Mäßiger bis starker Wind in der deutschen Literaturszene

Am Rande zweier Banater Kulturereignisse notiert

Nichts ist verloren, nichts ist vorbei: Die Klagegesänge über das unvermeidliche Ende der kleinen fünften deutschen Literatur, die Anfang der 90er Jahre am Kopfende der rumäniendeutschen Literatur angestimmt wurden, waren doch zu verfrüht.

Die Entwicklung der verflossenen zwei Jahrzehnte hat unter Beweis gestellt, dass diese vor Jahrzehnten noch als regional eingestufte deutsche Literatur aus Südosteuropa trotz der Aussiedlung wichtiger Autoren und Akteure nichts eingebüßt hat und eher aufgeblüht ist: Der Mauerfall im Herzen Europas hatte sein Echo auch in den Köpfen und letztlich auch in der Literatur. Die Grenzen zwischen den einzelnen ehemaligen Nationalliteraturen sind schon längst geschleift, die rumäniendeutschen Autoren haben sich entwickelt und mit bedeutenden Werken den Anschluss zur deutschen und zur europäischen Literatur geschafft.

Was mit „Niederungen“, dem Debütband Herta Müllers, 1982 kaum vorauszusehen war, ist 27 Jahre später eingetreten: Mit dem Literaturnobelpreis 2009 schaffte die rumäniendeutsche Literatur mit ihrem Randthema, der Problematik eines kleinen Volkes, einen wohlverdienten Einzug in die Weltliteratur. Stellvertretend für ihre Autorenkollegen, gebürtig aus dem Banat oder Siebenbürgen, unterstrich sie, wie mächtig die Stimme einer kleinen Literatur, die der Wehrlosen, Totgesagten oder an den Rand Getriebenen, klingen kann. Ihr einfaches Credo über das, was Literatur in allen Zeiten und wohl auch in allen Sprachen sein sollte, könnte man sich merken: „Ich schreibe nur das, was mich berührt!“

Ende April – Anfang Mai fanden im Banat bzw. in Temeswar und Reschitza in glücklicher Nachfolge gleich zwei bemerkenswerte Ereignisse der deutschen Kultur und Literatur in Rumänien statt: An der Temeswarer West-Uni (Organisatoren waren der Fachbereich Germanistik und IKGS München) ermöglichte eine internationale Tagung nicht nur die Feier von 40 Jahren Aktionsgruppe Banat, sondern auch die Rückkehr von zahlreichen Akteuren, Mitstreitern und Begleitern.

Autorenlesungen, Vorträge und Referate von Autoren, Kritikern, Literaturwissenschaftlern aus dem In- und Ausland, Gespräche, eine gut dokumentierte Ausstellung über die Autorengruppe im Visier der Securitate schilderten im Detail, mit interessanten Neuheiten, den Werdegang dieser Autorengruppe, der einzelnen Autoren und der rumäniendeutschen Literatur. Was sich diesmal erneut und vielleicht prägnanter in den Vordergrund stellte: Es gibt trotz der verstärkten Bemühungen der letzten Jahre noch viele ungelesene oder ungedeutete Seiten dieses Literaturkapitels.

Es handelt sich dabei nicht nur um das von der Securitate angelegte Schwarzbuch, sondern um viele Literaturzeugnisse, die in dieser trüben Zeit zu kurz gekommen sind, um Bücher, die leider keine Neuauflagen erfahren konnten und die so beim einheimischen Publikum unverdienterweise wenig bekannt sind. Die veranstalteten Autorenlesungen der Gründungsmitglieder dieser Gruppe haben es mit vor 40 Jahren geschriebenen aber heute hochaktuellen Texten vorgeführt. Hoffentlich wird es auch zu einer positiven Wende in der bisher sporadischen Rezeption der rumäniendeutschen Literatur im rumänischen Literaturbetrieb kommen.

Als guter Ansatz, obwohl erst nach 30 Jahren, ist da die kürzliche Neuauflage der Anthologie dieser Autorengruppe „Mäßiger bis starker Wind“ in rumänischer Sprache zu werten.

Das zweite einheimische, deutsche Kulturevent sollte eine Woche später mit den jährlichen Deutschen Literaturtagen in Reschitza über die Bühne gehen. Im Rahmen dieser schon 22. Ausgabe des derzeit landesweit einzigartigen Literaturfestes – Herz und Seele war wie stets Erwin Josef Ţigla – gaben sich die in diesem Land lebenden und schreibenden deutschen Autoren verschiedener Generationen ihr jährliches Stelldichein.

Für die Sichtung der Literaturernte des verflossenen Jahres, für den Zusammenhalt der kleinen aber verstreuten Literaturszene aber auch für die Erarbeitung neuer Impulse entwickelte sich dieses literarische Treffen in der Bersaustadt Jahr um Jahr zu einer für die deutsche Kultur des Landes vitale Einrichtung. Erwin Josef Ţigla zeigte es mit der Vorstellung seiner Anthologie „Deutsche Literaturtage in Reschitza 2006-2010“ und des Katalogs der rumäniendeutschen Bücher des letzten Jahres erneut vor, dass es Sinn und Wert hat, über unsere Literatur genau Buch zu führen, das Wertvolle zu archivieren und zu dokumentieren. Andererseits ist auch die lebendige Literaturszene, der direkte Kontakt mit der kleinen Leserschaft, darunter immer auch interessierte junge Leute, es wert, ermöglicht, eingerichtet und gefördert zu werden.

Interesse und Beifall gab es demnach für alle Vorträge, aber besonders für die Lesungen der Autoren. Es waren diesmal Joachim Wittstock, Anne Junesch (Hermannstadt), Carmen Elisabeth Puchianu und Robert Gabriel Elekes (Kronstadt), Erwin Josef Ţigla, Werner Kremm (Reschitza), Annemarie Podlipny-Hehn, Balthasar Waitz, Edith Guip-Cobilanschi, Maria Pongracz (Temeswar). Mit von der Partie waren die ausländischen Gastautoren Dagmar Dusil (Bamberg) und Hans Dama (Wien).

Eine erfreuliche Tatsache: Die deutschen Literaturtage haben eine steigende Räsonanz auch in der rumänischen Literaturszene.Die bekannte rumänische Lyrikerin Nora Iuga (Bukarest), in den letzten Jahren mit Lyrik und Prosa eine konstante Präsenz auch im deutschen Sprachraum, bestritt erneut eine Lesung vor dem Reschitzaer Publikum und diesmal mit Gedichten, die sie in deutscher Sprache geschrieben hat. 

Die Schlussfolgerung: Nichts ist verloren, nichts ist vorbei.

Das Wort Ende sollte in Sachen rumäniendeutsche Literatur  mit einer Dosis gesunden Humors und Persiflage oder als Ansporn höchstens in den Sand geschrieben werden.