der das Land in Brüssel zugestimmt hatte - nicht verkraften und muss sie, es hieß: bis zu zehn Jahre, weiterbetreiben. Also den in Brüssel unterzeichneten Beschluss der Kohlenkraftwerkeinstellung hinausschieben.“
In Serbien sorgt gerade ein aus ökologischer Sicht heikles Projekt für Schlagzeilen: „Zum Beispiel gibt es für die einen DAS Supergeschäft, für die anderen ist es ein Skandal: Das Geschäft mit Rio Tinto, wo die Lithium Tagebauförderungen getätigt werden.“ Damit spielt Zolt Papista, Hochschuldozent und Mitarbeiter beim öffentlich-rechtlichen Sender Radio Televizija Vojvodine, auf den ökologisch umstrittenen Lithium-Abbau in der Nähe der westserbischen Stadt Loznica, Bezirk Macva, auf die Jadar-Mine an: „Die Opposition ist sehr, sehr stark dagegen. Vor allem die Jugend ist sehr, sehr stark dagegen. Aber Deutschland und Serbien haben jetzt ein Abkommen gemacht. Und der Abbau wird jetzt unvermeidbar.“
Tatsächlich kam Bundeskanzler Olaf Scholz im Juli nach Serbien, um sich einen Teil der serbischen Lithium-Vorkommen (das 2004 entdeckte Vorkommen wird geschätzt auf 118 Millionen Tonnen Erz mit einem Lithiumgehalt von 1,8 Prozent) für Deutschland zu sichern. Der Abbau, heißt es in dem Abkommen, soll umweltverträglich erfolgen; Kritiker vor Ort sind da eher skeptisch. Allerdings: Abseits des Lithium-Abbaus sind Öko-Themen auch in Serbien weniger bis kaum die Aufreger.
„Es ist in unseren Ländern leider eher ein Nischenthema. Die Luft ist sehr stark verschmutzt. Aber die wenigsten wissen das. Und die wenigsten interessiert das.“
Vor allem der zunehmende Autoverkehr habe zu „dicker Luft“ geführt. Nur: Das Auto gilt als eine Art „Wohlstandssymbol“. Hauptsache, es fährt…
„Finanziell gesehen: Die meisten können sich ein besseres Auto gar nicht leisten. Die meisten sind schon glücklich, wenn sie überhaupt ein Auto fahren können. Ich glaube, generell ist das so auf der Welt, dass erst Wohlstand kommen muss, bevor man sich eindringlich mit der Welt beschäftigt. So lange man nicht genug fürs Überleben hat, denkt man leider nicht an Umweltschutz! Es gilt Brecht: ‚Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral.‘“
Ein Prinzip, das nicht nur in Serbien gilt: Aus Sicht von Ovidiu Victor Ganț, Abgeordneter der rumäniendeutschen Minderheit im Bukarester Parlament, ist der Stellenwert von Umwelt- und Klimathemen im politischen Diskurs, gerade auch im Vorfeld der Parlaments- und Präsidentschaftswahlen, deshalb so überschaubar, einfach „…weil es andere Probleme gibt für die Bevölkerung. Vor allem geht es weiterhin um die soziale Problematik. Es geht um Gehälter. Es geht um Renten.“
Allerdings: Da gibt es ja noch die EU-Richtlinien zu Umweltthemen, beispielsweise die EU-Biodiversitätsstrategie. „Wir, im Parlament setzen die EU-Richtlinien um, wir machen Gesetze, die verlangt werden von der Europäischen Union. Aber es gibt eine große Verspätung, eine Zeitverschiebung, wenn man das mit dem Westen Europas vergleicht.“
Und selbst im Ungarn des aus der Distanz gesehen sehr autokratisch anmutenden Viktor Orbán gibt es Hoffnung darauf, dass Umweltthemen zumindest in Zukunft an Fahrt aufnehmen. Johann Schuth aus Budapest: „Was mich wieder optimistisch macht: In den Schulen wird, zum Beispiel, Umweltdenken doch den Kindern ein bisschen nahegebracht. Dass sie auf die Natur achten müssen. Und das praktische Umweltdenken, dass man Müll trennen muss, das ist schon ein paar Schritte weiter.“