Das vorliegende Interview ist im Rahmen einer Kooperation zwischen der ADZ und dem Department für Germanische Sprachen und Literaturen der Universität Bukarest entstanden, unter Anleitung von Dozentin Ioana Cusin und Chefredakteurin Nina May. Im Masterstudiengang SCILL befassten sich die Studenten in Arbeitsgruppen mit verschiedenen Formen journalistischen Schreibens, ausgehend vom Buch „Die Stilistik – eine Disziplin zwischen den Stühlen? Wissenschaftliche Ansätze zu Stilbegriff, Stiltheorien und Stilanalysen“ von Mariana-Virginia Lăzărescu (Editura Universității din București), in dem unter anderem das Thema Stil in der Presse behandelt wird.
Als Ausgangspunkt für das Interview diente das Zitat „Mein Kind soll es einmal besser haben“ aus der gleichnamigen Glosse in Nina Mays Buch „Das gibt’s doch gar nicht. Die Walachei ist nicht im Nirgendwo sondern mitten unter uns“ (Traian Pop-Verlag Ludwigsburg). Durch Gespräche mit Müttern aus unterschiedlichem sprachlich-kulturellem Hintergrund soll beleuchtet werden, wie diese zu der Aussage stehen und ob tatsächlich kulturspezifische Unterschiede erkennbar sind. Das Interview führten Alexandra Constantin, Daria Vasilescu, Diana Tătulea und Sonia Hanganu mit Elisa Moczygemba,Roxana Tătulea und Alina Ioane .
„Mein Kind soll es einmal besser haben“ – stimmt das oder stimmt das nicht?
Elisa Moczygemba (EM): Jein! Es hat damit zu tun in welcher Zeitbahn man aufgewachsen ist. Wenn es natürlich eine Kriegsgeneration ist, dann sollte man versuchen, dass es den Kindern besser als den Eltern geht. Besser haben – das ist auch eine Frage der Definition. Sollten die Kinder wirtschaftlich besser aufgestellt sein, psychisch oder physisch? Sollten die Kinder mehr Möglichkeit zur Bildung haben? Das ist von so vielen Dingen abhängig: Es kann nicht immer bergauf gehen. Wenn es meinen Kindern besser geht, dann würde es deren Kindern auch besser gehen müssen. Also wann ist dann irgendwann das Ende? Das ist einfach unmöglich, dass es jeder Generation immer in allem besser geht, aber alle Dinge, die mit Bildung und Erziehung zu tun haben, da glaube ich schon, dass es unseren Kindern besser gehen kann.
Roxana Tătulea (RT): Heutzutage wollen die Eltern ihren Kindern mehr als sie benötigen anbieten. Das finde ich auch nicht in Ordnung. Weil ich nicht über viel verfügte, soll mein Kind es besser haben. Aufgrund dieser Denkweise schaffen diese Eltern es, ihre Kinder zu verderben. Ich kann schon die finanzielle Anstrengung verstehen: Nachhilfestunden, karriereorientierte Kurse, usw., meiner Meinung nach ist das Kind die beste Investition. Mit investieren meine ich kultivieren: Bildung, Sport, Wissenschaft. Grundsätzlich wird alles aus reiner Liebe gemacht, ohne dass man später im Leben irgendwelche Erwartungen vom eigenen Kind hat. Aber gerade darum investiert man, damit das Kind sich weiterhin so selbstständig wie möglich entwickeln kann, denn man weiß nie, was mit den Eltern passieren könnte.
Legen Eltern in Deutschland oder Rumänien mehr Wert auf Bildung oder auf die Bedeutung von harter Arbeit für die Zukunft ihrer Kinder?
EM: Die Zahlen deuten darauf hin, dass in den letzten zwanzig Jahren viel mehr Kinder das Abi gemacht haben als vorher, weil die Eltern es eben wollten, dass die Kinder an einer Universität studieren, anstatt eine Ausbildung zu machen, denn eine Ausbildung impliziert mehr körperliche Arbeit. Ich glaube, dass die Eltern in Deutschland mehr Wert auf Bildung als auf harte Arbeit legen. Ich möchte aber klarstellen, dass ein Ausbildungsberuf in Deutschland eine richtige Entscheidung des Bildungsweges ist. Heutzutage bezahlen Sie in Deutschland fast genau so viel für eine Stunde für einen Handwerker wie für eine Anwalt, weil es einfach zu wenige gibt.
Als Eltern würden wir es bevorzugen, dass unsere Söhne zuerst eine handwerkliche Ausbildung machen und sich danach für ein Studium entscheiden, wenn sie das möchten. Wir haben keine handwerkliche Ausbildung gemacht und das fehlt uns.
RT: Die Eltern in Rumänien legen weder auf Bildung noch auf harte Arbeit mehr Wert, wenn es um die Zukunft ihrer Kinder geht. Am meisten legen sie auf den eigenen Hochmut Wert, wenn du es so haben willst! Also, mein Kind muss halt ein Studium abschließen, spielt keine Rolle wie und was. Die Eltern brauchen es einfach, mit dem eigenen Kind anzugeben: Ah, mein Kind studiert im Ausland, ohne jedwede negativen Aspekte in diesem ganzen Kontext zu erwähnen. Es gibt aber auch Sonderfälle, wo die Eltern die Kinder ermutigen, zurückzukommen, um die gleiche harte Arbeit zu leisten, aber innerhalb der eigenen Familie und des eigenen Landes.
Eine bessere Bildung bedeutet eine bessere Zukunft für die Kinder. Was sind die wichtigsten Ressourcen, die Sie Ihren Kindern bieten, um im Leben erfolgreich zu sein?
EM: Die wichtigste Ressource ist die Zeit, sofern sie qualitativ und zielgerichtet genutzt wird. Kinder können auf super Schulen sein, aber wenn sie in der Masse untergehen, wenigstens im Grundschulbereich, ist diese Beziehung zwischen Eltern und Kindern noch sehr, sehr wichtig. Ich glaube, dass man viele Probleme, die in der Schule eine Kettenreaktion auslösen können, mit Zeit lösen kann. Unsere zwei Söhne haben Probleme mit der Rechtschreibung. Das kann die Schule nicht beheben. Wenn ich mich nicht jeden Tag mit den Kindern hinsetze oder mein Mann mit den Kindern nicht liest oder nicht Schreiben übt, werden sie irgendwann ein Problem haben, obwohl meine Kinder auf einer unfassbar teuren Schule sind. Aber das ist ein Problem, das Geld nicht lösen kann, sondern nur Zeit und Geduld.
RT: Was für Ressourcen? Erstmal versucht man als Eltern, seinem Kind alles beizubringen und zu bieten, was man ihm nur geben kann - und das nur finanziell gesehen. Das Wichtigste besteht darin, ihm seelisch zur Seite zu stehen, indem man alles oder so viele Aspekte wie möglich mit ihm bespricht. Jede Einzelheit: in der Schule, am Arbeitsplatz, was immer. Die Ehrlichkeit und Transparenz, die man dem Kind schenkt, enthüllen die menschliche Seite der Eltern und dadurch rückt auch das Kind immer näher.
Gibt es in Deutschland oder Rumänien die Erwartung, dass Kinder einen bestimmten Beruf wählen? Entscheiden Eltern über die Zukunft ihrer Kinder?
EM: Es ist sehr schwierig, das zu pauschalisieren. Häufig ist es so, dass Kinder Berufe wählen, die ihre Eltern hatten, gerade bei Ärzten und Lehrern. Ich glaube, dass man sich in Deutschland sehr schwer mit kreativen Berufen tut. Natürlich sind Berufe gern gesehen, bei denen viel Geld verdient werden kann oder bei denen die Zukunft gesichert ist. Zum Beispiel der Lehrerberuf ist ein gut bezahlter Beruf in Deutschland oder selbst in der Verwaltung verdient man relativ gut und man hat einen sicheren Job, wenn man verbeamtet ist bis zum Lebensende.
Andererseits gibt es auch Berufsgruppen, bei denen sich die Eltern selber nicht auskennen. Ein Beispiel kommt aus meiner Familie: Ich bin Germanistin und meine Eltern wussten gar nicht, was das ist.
RT: Schau mal, wie sich die Eltern dem Kind gegenüber verhalten. Das zeigt eigentlich nur die Unzufriedenheiten der Eltern. Ich war auch sehr streng meinem Kind gegenüber. Das Verhalten meiner Eltern widerspiegelte sich perfekt in meiner Mutter-Tochter Beziehung. Ich denke aber, dass man den Beruf gleich nach der Familie und den Glauben stellen sollte. Wenn man mit der eigenen Arbeit unzufrieden ist, wird man nie glücklich sein. Die Eltern sollten daher versuchen, ihr eigenes Kind so gut wie möglich zu kennen und es unterstützen. Im Falle meines Kindes haben wir einen Karrieretest ausprobiert und Leute aus unterschiedlichen Bereichen befragt. Wir haben unserem Kind noch berufliche Vorschläge gemacht. Wenn das Kind aber kein Interesse für den betreffenden Beruf hat, ist es umsonst. Das moderne Kind verfügt über eine fast unendliche Liste von Varianten im Sinne des professionellen Lebens. Das bedeutet aber nicht, dass es heutzutage nicht auch Eltern gibt, die ihre Kinder stark beeinflussen, wie zum Beispiel Ärzte oder Professoren.
Existiert in Deutschland oder Rumänien für junge Menschen ein Druck, ihre Eltern in Bezug auf Karriere und sozialen Status zu übertreffen?
EM: Ich glaube, diesen Druck hat es immer gegeben. Nur, dass es heutzutage wahrscheinlich nochmal schwieriger ist. Nach dem Mauerfall war der Zugang zu neuen Chancen für eine breite Masse viel einfacher. Durch die Digitalisierung sind so viele Berufsgruppen - z.B. Content Creator, Influencer - dazugekommen, die so schwer fassbar sind. Diese Kinder sind finanziell besser gestellt als ihre Eltern, aber es stellt sich dann die Frage: Ist nur das Geld entscheidend oder das Outcome? Kann ich stolz auf mein Kind sein, weil es die ganze Zeit nur Beauty Content macht und ich, als Mutter, bin jemand, der in der Pflege arbeitet? Hat mich dann mein Kind wirklich übertroffen? Was möchte man denn? Möchte man, dass sein Kind einfach einer Arbeit nachgeht, in der es glücklich ist? Möchte man, dass sein Kind einer Arbeit nachgeht, die der Gesellschaft etwas wiedergibt? Möchte man, dass das Kind einfach viel Geld verdient? Was ist mir wichtig?
RT: Wir haben keinen Druck auf unser Kind in diesem Sinne ausgeübt. Viele Familienfreunde haben dasselbe getan, nämlich den Kindern die Freiheit gegeben, selbst zu entscheiden. Obwohl es auch derzeit noch Familien gibt, wo die Eltern das Kind zu etwas zwingen, das ihren eigenen Interessen entspricht. Das Schlimme daran ist, dass das Kind eines Tages zurück zu den Eltern kommen könnte, um ihnen vorzuwerfen, dass sie schuld an seinem Unglück sind. Das Kind sollte für seine Entscheidungen selbst verantwortlich sein.
Sind Eltern im deutschsprachigen Raum oder in Rumänien eher geneigt, ihre Kinder zu ermutigen, Risiken einzugehen und aus eigenen Fehlern zu lernen - oder schützen sie ihre Kinder zu sehr vor Schwierigkeiten?
EM: Ich habe viele Freunde mit Kindern und glaube, dass die meisten ihre Kinder zur Selbstständigkeit und zu Risikobereitschaft ermutigen, sodass die Wahrnehmung der Kinder gut geschult ist. Ich denke aber, dass unsere rumänischen Freunde viel beschützender mit ihren Kindern sind als wir. Ob das jetzt an meiner deutschen Mentalität oder an unserem Charakter liegt, weiß ich nicht. Unsere Kinder dürfen schon alleine in den Park gehen oder mit dem Fahrrad fahren, einkaufen gehen. Ich würde meine Kinder auch alleine mit dem Flugzeug fliegen lassen, wenn es nicht verboten wäre. Zum Beispiel unseren Sohn, der ist neun Jahre alt ist. Erstens habe ich viel Vertrauen in meine Kinder und ich weiß ja auch, in welchen Sachen sie gut sind und in welchen Sachen sie nicht gut sind. Das ist auch von Kind zu Kind unterschiedlich. Zum Beispiel traue ich meinem großen Sohn viel zu, weil der halt auch sehr korrekt ist. Wenn ich meinen mittleren Sohn einkaufen schicke, kommt er mit zehn anderen Sachen nach Hause. Ich habe schon das Gefühl, dass viele unserer Freunde ängstlicher, beschützender sind, als wir.
Alina Ioane (AI): Ah! Hier sieht man im Park barfuß laufende Kleinkinder, in Rumänien steht immer eine Mutter oder eine Großmutter auf dem Spielplatz und schreit ihr Kind an: „Nein! Sei vorsichtig dort! Geh da nicht hin! Fass das nicht an! Nein! Nein! NEIN!“. In Österreich kann man kaum Eltern hören, die ihre Kinder anschreien und die Kinder klettern überall. Man schickt Kinder viel früher auf Ferienlager und Ausflüge und ich habe den Eindruck, dass man ihnen viel mehr Selbstständigkeit beibringt. Diese wird dann weiter samt Freiheit und kreatives Denken in der Schule gefördert. An diesem Punkt unterscheidet sich die rumänische Denkweise von der österreichischen. Kinder wachsen nämlich in einer Kultur der Verweigerung und Verbote auf, wobei in Österreich viel mehr Freiheit und Selbständigkeit geboten werden. Und das macht natürlich auch Spaß. Meine Tochter hat zum Beispiel in der Schule bereits mit sieben Jahren einen Holzigel gebastelt, in den sie Nägel geschlagen hat. In Rumänien würde niemand einer Siebenjährigen einen Hammer geben! Die Eltern wollen andauernd ihre Kinder kontrollieren und das kann langfristig dazu führen, dass Kinder entweder nicht genug Selbstvertrauen haben, um allein zurechtzukommen, oder Ängste entwickeln, die von ihren Eltern ausgehen. Ich bin überzeugt, dass sie diese Ängste in der Tat sehr leicht überwinden könnten, wenn sie in einem anderen Umfeld leben würden oder gelebt hätten. Das führt dann dazu, dass sie keine Verantwortung übernehmen wollen, weil sie Angst haben, Fehler zu machen. In Rumänien gibt es nämlich diese große Angst vor Fehlern und Misserfolgen. In Österreich hingegen werden Kinder in der Schule ermutigt, Fehler zu machen. Wenn man etwas in der Schule schreibt und einen Fehler macht, radiert man ihn nicht aus: Man streicht ihn durch und macht einfach weiter. In Rumänien hat man einen Entwurfsbogen und ein sauberes Papier, auf dem man fehlerfrei abschreibt. So bin ich auch erzogen worden. In Österreich gibt es so etwas nicht: Man hat ein einziges Blatt, und es gibt kein Problem, wenn man Fehler macht. Das ist ein Prozess.
Was denken Sie, inwieweit verzichten Eltern auf ihre eigenen Wünsche und Bestrebungen, um ihre Kinder zu unterstützen? Opfern sich Eltern für ihre Kinder auf?
EM: Ich glaube, dass das Opfertum nicht mehr so groß ist, wie noch in der Generation davor. In jeder Art von Beziehung, egal ob Eltern-Kind Beziehung, Liebesbeziehung oder einer freundschaftlichen Beziehung, gibt es immer Kompromisse. Mir gefällt dieser Begriff Opfer nicht. Ich kann sagen: Ja, ich habe als Mutter den Körper geopfert und vielleicht gehe ich auch finanzielle Opfer ein. Aber das Standardopfer: Ich, als Frau, verstehe mich mit dem Vater des Kindes nicht mehr und möchte eigentlich eine Trennung, aber ich bleibe mit dem Vater zusammen, obwohl ich mit ihm keine Liebesbeziehung mehr möchte. Das ist für mich ein richtiges Opfer. Das würde ich niemals machen, weil ich glaube, dass das die Kinder in so einen Loop bringt. Wenn die Kinder sehen welche Opfer Eltern (eher Mütter) bringen, denken sie später, vor allem Töchter, dass es so sein muss, dass sie Opfer bringen müssen, um andere Leute glücklich zu machen und dann geben sie das an die nächste Generation weiter. Es ist halt immer eine Frage, was will man und welches Opfer oder welchen Kompromiss möchte man eingehen.
AI: Meine Mutter hat sich für mich aufgeopfert und ihr ganzes Leben lang gesagt, dass sie sich von meinem Vater hätte scheiden lassen sollen, aber sie hat es wegen mir nie getan. Ich hatte also eine Mutter, die sich für mich aufgeopfert hat und ich bin überzeugt, dass ich heute so bin, wie ich bin, weil sie sich so engagiert hat. Ich meine, ich wäre anders, wenn ich eine distanzierte Mutter gehabt hätte. Gleichzeitig sah ich aber auch viel Traurigkeit und Enttäuschung. Ich habe meine Mutter nie wirklich das Leben genießen sehen, weil sie mit zu viel Wut kämpfte, während sie sich für ihre Familie aufopferte. Und ich war überzeugt, dass das nicht der richtige Weg ist.
In Österreich sind die Eltern viel distanzierter als in Rumänien und die Großeltern helfen auch beschränkt mit, sodass man oft Folgendes zu hören bekommt: Ok, wir können dienstags von 14 bis 17 Uhr und donnerstags von 16 bis 19 Uhr auf die Enkelkinder aufpassen, aber sonst sind wir beschäftigt. Bei der Kindererziehung spielt also eine gewisse emotionale Distanz mit. Ich halte diese extreme Distanzierung auch nicht für gesund. So bin ich Förderin des Gleichgewichts, das heißt, meine ständige Frage lautet: Wie kann ich meine Träume verfolgen und gleichzeitig immer präsent sein, um mich um meine Kinder zu kümmern?
Vielen Dank für das Gespräch!