„Man soll auf der Kanzel die Zitzen herausziehen…“. 

„Dies Academicus“ zum Thema der Predigt in der säkularen Welt

Dr. Camen Schuster – „Man soll nicht von der Kanzel herab predigen“.

Podiumsdiskussion, von links: Pfr. Gerhard Servatius-Depner, Dr. Gerhild Rudolf, Dr. Eveline Cioflec, Beatrice Ungar

Dr. Stefan Tobler veraschiedet Absolvent Mihai Udrea. Fotos: der Verfasser

Wie kann und soll man in einem immer stärker digitalisiertem Zeitalter predigen? Braucht es überhaupt noch den Prediger als solchen, oder wird ChatGPT in Zukunft diese Rolle übernehmen? In der Frage nach der Rolle der Predigt in der säkularen Welt schwingt natürlich auch die nach Rolle und Notwendigkeit der Kirche mit. Dieser Fragestellung stellte sich der dritte Dies Academicus des Studiengangs für Protestantische Theologie an der Lucian Blaga-Universität Hermannstadt/Sibiu, welcher in Zusammenarbeit mit dem Zentrum für Evangelische Theologie Ost (ZETO) organisiert wurde. Der diesjährige Dies Academicus fand am 30. Juni und 1. Juli 2023 am Sitz des Studiengangs in der Schewisgasse/Strada Victoriei Nr. 40 statt und hatte zum Thema: „Reden von Gott – Predigt in einer säkularen Welt“.

In seiner Begrüßung erinnerte Pfr. Gerhard Servatius-Depner, Leiter des ZETO, ausgehend von den Worten des Apostels Paulus, dass wir uns nicht selber predigen, sowie daran, dass die Predigt immer in Verbindung mit dem lebendigen Wort Gottes steht und sie dadurch eine Begegnung mit demselben darstellt. 

Die säkulare Komponente wurde von Dr. Stefan Tobler, Leiter des Studiengangs für Protestantische Theologie, in seiner Ansprache hervorgehoben: „Die Welt ist mit der Zeitdauer, dem saeculum, verbunden, also ist die Welt nichts anders als säkular“ – daher steht die Predigt auch in der säkularen Welt, denn „der Mensch ist nicht nur in dieser Welt, sondern Teil der Welt.“Der erste Vortrag der Veranstaltung gehörte Dr. Ulrich Wien (Landau) und trug den Titel: „Începem cu o pauz˛ – die reformatorische Predigt“. Die im Titel erwähnte notwendige Pause erklärte Dr. Wien: „...in der Predigt soll Jesus sprechen, nicht der Predigende.“ In seinem Vortrag stellte Dr. Wien einleitend das Predigtverständnis der Reformatoren vor: Die Predigt ist lebendiges Wort des Evangeliums, sie ist biblisch begründet und gesamtbiblisch polyvalent, sie ist auf Jesus zentriert und gesellschaftlich relevant. Um die Kraft, welche die Reformatoren in der Predigt sahen, zu veranschaulichen zitierte Ulrich Wien den bekannten Lutherspruch: „Man soll auf der Kanzel die Zitzen herausziehen und das Volk mit Milch tränken“, um anschließend dieses mit einem Zitat von Heinrich Bullinger noch stärker zu unterstreichen: „Die Predigt von Gottes Wort ist Gottes Wort.“

In dem Hauptteil seines Vortrages stellte Dr. Wien Damasus Dürr als siebenbürgische Predigerpersönlichkeit vor. Durch sein Studium in Wittenberg hatte Dürr das Predigtverständnis der deutschen Reformatoren in seinen Predigten aufgenommen, überliefert ist uns eine Sammlung von 47 Predigten, in Kleinpold/Apoldu de Jos angewandt. Dürr verstand die Predigt als Gottes Reden zur Gemeinde. Die Schwerpunkte seiner christozentrischen Predigten waren: Reue, Buße, Sündenvergebung, Rechtfertigung, aber auch der ländliche Alltag. 
Der zweite Tag des Dies Academicus wurde mit dem Vortrag des aus Wien angereisten Theologen Dr. Ludomir Batka: „Die Kraft (aus) der Predigt“ eröffnet. Batka definierte die Predigt als „Glaubensrede“, daher ist sie ein effektives und wirksames Wort der Offenbarung Gottes, was nur durch den Heiligen Geist möglich ist. Der Heilige Geist bleibe auch die conditio sine qua non, weswegen ChatGPT nie eine wirkliche Predigt hervorbringen könne. Die Predigt kann nicht atheologisch sein, so Batka, was aber nicht dazu führen soll, dass sie zum theologischen Traktat wird, doch ohne Theologie wäre jede Predigt zu schwach. Zu beachten wäre, dass weder Predigt, noch Theologie, am Zeitgeist vorbei gehen dürfen. 

Mit dem Vortrag von Dr. Carmen Schuster, Landeskirchenkuratorin der Evangelischen Kirche A.B. in Rumänien, wechselte die Perspektive der Veranstaltung von der Warte der Theologen auf die Ebene der weltlichen Kirchenmitglieder. Für Carmen Schuster bleibt die zentrale Frage, die sich jeder Prediger stellen muss: Spricht man die Leute an oder predigt man an ihnen vorbei? Die Predigt kann und soll nahe an den Themen der Gemeinde bleiben. Man muss aus dem Kontext heraus predigen, in dem man sich befindet, nicht von der Kanzel herab, sondern zwischen den Menschen verankert sein. In einer zeitgenössischen Formulierung ausgedrückt erklärte Dr. Schuster: „Man muss mehr von dem Zielpublikum her denken, was aber im Allgemeinen auch ein stärkeres interdisziplinäres Denken verlangt.“

Der akademische Teil der Veranstaltung wurde von einer Podiumsdiskussion mit dem Titel: „Wie gelingt es der heutigen Predigt, die Herzen anzusprechen?“ abgeschlossen. An der von Pfr. Gerhard Servatius-Depner moderierten Diskussion waren als Gäste Dr. Gerhild Rudolf (Leiterin des „Friedrich Teutsch“- Kultur- und Begegnungszentrums), Dr. Eveline Cioflec (Lehrbeauftragte für Philosophie an der Lucian Blaga-Universität) und Beatrice Ungar (Chefredakteurin der Hermannstädter Zeitung) eingeladen. Mehr als eine Stunde wurde locker, aber lebhaft diskutiert, ob die Predigt das Herz oder eher den Verstand anzusprechen habe. Einig war man sich, dass die Predigt und ihr Wirken nicht außerhalb des gottesdienstlichen Kontextes gesehen werden dürfe, da der Gottesdienst in seiner Gesamtheit das Herz und das seelische Empfinden anspricht. Die Predigt solle „nicht über den Glauben reden, sondern Glauben sein“ so Dr. Gerhild Rudolf, wobei diese „so bildlich wie die Gleichnisse Jesu Christi“ sein sollte. Zugleich ginge es in der Predigt nicht immer in erster Linie um das was, sondern auch um das wie: „Lachen ist nicht verboten. Auch nicht in der Predigt“ erklärte Beatrice Ungar. Dr. Eveline Cioflec unterstrich die gemeinsame Erfahrung als Grundlage für das Predigterlebnis: „Erst nachdem der Raum des gemeinsamen Handelns geschaffen wurde, kann die Stille für das Hören des Wortes geschaffen werden.“

Abgeschlossen wurde der Dies Academicus mit dem Abschlussgottesdienst des Theologischen Institutes in der Johannis-Kirche. Im Rahmen desselben wurde auch Mihai Udrea als Absolvent des Studiengangs verabschiedet.