Keine Ruhe mehr

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Was hat ein Nobelrestaurant mit einer Würstlbude, einer Telefonwarteschleife und einem Picknickplatz im Grünen gemeinsam? Richtig – es ist der unfreiwillige Musikgenuss, der einem an all diesen Orten aufgedrängt wird! Musik motiviert und macht fröhlich, so eine Theorie, und es muss wohl etwas dran sein. Damit wir immer schön fröhlich bleiben, wird uns der triste Alltag immer und überall mit einem Stimmungsmacher aus dem Lautsprecher aufgehellt. Kaum noch ein Ort, an dem man sich der ständigen Bedudelei entziehen kann – ja, nicht mal ein Örtchen.

Schon morgens in der U-Bahn fängt es an: Singende und klingende Hosen- und Handtaschen! Die darin befindlichen Handys reißen die noch halbtauben Ohren brutal aus dem verlängerten Nachtschlummer. In Deutschland oder Italien darf man sich mitfahrender Geiger, Gitarristen oder Akkordeonspieler erfreuen, bevor eilig der Hut herumgereicht und der Waggon verlassen wird, um Platz für neue Dreigroschenbarden zu schaffen. Im Büro meint man, in Ruhe einen Anruf tätigen zu können. Pustekuchen! Auch im Telefonkabel lauert das Trallala ohne Punkt und Komma: die Warteschleife! Weghören geht nicht, sonst verpasst man das Freiwerden der Leitung.

Ein hypothetisches Mittagessen im Restaurant liefe natürlich auch nicht geräuschlos ab, wobei sich der Lärmpegel, so meine Beobachtung, stets direkt proportional zur Äquatornähe verhält. Faustregel für die Nordhalbkugel: Je südlicher das Land, desto lauter das Geplärr.

Geräusche regen wohl die Kaufkraft an, denn auch im Supermarkt wird man unentwegt klangumsäuselt, damit die guten Gefühle, die uns zum Erwerb einer Tube Senf oder einer Packung Einwegrasierer motivieren, nur ja für kein Sekündchen abreißen. Als Mitfahrer im Auto ist man dem Musikgeschmack des Chauffeurs völlig hilflos ausgeliefert. Verhandeln kann man allenfalls über die Wahl des Senders. Die Möglichkeit des Ausschaltens zu diskutieren wird mit einem ähnlichen Gesichtsausdruck quittiert wie ein Bekenntnis zur Asexualität oder zum Atheistentum. Selbst im Kloster findet man keine Zuflucht mehr, denn seit es CDs gibt und die Mönche nicht mehr singen müssen, schallt es auch dort hochheiligst rund um die Uhr aus den Boxen.

Wer abends mit seinem Partner ein Lokal betritt, braucht sich erst gar keine Gedanken über ein Tischgespräch zu machen. So schweigt man sich am Besten grinsend an, während einem die neuesten Hits um die Ohren dröhnen – aber immerhin guter Stimmung, denn streiten ist bei dem Geräuschpegel auch unmöglich. In traditionellen Gaststätten lässt sich der akustische Gefühlsmanipulator wenigstens bedingt abwenden, denn die Volksmusiktruppe umträllert den Tisch nur so lange, bis ein Scheinchen zum Weiterziehen motiviert. Beim Grillen und Zelten am Wochenende werden denn auch die Tiere des Waldes endlich mal so richtig fröhlich gemacht, wenn sich die Autoradios der Picknicker gegenseitig mit guter Stimmung aus dem Äther übertrumpfen.

Musik ist einfach omnipräsent! Auch die Quantenphysik bestätigt, alle Materie ist Schwingung. Doch selbst wenn wir das Zeitliche segnen und Raum und Materie verlassen, erwarten uns im Jenseits Engelschöre, die Halleluja und Hosianna schmettern... Ja, Fixhalleluja nochmal! Hat man denn nirgendwo mehr seine Ruhe?