„Kunst ist Leben“

Gespräch mit Stefan Jammer, Fotograf und Wahlhermannstädter

Ein Portrait von Stefan Jammer, gezeichnet von Robert Simon

Stefan Jammer lebt seit 2005 in Hermannstadt/Sibiu. Der gebürtige Norddeutsche machte sich durch seine Tätigkeit als Fotograf  unter anderem für die Evangelische Kirche A.B. in Rumänien oder für das Internationale Theaterfestival in Hermannstadt einen Namen, aber auch durch seine Ausstellungen. Zugleich ist auch sein Einsatz für die unabhängige Kunstszene in Hermannstadt bekannt. Über Fotografie, Kunst und Rumänien sprach Stefan Jammer mit ADZ-Redakteur Roger Pârvu 

Wie kamen Sie zur Fotografie? 

Das begann eigentlich schon relativ früh, im Alter von 15, 16 Jahren. Berührungspunkte mit der Fotografie gab es schon vorher in der Familie, von der ich den ersten Apparat bekommen hatte. Aber in dem Alter war mir klar, das ist mein Medium. Ich bin mit der analogen Fotografie geboren und habe Schwarz-Weiß und Farbe ganz klassisch in der Dunkelkammer gelernt. 2005, als ich nach Hermannstadt kam, bin ich dann auf digital umgestiegen, weil ich einfach kein Labor gefunden habe. Also kein so Gutes, mit dem ich hätte zusammenarbeiten wollen, und schon damals musste ich die Bilder einscannen, weil es die Agenturen und Kunden verlangten. 

Und was ist für Sie Bild?

Für mich ist Fotografie nie die Realität, es ist immer ein Abbild der Realität und mich fasziniert es, wenn man Dinge erkennt, die man vorher nicht so erkannt hat. Zugleich bin ich auf Kriegsfuß mit der Fotografie. Ich habe das, glaube ich, auch schon mal irgendwo erwähnt. Es geht auf Thomas Bernhard zurück, der in dem Roman „Auslöschung. Ein Zerfall“, die Fotografie als „das größte Unglück des zwanzigsten Jahrhunderts” beschreibt, eine „perverse Fratze“. Das Zitat hat mich mit 23 Jahren davon abgebracht zu fotografieren. Ich habe drei Jahre den Fotoapparat weggepackt, nicht ein Foto gemacht, um mich dann 2003 als Fotograf selbstständig zu machen. 

Fotografie ist ein gefährliches, sehr wirkmächtiges Medium, und das zu reflektieren, das auch immer im Hinterkopf zu halten um damit zu arbeiten, war immer meine Aufgabe. Für mich ist Fotografie Malerei. Wenn du so willst, sehe und komponiere ich Bilder sehr klassisch und traditionell, aber ich setze mich halt nicht an die Staffelei, um mit dem Pinsel oder einem Stück Kohle zu arbeiten. 

Aus welchem Beweggrund sind Sie nach Rumänien gekommen? 

Es war meine Frau. Wir haben uns 2003 in Dresden kennengelernt und sind 2005 nach Rumänien gekommen. Ursprünglich für ein halbes Jahr, und daraus sind jetzt eben 18, bald 19 Jahre geworden. Ich habe mich hier in Rumänien überhaupt erst als Deutscher gefühlt. Das hat was mit bestimmten Tugenden zu tun, wie Pünktlichkeit oder auch einfach, dass man das macht, was man sagt. Es war mir vorher überhaupt nicht bewusst, dass es hier auch eine sehr starke deutsche Kultur gibt, und somit könnte ich beide Länder als meine Heimat bezeichnen. Zugleich fehlt mir bis heute in Rumänien eine gewisse Streitkultur und die Kritikfähigkeit. In Deutschland, und ich als norddeutscher Protestant noch mehr, wächst man damit auf, aber das ist in Rumänien nicht wirklich präsent, beziehungsweise wird oft missverstanden. Streitkultur bedeutet, dass man sich konstruktiv über ein Thema unterhalten kann und es am Ende nicht persönlich nimmt. Rumänien ist schon noch sehr klassisch aufgestellt, das heißt, Stil ist wichtiger als der Inhalt, und da bin ich doch etwas anders geprägt. Für mich ist immer die Aussage wichtiger als die Formulierung.

Und wie haben sich Rumänien und Hermannstadt in diesen Jahren verändert?

Eigentlich nur zum Guten. Ich bin da Optimist. Es gibt natürlich bestimmte Sachen, wo ich dachte, dass man sich so manchen Fehler hätte sparen können. Wenn man über den Tellerrand hinaus geschaut hätte, könnte man noch ein Stück weiter sein, als wir es heute schon sind. Aber prinzipiell kann niemand behaupten, dass Rumänien sich in den letzten 20 Jahren nicht gut entwickelt hat. In Hermannstadt gibt es viele Initiativen, im Moment passiert gerade recht viel. Es ist nicht immer alles so durchdacht, dass es von Anfang an funktioniert, aber dann wird es über die Zeit angepasst und immer funktioneller gemacht. Ich erlebe es auch als eine Form von Freiheit, also eine Offenheit demgegenüber, was ist und sein wird. Denken wir an die Häuserfarben zum Beispiel. Es gibt so ein Credo, dass man die alten Farben verwenden sollte. Das sind eigentlich vier Grundfarben. Wenn aber ein Haus gelb oder orange gestrichen ist, wäre es in Deutschland ein Skandal, hier wiederum ist es eher der Normalzustand, und das ist eine schöne Form von Eigenständigkeit. 

Bezogen auf die Kunstszene hört man öfter: Hermannstadt ist ein zu großes Dorf oder eine zu kleine Stadt. Wie sehen Sie die unabhängige Kunstszene hier?

Es gibt auch hier eine Kunstszene und es gibt Galerien, die jetzt entstehen. Bewegung und Aktionen gab es über die Zeit immer wieder. Die Basis ist hier, sagen wir mal, durchaus fundiert. Gerade in der zeitgenössischen rumänischen Kunst spielte Hermannstadt eine gewichtige Rolle. Liviana Dan und Dan Perjovschi waren schon vor der Revolution hier aktiv und sind es auch jetzt noch, denken wir an Livianas aktuelles Projekt „Budget Zero“, welches ein klares Statement für die rumänische Kunst gesetzt hat. Ich sehe es nicht so strikt, dass wir keine Szene hätten, beziehungsweise keine nennenswerten Künstler hier präsent sind. Es gibt aber leider Institutionen, die nicht immer mit der Zeit gegangen sind, beziehungsweise nicht immer mit der Zeit gewachsen sind. Das heißt, es gibt diese Diskrepanz zwischen Avantgarde und Orthodoxie. 

Es ist auch eine Frage der Verteilung der Fördergelder. Es braucht natürlich den Zirkus, den wir momentan vielleicht etwas überrepräsentieren, dafür ist Hermannstadt ja bekannt, für große Festivals und eben, sagen wir es wie es ist, den kommerziellen Kulturbetrieb. Es sollte aber keinen Bruch geben. Es geht um die Ganzheit, um eine Zusammenarbeit. Kunst braucht Geld. Man kann Kultur nicht in kommerziellen Unterhaltungssektor und zeitgenössische Kunst trennen. Und die Finanzierung sollte in dem Sinne besser aufgeteilt werden. Leider gibt es dort noch eine große Diskrepanz. Für zeitgenössische Kunst gibt es wenig Fördergelder und große bürokratische Hürden.

Ich denke da auch an die Umwandlung einer Fernwärmezentrale in einen Raum für Kunst, an der Sie beteiligt waren.

Die CT3, Artlabs genannt, war damals, 2007, schon weit seiner Zeit voraus, hatte mit einer Galerie wenig zu tun. Es gab Ausstellungen zu sehr zeitgenössischen Themen, wie Generative Art und Connectivity. Die Projekte waren gut besucht und sind gut angekommen, aber die Zeit war noch nicht reif. Die Frage, die ich mir damals schon gestellt habe: Ob es nicht zu weit draußen in den Randgebieten der Stadt lag. 

Artlabs in dem Sinne war auch nur ein Jahr aktiv in der Kunst tätig. In Hermannstadt hat sich aber das Verständnis geändert und die Notwendigkeit ist klar. Was heute definitiv fehlt und woran wir arbeiten, was sich auch in der Zukunft formieren und entwickeln wird, ist ein multifunktionaler Kunst- oder Kulturraum. 

Sie haben erzählt, dass Sie bei Ihrer letzten Ausstellung, der Hermannstadt-Panorama-Ausstellung, ein wenig überrascht waren, als Dokumentarfotograf bezeichnet zu werden. Können Sie ein wenig dazu erzählen – das sagt ja auch aus, wie Sie selbst Fotografie sehen und wie die Bilder dann aufgenommen werden?

Es ist auch wiederum hier relativ einfach. Klar ist, dass ich das nicht als Dokumentation angelegt habe. Für mich steht jede Komposition für sich, das war keine serielle Arbeit, beziehungsweise keine Dokumentation im klassischen Sinne. Ich habe nicht vorgehabt, die ganze Stadt zu dokumentieren, beziehungsweise über die Zeit die Unterschiede festzuhalten. Der Rahmen, der für die Ausstellung gesteckt war, war ursprünglich ein ganz anderer, erst später sind wir auf dieses dokumentarische Konzept gekommen und die Kuratorin Heidrun König hat die geschichtlichen Hintergründe der Stadtviertel zusammengefasst.

Somit ist daraus ein dokumentarisches Konzept geworden, aber die Fotografien, gerade aus den Anfängen 2005, 2006, haben für mich persönlich mit Dokumentarfotografie wenig zu tun.

Mir geht es um Komposition. Und Komposition ist genau das Thema, welches ich in der Panorama-Ausstellung wiederum aufgegriffen habe. Ich bleibe nicht bei dem klassischen zwei-zu-drei-Format, sondern ich arbeite mit mehreren Fotografien und baue sie zu einem Panorama zusammen, dass nennt sich „Stiching“. Die Bilder aus dieser Ausstellung waren zum Teil aus 50 und mehr Bildern zusammengesetzt, insofern baue ich mir das schon ein bisschen so, wie ich es gerne hätte. Aber wiederum hier auch nicht bewusst, konzeptionell, sondern rein aus kompositorischen Gründen. 

Seit vorigem Jahr gibt es in der Kunst eine Debatte um künstliche Intelligenz. Wie sehen Sie Kunst und künstliche Intelligenz? 

Künstliche Intelligenz hat wenig mit menschlicher Intelligenz zu tun. Deswegen benutze ich sie als Werkzeug, man sollte sie als Werkzeug benutzen und damit umgehen lernen. Es wird sich natürlich viel verändern in der Welt, aber die Kunst glaube ich eher nicht. 

Also für Sie ist in diesem Augenblick KI nicht mehr als ein digitaler Pinsel?

Nicht einmal das. Ich habe KI schon sehr früh benutzt, um bestimmte Sachen zu probieren, die ich als Ideen hatte, also eigentlich als Skizze. Sowohl der Text wie auch das Bild blieben für mich relativ emotionslos. Es berührt mich nicht, und sobald mich Kunst nicht berührt, ist es eigentlich aus meiner Sicht nicht meine Kunst. Es gibt sicherlich generierte Bilder, die erschreckend gut funktionieren. Hier ist es glaube ich wichtig, den Unterschied zu sehen, was ist Realität und was ist ein Abbild, vielleicht hilft uns künstliche Intelligenz, hier diesen Unterschied klarer herauszustellen. Es gibt immer wieder etwas Neues, es gibt immer wieder neue Blickwinkel und Ansätze. Das ist ja letztlich auch, was künstliche Intelligenz nicht kann. Wenn der Stecker gezogen wurde, geht bei der KI nichts mehr. 

Also sollte Kunst bilden?

Auf jeden Fall, es nennt sich ja „bildende“ Kunst. Das gilt aber natürlich auch für die übergreifenden Fächer, auch Theater ist Kunst und für mich ist selbst mein Fahrrad Kunst. Kunst ist letztlich immer der Unterschied zwischen Kopie und Original. Es geht immer ums Original in der Kunst. Es gibt mit der Technik der Reproduzierbarkeit natürlich viele Kopien, und es ist auch durchaus erlaubt zu kopieren. Aber es stimmt, dass man sich selbst, beziehungsweise all das, was uns umgibt, als Kunst sieht. Das meine ich mit Kunst ist Leben, eben die Kunst zu leben und dazu gehört auch die Philosophie, die Lebensphilosophie. Gerade in der heutigen Zeit, wo sehr viel kopiert wird, geht es natürlich um die Klarheit der eigenen Identität als Original. Um jetzt den Kreis zu schließen: Ich habe mein Fahrrad selbst gebaut, es gibt es nur einmal auf der Welt und somit ist es mein Kunstwerk. 

Sie haben gerade von einem neuen Projekt erzählt, der Panorama-Transsilvania-Ausstellung?

Panorama-Transsilvania ist das Folgeprojekt von Panorama-Hermannstadt und wurde schon in derselben Zeit geboren. Das ist einfach dem geschuldet, dass ich viel Material aus der Zeit habe und dieses auch über die Stadtgrenzen hinausführt. Es ist wie bei Panorama-Hermannstadt in erster Linie eine Aufarbeitung meines Archivs. Ich gehe durch mein Archiv, suche Bilder, die es vielleicht wert sind gezeigt zu werden, und vervollständige das jetzt, in den nächsten Jahren, zu einem kompletten Bild. Die Struktur der ersten Ausstellung wird nahezu eins zu eins übernommen. Ich habe mit der Kuratorin schon jetzt die Grenzen festgelegt und die Regionen, wie es geordnet werden könnte. Es ist aber noch nicht wirklich spruchreif, wie gesagt, es ist noch ein bisschen Zeit bis zur Eröffnung 2025. 

Vielen Dank für das Gespräch!