Mit Tönen Flügel verleihen

Sounddesignerin Laura Lazarescu entfesselt die akustische Dimension im Film

Kontrolliertes Chaos beim Dreh(Foto: privat)

„Die vielen Knöpfe schrecken Mädchen von diesem Beruf ab” scherzt Laura (Foto: Nina May)

Fliegende Perserkatze oder lustiger Pelzhut? Das flauschige Etwas ist tatsächlich ein... Mikrofon! (Foto: privat)

Sounddesignerin Laura beim elektronischen Bearbeiten der Aufnahmen im Tonstudio (Foto: Nina May)

Ein Film ist in erster Linie visuell. Doch nicht minder wichtig ist die akustische Parallelwelt, die das Sichtbare wirkungsvoll unterstreicht: der sogenannte Soundtrack. Hufgetrappel, Gewehrfeuer, zu Boden stürzende Urwaldriesen oder schallende Ohrfeigen – damit befaßt sich die 26-jährige Bukaresterin Laura L?z?rescu, zu deren beruflichem Alltag es gehört, mit Kokosnussschalen zu klappern, Wassermelonen zu spalten oder mit Fleischstücken zu werfen. Der Kreativität eines Tontechnikers sind keine Grenzen gesetzt, lacht Laura und erklärt, dass die Begleitgeräusche im Film selten den Originalaufnahmen entstammen.

Das Ersetzen der Aufnahme durch simulierte Geräusche erfordert Ideenreichtum, aber auch viel Erfahrung. Bei Kampfszenen etwa muss sich jeder Schlag anders anhören, je nachdem mit welcher Wucht und aus welchem Winkel auf den Gegner eingeschlagen wird. Boxfäuste kann man gut mit aufplatzenden Melonen oder Tomaten simulieren. Eine Ohrfeige hingegen schallt besonders schön, wenn man zwei rohe Steaks aneinanderklatscht. Sicher schadet es nicht, sich für diese Tätigkeit ein kindliches Gemüt zu bewahren... und doch ist Sounddesigner ein ernstzunehmender Berufszweig. Voraussetzungen sind ein gutes Gehör, Gefühl für Musik und technisches Gespür. Nur wenige Mädchen entscheiden sich beim Studium an der Filmhochschule für Tontechnik. „Die vielen Knöpfe wirken wohl abschreckend”, scherzt Laura und verweist auf die Apparatur, die zu ihrem Alltag im Tonstudio gehört, ein Ungetüm aus Schiebern und Reglern, das einen ganzen Schreibtisch belegt. Auf der Leinwand flimmert der fertig montierte Film, den es zu vertonen gilt. Auf einem Flachbildschirm links verfolgt sie das Frequenzprofil jedes Geräusches, der rechte zeigt das virtuelle Regelwerk eines elektronischen Mischpultes in allen Farbnuancen. Der dunkle Raum wirkt wie die Kommandobrücke von Raumschiff Enterprise. Käpt'n Laura betätigt einen Hebel und der Flug durch die Welt der Töne kann beginnen...

Fasziniert, weil Töne Gefühle erzeugen

Wie kommt man auf die Idee, Geräuschemacher zu werden? Ein Kindheitstraum war es nicht, scherzt die junge Frau, und doch liegt ihr seit jeher die Musik am Herzen, fasziniert von der Tatsache, dass jede Melodie und jeder Rhythmus andere Emotionen auslöst. Gerade diesen Effekt aber nutzt man im Film. „Wenn ich eine Horrorszene richtig vertone, merke ich selbst, wie mich das Gruseln ergreift”, erklärt Laura. Dennoch dachte sie als Schülerin zunächst an einen Beruf in sprachlicher Richtung. Naheliegend, denn die Eltern sind Germanistikprofessoren, sie selbst spricht fünf Sprachen. Beste Voraussetzung für eine vielversprechende Karriere also - doch letztlich siegte die Leidenschaft. „Musik gibt einem das Gefühl, zu leben”, erklärt Laura ihre Entscheidung und fügt hinzu, ein inspirierender Beruf sei ihr wichtiger als Karriere und Geld. An der Universität für Theater und Film „I.L.Caragiale” erlernte sie das Handwerk des Filmemachens – Montage, Sound, Fotografie, Multimedia, Computergrafik und Regie - und spezialisierte sich auf Tondesign.

 

Heute arbeitet Laura bereits seit zwei Jahren in diesem Beruf. Die Projekte sind vielfältig, man lernt ständig Neues dazu. Derzeit vertont sie einen Dokumentarfilm über gesunde Ernährung, aber auch Thriller, Actionmovies, Komödien und Comics stehen auf ihrem Repertoire. Nebenbei schreibt sie an einer Dissertation über die Kunst der Vertonung im amerikanischen Animationsfilm. Die Herausforderung an dem Thema, so erklärt sie begeistert, besteht darin, dass es in animierten Filmen überhaupt keine Tonbasis gibt. Im Gegensatz zu Aufnahmen mit realen Schauspielern hat man es mit Charakteren zu tun, deren akustische Welt von Null konstruiert werden muss. Ihr Lieblingsbeispiel ist das Geräusch eines riesigen, zu Boden stürzenden Baumes, das durch den kräftigen Biss in einen Apfel simuliert werden kann. Doch es geht nicht nur um technische Effekte. In Horror- oder Science Fiction Filmen müssen Begleitgeräusche kreiert werden, um beim Zuschauer ein bestimmtes Gefühl auszulösen. Tondesign setzt ausserdem ein ästhetisches Konzept für den gesamten Soundtrack des Films voraus, ist also  ein künstlerischer Vorgang. 

Balanceakt zwischen Beruf und Privatleben

Der Alltag in der Filmbranche verlangt vor allem Flexibilität und Belastbarkeit. Als Beispiel erzählt Laura von einem Gruselfilm, drei Tage zwölf Stunden Drehzeit nachts. Wenn der Film montiert ist, beginnt erst die Hauptarbeit im Tonstudio. Trotzdem findet sie noch Zeit für eine Nebentätigkeit als Assistentin an der Uni. Kein Wunder, dass während einer Drehphase kaum Zeit fürs Privatleben bleibt. „Man kommt völlig aus dem Rhythmus, weil man sich auch mal tagsüber hinlegt, um schnell ein paar Stunden Schlaf zu tanken”, bekennt sie. „Es gibt viele unter uns, für die das Zuhause zum Hotel verkommt”, meint Laura und fügt mit Nachdruck hinzu, dass sie den Balanceakt zwischen Freizeit und Beruf langfristig erfolgreich zu meistern hofft. Leicht ist es nicht, weil man als Freelancer dazu neigt, jeden Auftrag anzunehmen, denn zwischendurch gibt es immer wieder Durststrecken. Daher arbeitet sie oft parallel an zwei bis drei Filmen. Andererseits hat die Arbeitswut eines Tondesigners strikte physiologische Grenzen. Nach sechs Stunden im Tonstudio ermüdet das Ohr und die Wahrnehmung verändert sich. Wer diesen wohlbekannten Effekt missachtet, darf am nächsten Tag alles nochmal machen.   

Ausländische Regisseure vertonen in Rumänien

Durch die vielseitigen Kooperationen mit internationalen Filmteams wird man ständig mit neuen Kontakten konfrontiert. Ein Projekt mit dem bekannten mexikanischen Regisseur Fabrizio Prada, der seinen Film „Escrito con sangre” in Rumänien vertonen ließ, hat sie besonders beeindruckt. Der Film basiert auf der wahren Geschichte eines Mädchens, das mitten in der Stadt ermordet wird, obwohl zahlreiche Menschen ihre Schreie hören – und gelangte ins Buch der Rekorde, weil die Kamera während des gesamten Drehs trotz Ortswechsel kein einziges Mal abgesetzt wurde. Mit der Vertonung war Laura fast alleine befasst. „Doch man verliert leicht die Distanz zu seinem Projekt”, kritisiert sie und fügt an, in Amerika seien Teams von zehn hochspezialisierten Geräuschemachern – zum Beispiel für Autos oder Gewehrfeuer  - gang und gäbe. Die Soundqualität solcher Filme ist natürlich unschlagbar. Als Beispiel nennt sie „Raging Bull”, der den Oscar für Vertonung gewann, weil jeder Fausthieb anders klingt. Der Aufwand hängt jedoch stark von den Finanzmitteln ab, weshalb die Bandbreite der Geräusche in europäischen Filme schmäler ist. Auch rumänische Filme leiden unter dieser Einschränkung. Trotzdem lassen einige ausländische Regisseure ihre Werke gern in Rumänien vertonen. „Der rumänische Film genießt ein gutes Ansehen im Ausland”, erzählt Laura und fügt hinzu, „mehr als bei uns, wo leider die Masse der Kinogänger amerikanische Zweigroschenfilme bevorzugt”.

Höhepunkt Filmfestival in Cannes

Im Mai 2011 ging dann ein unerwarteter Traum in Erfüllung – eine Reise zum Internationalen Filmfestival nach Cannes! Zusammen mit dem Team, das an den  dort präsentierten Kurzfilmen mitgewirkt hat, verbrachte Laura drei aufregende Tage in dem noblen französischen Küstenort. Das größte Filmfestival der Welt ist ein Jahrhundertereignis: Hautnah vor den Teilnehmern schreiten bekannte Schauspieler über den roten Teppich, man trifft internationale Größen aus der Branche, sieht deren Filme, tauscht Erfahrungen mit Experten aus aller Welt und besucht gemeinsam Parties. Traumhaftes Wetter, ein nettes Team und eine unvergeßliche Strandparty rundeten das Erlebnis ab. „Da wurde mir zum ersten Mal klar, wie viel mir diese Arbeit bedeutet” schwärmt Laura mit leuchtenden Augen. „Mein Beruf ist längst zur Passion geworden!”

Patchwork Jobbing und Teamwork

Ein „geldiger” Beruf ist Sounddesign nicht. Für Freelancer hängt der Verdienst von der Auslastung ab - doch wenn mal kein Auftrag in Sicht ist, kann Laura auf ihre Kenntnisse in Computergrafik zurückgreifen. In der Filmbranche gilt Patchwork-Jobbing als ganz normal. Vor allem zu Beginn der Karriere gehen viele Regisseure und Schauspieler unspektakulären Zweitjobs nach, die einfach das Überleben sichern. Einige erstellen Videoclips und Reklamefilme, fotografieren auf Taufen und Hochzeiten, andere kellnern, während sie möglichen Engagements hinterhertelefonieren. „Am Ball bleiben und Kontakt halten ist das Wichtigste, denn wer einen Auftrag ergattert, holt oft alte Kollegen mit ins Team”, rät Laura. Ellbogendenken hat keinen Platz in der Filmbranche. Wenn sie selbst einen Auftrag ablehnen muss, empfiehlt sie auch gerne ihre Studenten und verschafft ihnen ein Sprungbrett in die Praxiswelt.

Nicht um jeden Preis ins Ausland

Auf die Frage, ob es sie eher ins Ausland zieht oder patriotischer Idealismus überwiegt, zeigt sich Laura L?z?rescu gelassen. Auch wenn in vielen Ländern das Verhältnis zwischen Einsatz und Bezahlung besser ist als in Rumänien, gehört sie nicht zu denen, die um jeden Preis weg wollen. Auslandserfahrung hingegen hält sie für wichtig, um zu sehen, wie man in anderen Ländern arbeitet. Deshalb sitzt sie nun auf gepackten Koffern für einen sechsmonatigen Studienaufenthalt in Berlin im Rahmen ihrer Doktorarbeit. Ihr Wunsch, dass es niemals langweilig wird, ist auf dem besten Wege, in Erfüllung zu gehen. Töne verleihen offenbar Flügel!