„Leider rinnt diese Zeit zu unserem Nachteil. Kaum dass ich mich an das Schreiben der Jahreszahl 2021 gewöhnt habe.“

Ein bildender Künstler und Lehrer in Hermannstadt erzählt von seiner Arbeit

Florin Viorel im hohen Atelier mit Oberlicht
Foto: Klaus Philippi

Florin Viorel (Jahrgang 1978) stammt aus Karlsburg/Alba Iulia, hat als Kind fünf Sommerferien in der Maramuresch verbracht, im Jahr 1990 Wahlplakate für den gescheiterten Präsidentschaftskandidaten Ion Ra]iu ausgetragen und 2002 sein Diplom an der Universität für Kunst und Design Klausenburg/Cluj-Napoca (UAD) erlangt. Seit Jahren lebt er in Hermannstadt und ist Mitglied der Innung der Bildenden Künstler Rumäniens (Uniunea Arti{tilor Plastici din România, UAP) und absolviert aktuell an der UAD ein Promotionsstudium. Florin Viorel hat von Ende Januar bis Ende Februar 2021 in der Abteilung für Zeitgenössische Kunst des Brukenthalmuseums ausgestellt und gibt Unterricht am Kunstgymnasium Hermannstadt. „Wenn ich in die Mall muss, gehe ich schnurstracks in die Läden, aus denen ich dringend was brauche, und danach schnell wieder raus. Um keine Minute Zeit zu vergeuden. Neulich noch hörte ich im Vorbeigehen eine junge Dame telefonieren, die ihre Freundin einlud: ‘Komm doch mal für drei bis vier Stunden mit zum Kleider ausprobieren in die Mall!’ Ich habe gestaunt, dass Dritte einfach so drei bis vier Stunden für den Einkaufstempel verplanen. Ich gäb’ was drum, drei bis vier Stunden mehr Zeit für mein Atelier zu haben!“ Klaus Philippi hat ihn dort zum Gespräch besucht.

Florin Viorel, wie bewerten Sie als Lehrer denn Bilder aus der Hand von Schülern, die Ihnen bei einer Aufnahmeprüfung für die 9. Klasse des Kunstgymnasiums vorgezeigt werden?

Diesmal wird die Prüfung anders als üblich verlaufen. Durch Vorlegen eines Portfolios statt in Form eines Examens. Aber die Anforderungen sind dieselben: Stillleben mit Gegenständen wie Kugel, Würfel und Flasche, und figurative Gestaltung – das heißt die Fähigkeit, Menschen zu zeichnen, was Proportionen und Farbwahl anbelangt. Etwa fünf Personen sind auf ein und dasselbe Bild zu zeichnen. Zeichnen von Menschen und Formen ist das Erste, was nachher im Unterricht auch richtig gelernt und geübt wird, später gefolgt von Porträts.

Wie stark wird der Andrang am Tag der Aufnahmeprüfung ausfallen?

Ich rechne für diesmal mit bis zu drei Bewerbungen pro Platz in der Schulklasse. Statt den gewohnten 28 dürfen wir nicht mehr als 24 Plätze in einer Klasse vergeben. So legt es die neue Schulnorm fest. Ja, es herrscht Gedränge. Einige legen richtig gute Portfolios vor, andere leider nicht, aber das ist es eben.

Was kann man sich als Laie unter dem Tagesgeschäft an einer Bildungsstätte wie der Universität für Kunst und Design Klausenburg vorstellen?

Viel Arbeit. Allein schon der Zugang dorthin erfordert viel Arbeit. Auch danach zählt die Arbeit, aber es hängt an Dir selbst, wie viel Du leisten möchtest, weil Du schon erwachsen bist. Jeder baut da bereits frei nach seinen Vorstellungen an seinem Leben. Du kannst von den Professoren und dem universitären Ambiente profitieren und etwa 20 Jahre später auch nochmal für ein Promotionsstudium zurückkehren, was aktuell auch ich tue. Es bietet nicht zuletzt die Chance, in Klausenburgs Staatlichem Kunstmuseum im Bánffy-Palais auszustellen, weil die Professoren den Studierenden und Promotions-Studierenden das direkt vermitteln. Man wird wie ein Kollege behandelt. Als Mittvierziger und selber schon Lehrer an einem Gymnasium bin ich das auch wirklich. Einige meiner Ex-Kommilitonen sind Professoren an der Universität für Kunst und Design Klausenburg. Bald werde ich übrigens eine Prüfung für den Ersten Grad im staatlichen Lehramt ablegen, und die Kollegin, die meine Prüfung als Kommissionsleiterin begleiten wird, ist ein Jahr jünger als ich.

Es kommt ganz drauf an, was man für sich selbst möchte. Ich wollte für mich selbst schon immer das, was ich heute tue. Obwohl ich auch andere Chancen hatte. Einmal wurde mir angeboten, in der Armee beschäftigt zu werden. Ich habe den Pflichtwehrdienst in der Offiziersschule Bukarest geleistet, wohin ich geschickt worden war. Aber das Angebot Armeeoffizier schlug ich aus. „Warum? Dir fehlen nur noch neun Monate bis zum voll anerkannten Dienst als Armeeoffizier, und mit 45 gehst Du in Rente!“ Doch nein, ich wollte und will nicht zur Armee!

Mein Geburtstag ist am 20. April – auch Hitlers Geburtstag. Und das treibt mich manchmal zum derben Witz, zu sagen, also ihr habt Glück, dass ich die Zugangsprüfung zum Kunststudium bestanden habe und nicht zur Armee oder anderswohin gegangen bin, um ein Land zu führen…

Wie haben Sie die pandemische Zeit des Jahres 2020 empfunden?

Oh, ich habe sie sehr genossen und hier in meinem Atelier täglich Stunden über Stunden verbracht. Bis zu acht Stunden pro Tag. Meine Unterrichtsstunden am Kunstgymnasium habe ich online gegeben, weil das nicht anders geschehen durfte, und auch alles andere hier gemacht: gelesen, gedacht, kreiert, gegessen, ein Glas Wein getrunken, Freunde zum Gespräch eingeladen, ja, es war wirklich schön!

Und wie fühlt sich jetzt die Wiederumkehrung des Verhältnisses der Zeit von draußen auf der Straße und der Zeit von hier drin im Atelier an?

Davon merke ich kaum etwas, weil ich unter dem Druck stehe, für meine Doktorarbeit zu schreiben. 200 Seiten muss ich da stemmen. Und für den Ersten Grad im Lehramt gelten nochmal andere 100 Seiten als Pflicht. Deswegen gebe ich zu, seit Jahresanfang 2021 mein Atelier nicht so sehr an erster Stelle zum Arbeiten aufgesucht zu haben. Die meiste Zeit hier habe ich für Studium und Forschung aufgewendet.

Ein paar retrospektive Gedanken nach dem Online-Unterrichten von Zeichnen und Malen?

Sehr schwer! Kunst online zu lehren und lernen ist über alle Maßen schwer. Mein großes Glück war, dass ich keiner 9. Klasse Unterricht geben musste. Ich hatte mit einer 11. Klasse und einer 12. Klasse zu tun, die nicht von Null an zu beginnen brauchten. Nicht ganz ohne war aber doch die staatliche Prüfung zur Attestierung als Zeichner und Maler, die von den Absolventen der 12. Klasse bestritten wird. Schülerinnen und Schülern an Kunstgymnasien hat die Pandemie alles in allem eineinhalb Jahre Zeit geraubt. Bei uns kommt es voll und ganz auf die motorische Komponente an. Der PC dazwischen nützt nichts.

Möglich, dass einige von ihnen sich in Folge davon nicht genügend vorbereitet fühlen, ein Kunststudium anzutreten. Ich habe es schon öfter erlebt, dass Abiturienten sich vor ihrer Aufnahmeprüfung an die Universität ein ganzes Jahr lang Zeit für mehr Vorbereitung auf eigene Faust nehmen. Ich selbst habe es vor meinem Studium in Klausenburg genauso angepackt. Auch und vor allem, weil ich wusste, dass je sieben bis acht Personen um einen Studienplatz kämpfen. Der Andrang heute ist nicht mehr so hoch wie damals. Heute bewerben sich vergleichsweise nur zwei oder drei auf einen Studienplatz.

Was raten Sie Schülern am Kunstgymnasium, die wissen wollen, ob und welche Chancen für die Zeit nach dem Abitur sie sich ausrechnen können? Was spricht dafür, den Schritt in die Kunst als Studium und Beruf zu wagen, und was eher dagegen?

Es gibt rein gar nichts zu verlieren. Auch wenn man es nicht auf Anhieb schafft, bedeutet es eine Erfahrung. Einfach weil man die Erfahrung macht, wie es in einer Prüfung an einer Hochschule für Kunst zugeht. Und wenn man sich ein Jahr darauf nochmal stellt, weil man das wirklich will und nicht aufgibt, ist man für Versuch Nummer zwei folglich auch bestimmt viel besser vorbereitet. Nicht zu vergessen außerdem die Tatsache, dass die Aufnahmeprüfungen an die verschiedenen Universitäten nicht zeitgleich stattfinden. Es ist durchaus möglich, simultan zwei verschiedene Fakultäten zu besuchen. Aber da sollte festgehalten werden, dass das Studium in einem künstlerischen Fach sich nur schwer mit anderen Disziplinen koppeln lässt. Das viele praktische Üben für die Kunst ist überaus zeitaufwändig und verträgt sich schlecht mit Zweitstudiengängen. 

Vor Jahren mal habe ich hier in Hermannstadt an der Lucian-Blaga-Universität Kunstgeschichte als Masterstudiengang belegen wollen, weil das neu angeboten worden war. Ich schrieb mich gleich ein und erhielt auch die Aufnahmebestätigung, aber dann wurde der Studiengang wieder aufgelöst, weil sich zu wenig Studierwillige gemeldet hatten. Zwecks Ersatz wurden wir alle auf das Studium von Restauration immatrikuliert. Ich meldete mich ab, denn ich wollte Kunstgeschichte. Wer etwas Bestimmtes möchte, darf sich nicht mit Ersatz begnügen.

Welche Rolle spielt für Sie der Unterschied zwischen Kreieren und Konsumieren von Kunst?

Würde ich keine Kunst konsumieren, wäre ich von der Welt, in der ich lebe, abgeschnitten. Sobald ich aber kreiere, schließe ich gerne die Tür. Ich bin kein Künstler, der draußen unter freiem Himmel arbeitet. Eben habe ich angefangen, Landschaften zu bilden. Es ist mein erster Landschaftszyklus , weil ich das bislang noch immer aufgeschoben habe. Vielleicht habe ich das Arbeiten mit Landschaft nicht richtig verstanden. Jetzt aber erfinde ich meine ganz eigene Art dafür. Wer sie sich anschaut, wird nie und nimmer sagen, dass das Landschaften sind (zeigt auf neue Bilder neben und hinter sich), obwohl man darin mit ein wenig Phantasie die Wolke und das Feld identifizieren kann. Mich wird man niemals mit der Staffelei beim Malen von Bäumen sehen, das ist einfach nicht mein Ding. Bei mir geschieht eine totale Re-Interpretation. Von draußen hole ich mir nur das Nötigste.

Die Wolke transformiere ich gerne durch Metall. Für den lehmigen Boden überlagere ich mehrere Schichten Stoff und mische Farben für den Schlamm bei. Stoff erzeuge ich durch das Vermengen von Asche und Knochenleim. Auch Bergkreide kommt da rein. Asche verwende ich wegen der Textur. Genau die Asche, die im Winter beim Verbrennen vom Holz im Eisenofen hier im Atelier entsteht. Die habe ich säckeweise auf Lager.

Was für ein Medienkonsument sind Sie?

Klar lese ich die Presse, wenn es das ist, wonach Sie fragen. Am wichtigsten sind mir Kunstalben. Ich mag es, sie zuhause griffbereit zu haben, Seite um Seite zu blättern und jedes einzelne Bild wieder finden zu können, sooft es mir in den Sinn kommt. Natürlich habe ich sie auch auf dem Smartphone verfügbar, aber ich bevorzuge es, das Gewicht des Albums zu spüren. Damit bin ich aufgewachsen. Als ich in die zehnte Klasse ging, gab mir mein Vater zweimal Geld für Jeans, aber ich kaufte mir davon zwei Alben. Und ein Album kostete genauso viel wie eine Jeans. Diese zwei Alben habe ich auch heute noch. Eines davon ist expressionistisch. „Der blaue Reiter“ von Kandinsky und Meisterwerke der Gruppe „Die Brücke“ habe ich darin kennengelernt. Das andere Album hat mich auf der Stelle für die zeitgenössische Kunst der 1980er- und 90er-Jahre begeistert. Im Unterschied zu damals  sind Informationen heute viel einfacher zu finden. 

Wenn man daran denkt, dass das ein oder andere Buch damals noch vor 1989 in sehr geringer Auflage gedruckt wurde und auf dem Schwarzmarkt mehrere Stück Butter kosten konnte!

Das Schlangestehen unter Ceau{escu habe ich voll erwischt. Als kleiner Junge. Wenn es Bananen oder Schokolade gab, ließ ich eine Tasche oder einen anderen Gegenstand an meinem Platz hinten in der Schlange stehen, um ihn zu markieren, schlich mich nach vorne und kriegte die Leute geschickt herum, mir vor allen anderen eine Portion vom leckeren Zeug zu verkaufen. Ich steckte es dann sofort unter die Jacke, ging zurück an meinen Platz in der Schlange und wartete darauf, an die Reihe zu kommen. Dass das alles eigentlich grausam war, ist mir damals als Kind gar nicht bewusst gewesen. Ich habe es wie ein Spiel erlebt. 1990 oder 1991 habe ich eine Reise nach Österreich gemacht, und die war für mich ein Schock. Als ich das erste Mal in meinem Leben einen Supermarkt betrat, sah ich ein rotes Spielzeugauto mit aufklappbarem Dach, und gleich daneben wurde am Spieß ein Schwein gebraten. Zwei motorische Objekte dicht aneinander – eines zum Essen, das andere zum Fahren. Das hat mich umgehauen.